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Bericht 2. #ArthistoCamp

von Yasmin Frommont

Als Vorkonferenz zum 36. Kunsthistorikertag (ab sofort Deutscher Kongress für Kunstgeschichte!) fand am 22. März 2022 das zweite #ArthistoCamp im digitalen Raum statt. An dem Barcamp, ausgerichtet vom Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte, beteiligten sich über 60 Interessierte. Einige Themenvorschläge und mögliche Referent*innen hatten sich schon im Vorfeld gemeldet, sodass die Teilnehmenden direkt in die Abstimmung der Sektionen starten konnten. Als besonders spannend am Format des Barcamps empfand ich die Hierarchiefreiheit, da sich von Studierenden bis Professor*innen alle gleichberechtigt einbringen können und miteinander ins Gespräch kommen. Drei Themen der gut besuchten Sessions wurden bspw. von Studierenden vorgeschlagen.

Bevor es in die erste Runde mit fünf parallelen Sektionen ging, startete das ArthistoCamp mit einem Input zum Kulturerbe in der Ukraine. Der Krieg und die Zerstörung von Kunst und Kultur sowie der beispielslose Einsatz der Kolleg*innen vor Ort sollte auch in den kommenden Tagen auf dem Kunsthistorikertag konstantes Thema bleiben. So fand an allen Tagen ein Ukraine Forum statt, dass sich u.a. denselben Fragen widmete, wie auch die nachfolgenden Sessions auf dem Arthistocamp: was können wir Kunsthistoriker*innen tun und wie ist es möglich, Bilder und Informationen über die Situation zu filtern und zu verifizieren. Wie sollte mit den Objekten in den Museen, Magazinen oder im Stadtraum umgegangen werden? Hier soll nur kurz darauf hingewiesen werden, dass der Deutsche Verband für Kunstgeschichte (vorher Verband Deutscher Kunsthistoriker) im Anschluss an die Konferenz in Stuttgart eine Resolution veröffentlicht hat, die hier zu finden ist.

Session: Ukraine (hands on) - kulturelles Erbe

An den Input anknüpfend, startete die Session mit einer Vorstellung von Wikidata und Wiki Loves Monuments und der Möglichkeit, durch Objekterfassung und Sichtbarmachung von Kulturgut die Ukraine zu unterstützen. Die Referentinnen stellten fest, dass ein großes Problem bei der Erfassung von ukrainischen Kulturgut darin läge, dass die Deutsche Kunstgeschichte zu lange die Osteuropäische Kunstgeschichte aus dem Blick gelassen hatte und nun großer Nachholbedarf in der Einordnung und Erkennung von Objekten bestünde. Auch wenn die ukrainischen Kolleg*innen im Bereich der Digitalisierung von Objekten, Museen oder Monumenten schon vor dem Krieg viel geleistet haben, ist weitere Unterstützung unabdingbar. Die Erstellung von Datenbankeinträgen stehe aber vor vielen Hindernissen: Ein Problem liegt darin, dass richtige Informationen von Falschinformationen unterschieden werden müssen, da von russischer Seite gezielt Einträge gelöscht oder geändert wurden. Außerdem sind viele ukrainische Seiten in den letzten Wochen Hackerangriffen zum Opfer gefallen, weshalb die Denkmallisten teilweise verändert worden sind oder die Daten mit Viren belastet sein können. Bei der Arbeit ist zu Vorsicht und Sorgfalt geraten. Zum Schluss der Session wurden noch praktische Hinweise zum Editieren von Wikidata sowie die bekannten Infoportale benannt, die bei der Arbeit helfen: SUCHO, das Herder Institut, Europeana oder auch ukrainische Museen selbst: Diese stellen schon viele Informationen und Bilder zur Verfügung, die mit Wikidata verbunden werden können. Die Erstellung von Einträgen erhöhe die Sichtbarkeit von ukrainischer Kunst und Kulturgut, sodass die Menschen in der Ukraine nach einem Ende des Krieges an ihre identitätsstiftende kulturelle Überlieferung anknüpfen können. Zugleich schafft eine Sichtbarmachung und Dokumentation des Kulturguts auch eine Sichtbarmachung des Landes.

 

Session: Forschungsfelder der Zukunft in der digitalen Kunstgeschichte

Die Teilnehmer*innen tauschten sich über die Möglichkeiten der digitalen Kunstgeschichte abseits der Nutzung von Datenbanken aus. Es wurde schnell klar, dass es schwierig ist, klare Forschungsfelder zu benennen, da die Anwendungsbeispiele so unterschiedlich sind. Aus der Diskussion ergab sich die Frage, wie Forschende oder Studierende in Erstkontakt mit digitalen Methoden kommen. Wie kann man als „klassische“ Kunsthistoriker*in sich dem Thema widmen? Wie sieht die Zusammenarbeit von Kunsthistoriker*innen und Informatiker*innen und die Finanzierung von gemeinsamen Projekten aus? Wie kommt man in Kontakt mit digitaler Kunstgeschichte?
Aus der Kunstgeschichte kommend ist der Zugang zu den Digital Humanities und digitaler Kunstgeschichte häufig ein Sprung ins kalte Wasser oder Try + Error – eine gute Grundlage sei Offenheit und Interesse an digitalen Medien. Es fehlen häufig Berührungspunkte im Studium, ein früherer Kontakt mit verschiedenen digitalen Methoden würde die Hemmschwelle in der Beschäftigung senken und frühzeitig aufzeigen, welche Möglichkeiten die Digitale Kunstgeschichte böte.

