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Die goldene Spur oder Vorteile eines zentralen Fälschungsarchivs

Wolfgang Beltracchi: Collioure, Fälschung nach André Derain

Wolfgang Beltracchi: Collioure, Fälschung nach André Derain, Detail: Goldspur am linken unteren Rand

Wolfgang Beltracchi: Collioure, Fälschung nach André Derain, Detail: Goldspur am oberen Rand

Wolfgang Beltracchi: Collioure, Fälschung nach André Derain, Detail: Goldspur am rechten Rand

Wolfgang Beltracchi: Collioure, Fälschung nach André Derain, Detail: Goldspur am rechten Rand

Bereits seit einigen Jahrzehnten werden in Fachkreisen Forderungen nach einem zentralen Fälschungsarchiv laut. „Es fehlt eine Institution, die sich systematisch mit Fälschungen und Nachbildungen beschäftigt […]“[1], wie die Kunsthistorikerin Inge Zacher 1976 anlässlich der Ausstellung „Fälschung und Forschung“ im Museum Folkwang betont. Auch in aktuellen Publikationen etwa von Anita Gach, Leiterin des Referats Kulturgutdelikte im BKA in Wien, findet ein derartiges Vorhaben den entsprechenden Zuspruch.[2] Die Vorteile eines solchen Fälschungsarchivs liegen auf der Hand: Nicht nur werden einmal entlarvte Fälschungen dem Kunstkreislauf entzogen; auch können sie interdisziplinär in die universitäre Forschung und Lehre eingebunden werden. Hierdurch werden künftige Expert:innen bereits während ihrer Ausbildung mit Fälschungen konfrontiert, was zu einer weiteren Prävention beitragen kann. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit etwa mit der Kriminologie, Jurisprudenz, Kunsttechnologie und Sozialwissenschaft ermöglicht sodann, Fälschungen multiperspektivisch zu erforschen und hieraus weiterführende Erkenntnisse nicht nur für die Kunstgeschichte abzuleiten. Da sich aus einer derart systematischen Erforschung von Fälschungen auch Ergebnisse entwickeln, die als eine Art Frühwarnsystem fungieren können, ist eine transparente Kommunikation grundlegend. Denn die Fälschungsfälle der letzten Jahre haben gezeigt, dass die zeitnahe Entlarvung von Fälschungen (und nicht erst nach ihrer Verjährung) auch an der mangelnden Kommunikation der Beteiligten scheiterte. Entsprechend formuliert auch Gach: „Wünschenswert wären mehr polizeiliche Anzeigen, um dem Problem strafrechtlich begegnen zu können.“[3]

 

Dass derartige Vorhaben trotz ihrer Vorteile bisher nicht umgesetzt werden konnten, liegt mitunter an der gesellschaftlichen und kunsthistorischen Wahrnehmung von Fälschungen. So werden Kunstfälschungen in der breiten Öffentlichkeit oftmals aufgrund ihres vermeintlich unterhaltsamen kriminellen Hintergrunds und ihres Glamours entweder mit einer gewissen Faszination verherrlicht oder gänzlich verteufelt, während sie in der Kunstgeschichte als ästhetisch minderwertig gegenüber den Originalen angesehen werden.

 

Im Januar 2021 ist es Prof. Dr. Henry Keazor allerdings gelungen, eine derartige Fälschungsstudiensammlung an der Universität Heidelberg zu etablieren. Unter dem Namen HeFäStuS (einem Akronym für „Heidelberger Fälschungs-Studien-Sammlung) wurde am Institut für Europäische Kunstgeschichte (IEK) in Kooperation mit dem Landeskriminalamt Berlin sowie privaten Kunstsammlern eine dynamisch wachsende Sammlung gegründet, die aktiv in die aktuelle Forschung und Lehre eingebunden ist.

 

Dabei zeigte sich gleich im Rahmen der Sichtung und Digitalisierung der ersten Sammlungsobjekte ein weiterer Vorteil eines Fälschungsarchivs. Denn üblicherweise treten Kunstfälschungen auf dem Kunstmarkt als Einzelwerke in Erscheinung, die – wenn auch aus einem Konglomerat diverser Fälschungen des gleichen Fälschers stammend – zudem international und somit räumlich und zeitlich getrennt voneinander verkauft werden. Zuweilen werden diese vermeintlich marktfrischen Neuentdeckungen – auch aus logistischen Gründen – kaum mit Werken des gefälschten Künstlers im Original verglichen. Etwaige Unstimmigkeiten materieller und inhaltlicher Natur fallen so kaum auf, was die Wirksamkeit von Kunstfälschungen um ein Vielfaches erhöht. Bringt man jedoch diverse Fälschungen unterschiedlicher Epochen, Sujets und Künstler in einen physischen Vergleich, werden Merkmale der jeweiligen Objekte deutlich, die in der Einzelansicht kaum aufgefallen wären. So konnte bei der Untersuchung einer Fälschung im Stil des französischen Historienmalers Jean-Léon Gérôme die Imitation von Rahmenabdrücken auf der Leinwand festgestellt werden. In einem Vergleich mit der Beltracchi-Fälschung „Collioure“ im Stil André Derains zeigte sich sodann eine ähnliche Imitation eines ehedem vorhandenen Rahmens. Beltracchi simuliert allerdings keinen mechanischen, sondern einen farbigen Abdruck, indem er am inneren Rand des Gemäldes in einem Abstand von etwa einem Zentimeter eine goldene Farbspur verlaufen lässt. Diese Spur ist derart fein angelegt, dass nur bei intensiver Beobachtung und bestenfalls mit einer Vergrößerung deutlich wird, dass jener vermeintliche Abdruck malerisch ins Bild gesetzt wurde und nicht etwa durch einen tatsächlichen goldenen Bildrahmen entstanden ist. Dies korrigiert die in einigen kunsttechnologischen Gutachten anzutreffende Lesart, dass es sich bei dieser Goldspur um Hinweise auf die Behandlung eines früheren Schmuckrahmens mit Goldfarbe handeln könnte: Diesem Verständnis zufolge wäre Goldfarbe zwischen den Schmuckrahmen und die Malschichtoberfläche geraten. Gerade jedoch bei einem derart wertvollen Gemälde wie einem Derain, scheint eine solch nachlässige Rahmen- und auch Gemäldebehandlung eher unwahrscheinlich. Zudem belegt die analoge Vortäuschung eines Rahmenabdrucks im Falle des gefälschten Gérôme-Gemäldes, dass eine solche Praxis im Bereich der Kunstfälschung keineswegs singulär ist.

 

Somit konnte ein weiteres Fälschungsmerkmal systematisiert werden, dessen Beachtung bei künftigen Expertisen hilfreich sein kann. Der zusätzliche Vorteil eines zentralen Fälschungsarchivs besteht also darin, Fälschungen diverser Urheber, Epochen, Gattungen und Sujets in einen Vergleich bringen zu können, der bis dato nicht möglich war und in der Kunstgeschichte zu umfangreicheren Erkenntnissen führen kann, als dies bisher der Fall war. 

 


[1] Zacher, Inge: Aufgaben eines zentralen Fälschungsarchivs, in: Ausst.-Kat. Fälschung und Forschung, hrsg. v. Heinz Althöfer, Essen 1976, S. 199- 203, hier: S. 201f.

[2] Gach, Anita: Kunstfälschungen aus polizeilicher Sicht, in: Kunst & Recht, 2020/2 und 2021/1, S. 129-137, hier: S. 136.

[3] Ibid.  S. 137.

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