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„Alte und neue Horizonte der Kunstgeschichte– Eine Zwischenbilanz“ – Hans Beltings Festvortrag anlässlich internationaler Tagung am 12. November an der LMU München

Gastbeitrag von Ulrike Keuper, München

 

Die internationale Tagung „Horizonte - 'Grundbegriffe' einer globalen Kunst- und Bildwissenschaft“ – anlässlich des 100jährigen Bestehens des Instituts für Kunstgeschichte der Ludwigs-Maximilians-Universität München – begann am letzten Donnerstag mit einem festlichen Auftakt: Hans Belting redete, über 20 Jahre nach seiner Antrittsvorlesung an selbigen Ort, über „Alte und neue Horizonte der Kunstgeschichte.“ Seine fachgeschichtliche Zwischenbilanz gliederte sich dementsprechend in einen Rückblick, eine Gegenwartsbestimmung und einen Ausblick in die Zukunft.

Nicht unerwartet geht seine Retrospektive von seiner Münchener Antrittsrede 1983 aus, in der er das „Ende der Kunstgeschichte“ zur Diskussion stellte und nach einer Methode suchte, den Graben zwischen akademischer Kunstgeschichte und Gegenwartskunst zu schließen. Immer wieder außereuropäische Kunstgeschichtsschreibung einbeziehend, umreißt er anschließend gegenwärtige Forschungsbemühungen aus drei Perspektiven: aus jener der „World Art History“ als Geschichte der Weltkunst im Unterschied zur „World Art History“ als Weltgeschichte der Kunst; zuletzt der „Global Art“, welche die zeitgenössische Kunstproduktion der letzten 20 Jahre auf dem gesamten Globus umfasst. Einen Kern seiner Ausführungen bildet die Feststellung, dass für eine europäische Kunstwissenschaft in einer dezentralen, globalisierten Welt eine Praxis des Blickwechsels unerlässlich ist. Diese Idee, die Belting in seiner jüngsten Publikation „Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks“ stark macht, nährt sich vom Befund, dass westliche Kunst seit jeher fremde kulturelle Einflüssen aufnahm. Eine postkoloniale Kunstgeschichte sollte daher davon Abstand nehmen, über andere Kulturen das letzte Wort haben zu wollen, denn durch den unvoreingenommenen Blick auf nichteuropäische Kulturen lasse sich letzten Endes an Erkenntnis über die eigene Kultur hinzugewinnen.

War der gesamte Vortrag von Beltings persönlichem Erleben der Entwicklungen in seiner Disziplin gefärbt, betont er bei seiner Prognose explizit, dass er sich ihr durch subjektive Bemerkungen zu nähern versuche. Dabei möchte er seine Worte nicht als Plädoyer für die Bildwissenschaft missverstanden wissen, sondern reklamiert vielmehr die Erforschung visueller Kultur als Stammaufgabe der Kunstgeschichte. Belting fordert, von einem Selbstverständnis der Kunstgeschichte als Objektgeschichte abzurücken. Stattdessen sollten wir verstärkt versuchen, den Kunstbegriff zu entgrenzen, also: das Kunstwerk und seine Rezeption als Ausdruck einer lokalen (wenngleich von anderen Modellen kultureller Praxis beeinflussten) Kultur zu begreifen.

 

Die Tagung fand vom 12.-14. November 2009 statt (Link zum Tagungsprogramm).

6 Kommentar(e)

  • ach! Deswegen redet hier keiner mit mir! Alles Leser! Sehr schön! Das, was ich schreibe, ist aber nicht da, um verinnerlicht zu werden, sondern damit man darauf reagiert. Gibt es hier auch mal Kaffeepause? Darf ich fragen, was Sie gerade lesen? Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das hier zwar eine Fachbibliothek, aber eine VIRTUELLE !!!!!!! Gebundene Rede in Schriftform erwünscht! Danke! :)

  • Robert Raml
    18.11.2009 09:33

    ... uwir müssen für Beltings Blick nach Bagdad nicht einmal das Portal verlassen, - die Rezension gibts auch in der Kunstform auf arthistoricum: http://www.arthistoricum.net/index.php?id=276&ausgabe=2009_02&review_id=14408

  • :) grazie mille!

  • Anika Meier
    17.11.2009 22:33

    Zu Beltings jüngster Publikation, liebe ih, gibt es selbstverständlich bei sehepunkte eine Rezension: http://www.sehepunkte.de/2009/02/14408.html

    Wahlweise auch bei amazon - ein schlechter Scherz, Verzeihung!

  • Bin ich hier eigentlich die Einzige, die die genera dicendi bemüht? Die Redakteure meine ich nicht. Die haben genug zu tun. Wo bleibt der Rest? :)

  • Da bin ich aber auch froh, dass wir nach einem Viertel Jahrhundert das Ende des Endes des Fachs einläuten und uns wieder der in letzter Zeit vernachlässigten Kunstbetrachtung widmen dürfen. Ich habe mich auch schon gefragt, wozu denn das Internet gut sein sollte? Dass es u.a. den Blick auf Kunstwerke freigibt und ggfs. neue Sichtweisen erschließt, wäre mir fast entfallen.

    Außerdem hatten wir hier ohnehin mit der Suche nach der verloren gegangenen Mitte alle Hände voll zu tun. :D Jetzt wissen wir zumindest, dass wir sie (vielleicht sogar zeitlich zurück?) im Osten suchen müssen. Ich dachte schon, das Christentum sei vorgestern am Atlantik erfunden worden, Geld sei mehr als nur ein Tauschmittel und Dada auch ohne Bürgertum zustande gekommen.

    Fragt sich nur, wie subjektive Wahrnehmung und kollektives Bewusstsein in Einklang gebracht werden können, zumal wir über persönliche Erfahrungen gelegentlich in Sentenzen sprechen und die Semantik des Schweigens oft genug falsch dekodieren?

    Gibt es schon eine Online-Rezension zu der o.g. Neuerscheinung von Hans Belting?

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