Session: Neu in Form gebracht? Von der Rekontextualisierung und Neuausrichtung einer 20 Jahren alten Datenbank (Datenkuration)

Das Projekt Deutsch-Franz. Kunstvermittlung 1871-1940 und 1945-60 des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris (DFK) stellt sich vor. Entstanden ist das Projekt im Rahmen einer Buchpublikation: Es beinhaltet rund 6700 Einträge, die zwischen 1870 und 1940 in deutschen und französischen Zeitschriften veröffentlicht wurden. Darunter befinden sich Ausstellungsbesprechungen, Bücher, Reiseberichte und monographische Artikel, die sich mit der Kunst des Nachbarlandes beschäftigen. Innerhalb des Projektes stellte sich schnell die Frage, wie eine Datenbank genutzt werden könne, die ursprünglich als Arbeitsmittel eines Buchprojekts konzipiert worden ist. Werden die Daten durch die Einbettung in den historischen Kontext besser oder handelt es sich hier um eine Analoge Kunstgeschichte mit digitalen Hilfsmitteln? Klar wurde, dass die Aufbereitung der Einträge und die Überführung dieser in eine Datenbank zukünftige Forschungen möglich mache. Deshalb sollen in Zukunft die Daten über heiDATA publiziert werden und so zitierbar gemacht werden. Die Datenbank ist seit 2019 online und kann hier aufgerufen werden: https://t1p.de/dsu34.

Session: Digitale Architektur, Digitale Erschließung komplexer Objekte

Es gehört zum Barcamp, dass manche Sessions komplett spontan entstehen, auch wenn vielleicht gar keine Expert*innen für das Thema zur Verfügung stehen oder erst während der Diskussion festgestellt wird, dass doch mehr Personen zu einem Thema beitragen können, als sie selbst gedacht hätten. So auch in dieser Session.
Ausgehend von der Fragestellung, wie mit großen Objekten wie Bauwerken oder Raumgefügen umgegangen werden kann, stellte Rudi Risatti das rekonstruierte Modell des Freilichttheaters auf der Prager Burg vor. Das Modell basiert auf dem Stich von Giuseppe Galli Bibiena [Costanza e fortezza, 1723, Theatermuseum Wien]. Das digitale Modell war eigentlich nur zur Vorbereitung eines realen Modells für eine Ausstellung entstanden, bietet aber nun die Möglichkeit, die Rekonstruktion für weitere Vorhaben zu nutzen, wie VR oder AR. Die Nutzung von Modellen oder Rekonstruktionen kann in der Forschung helfen, Gedankenspiele zu testen oder neue Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand zu ermöglichen, wobei darauf geachtet werden muss, dass sich dadurch nicht der Blick verstellt. Wo müssen Bereiche „grau“ bleiben wegen unsicherer Quellenlage, wo sind Bilderquellen vielleicht auch manipuliert?

Digitale Rekonstruktion

Es braucht eine gute Synthese zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und Vereinfachung/ Visualisierung des Objekts. Die Vernetzung von Architekturfakultäten und der kunsthistorischen Denkmalpflege könnte darin auch neue Aspekte setzen.

 

Fazit:

Der große Reiz an einem Barcamp liegt definitiv in der Spontanität und Offenheit gegenüber Vorschlägen und Beiträgen der Teilnehmer*innen. Durch die unbefangene Diskussion sind auch Gedankenspiele und Assoziationen möglich, die sonst im Feilen nach der besten Formulierung und Präsentation häufig untergehen. Besonders hervorzuheben ist, dass auch diejenigen, die sich zuvor nur wenig mit Digitaler Kunstgeschichte auseinander gesetzt haben (wie ich), direkt Anschluss gefunden haben und mitdiskutieren konnten – das ArthistoCamp eignet sich hervorragend, um erste Berührungspunkte mit der Digitalen Kunstgeschichte zu sammeln und die Hemmschwelle zu senken.

Auch wenn die digitale Veranstaltung wahrscheinlich zum Teil der Pandemie geschuldet war, hat das der Produktivität nicht geschadet. Es fehlte zwar der Pausenraum zum weiteren Austausch, aber einige Gesichter konnte man auf dem nachgelagerten Kunsthistorikertag wiedersehen. Sollte das nächste Camp auch Online stattfinden, könnte überlegt werden, Pausenräume bspw. via wonder.me oder Ähnliches anzulegen.

 

Über die Autorin:
Yasmin Frommont ist Doktorandin im Fach Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg und forscht zu Relationalen Stadträumen im 16. Jahrhundert in Italien am Beispiel der Santa Maria degli Angeli in Rom.

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