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Sadie Hawkins Day: Der blanke Hohn im Empowerment-Gewandt

Jedes Jahr am 13. November feiert Amerika den Sadie Hawkins Day. An diesem Tag herrscht Damenwahl: Mädchen laden Jungen zum Ball ein, üblicherweise an High-Schools, Middle Schools oder Colleges. 
 

Klingt soweit gut?
 

Unabhängig davon, dass durch diese Umkehr der Norm und ihre Stellung als Besonderheit lediglich das sonst herrschende Machtgefälle betont wird, ist es an dieser Stelle lohnenswert einen Blick auf den Ursprung des Ganzen zu werfen: Die Namensgeberin des Tages taucht zum ersten Mal 1937 im Comicstrip Li’l Abner von Alfred Gerald Caplin, bekannter als Al Capp, auf. Von 1934 bis 1977 wurde Capps Werk in einer Vielzahl an amerikanischen, kanadischen und europäischen Zeitungen, darunter The Boston Globe und The Times, veröffentlicht. 

Der Strip folgt in satirischer Manier dem Leben der Bewohner:innen eines ländlichen amerikanischen Bergweilers. Dogpatch, so der Name der fiktiven Siedlung, ist die Heimat der Familie Yokum – eine Zusammensetzung der Wörter yokel (dt.: Bauerntrampel) und hokum (dt.: Humbug) – deren Sohn Li’l Abner (dt.: kleiner Abner) der Reihe ihren Namen gibt. Wie alle Dogpatch-Bewohner ist er weder ein großer Freund von Arbeit noch von Fortschritt. Auch vor der Heirat drückt er sich lange – sehr zum Leid seiner, an Marilyn Monroe und Mae West angelehnten, Freundin Daisy Mae Scraggs. Erst in den 1950ern fügte sich Capp schließlich den Wünschen seiner Leserschaft und ließ die beiden sich das Ja-Wort geben. 

Doch bevor es soweit kam, litt Li’l Abner viele Jahre unter den Strapazen des sogenannten Sadie Hawkins Days, eines fiktiven Feiertages, der jährlich in Dogpatch begangen wird. Erwähnt wird der Begriff erstmals am 13. November 1937, woraufhin zwei Tage später der Strip The Strange Case of Sadie Hawkins – Part 1 (teilweise auch The Strange Case of Sadig Hawkins – Part 1) erschien. 

Obwohl sich der Sadie Hawkins Day am 13. November etablierte, findet er im Comic an unterschiedlichen Tagen statt. Der fiktive Feiertag wurde letztlich nicht dem Datum, sondern der Handlung angepasst und ereignete sich zeitlich so, wie es für die Geschichte dienlich war.

Die Leserschaft erfährt in einer Rückblende, dass es sich bei diesem fiktiven Feiertag um die Erfindung des ersten Dogpatch-Siedlers Hekzebiah Hawkins handelt. Begründet wird die Neuerung mit Sadie Hawkins, der Tochter Hekzebiahs, die mit 35 Jahren immer noch das unglückliche Leben einer unverheirateten Frau fristet. Von Capp als „the homeliest gal in them hills“ beschrieben wartet sie vergeblich auf das Wunder der Ehe. Da ihr Vater mit Schrecken auf eine Zukunft blickt, in der Sadie immer noch bei ihm wohnt, verpflichtet er die Bewohner der Siedlung an einem Wettstreit teilzunehmen: Derjenige, der sich von seiner Tochter fangen lässt, wird ihr Ehemann. 

Das Vorhaben gelingt und Sadie verlässt als glücklich verheiratete Frau den Platz. Von ihrem Erfolg beflügelt, beschließen die alleinstehenden Dogpatch-Bewohnerinnen dieses Ereignis jährlich am 9. November zu wiederholen und sich so eine Ehe zu ermöglichen.
Nun handelt es sich bei diesem Strip natürlich um ein Werk aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, womit sich die antiquierte Meinung zu unverheirateten Frauen erklären lässt. Auch wird deutlich, dass Capp auf humoristische Weise die Geschlechterrollen vertauschen möchte.

Nach Veröffentlichung des Strips fanden innerhalb von zwei Jahren an bereits über 200 Colleges Sadie Hawkins Day Feiern statt, viele davon beinhalteten sogar die Männerjagd. Auch heute noch richten amerikanische Schulen und Universitäten Sadie Hawkins Bälle als emanzipatorisch angehauchte Veranstaltung aus. Geschätzt wurde und wird dabei vor allem die Rollenumkehrung und der damit verbundene Wechsel der Frauen von der passiven in die vermeintlich aktive Rolle, wodurch die gesellschaftlichen Regeln ebenso wie codiertes Dating-Verhalten als gebrochen gelten. 

Doch stellt das Comic-Event tatsächlich eine adäquate Grundlage für heutige Pseudo-Feiertage und Jugendveranstaltungen dar, die sich darüber hinaus das inflationär benutzte Wort „Empowerment“ auf die Fahne schreiben? So findet sich beispielsweise im August 2017 in ENTITY Mag – Women That Do – Inspire, Educate, Empower, einem Onlinemagazin, das zum Online-Bildungsunternehmen ENTITY Academy gehört, der Artikel 5 Ways A Powerful Woman Makes the First Move for Sadie Hawkins Day. Ermutigt werden Frauen mit folgendem einleitenden Satz: „Attention empowered women of 2017, grab your courage this Sadie Hawkins Day (November 15th) and finally go for it with the guy or gal you’ve been waiting to ask you out. After all, if you want something done right, you have to do it yourself, right?“. Zwar wird der Ursprung des Tages nicht unkritisch erklärt, doch mit „Yay, gender equality!“ anschließend auch erläutert, dass er sich von seinen Ursprüngen freigekämpft habe und auch ohne die Männerjagd eine gute Möglichkeit für Frauen sei den ersten Schritt zu machen.

Auch der Holidays Calendar, ein Online-Kalender für weltweite Feiertage, beschreibt den Feiertag folgendermaßen: „The purpose of this day is to empower women to take control of their lives.“

Obwohl sich der Tag beständig in Veranstaltungs-Kalendern findet, ist ein langsamer Prozess des Umdenken in Gang geraten. Dafür liefert der Strip auch einige Gründe. Denn obgleich Damenwahl herrscht, ist die Frau auf den Antrag des Mannes, den sie gefangen hat, angewiesen. Auf der anderen Seite haben die Männer nichtsdestotrotz kein Entscheidungsrecht und sind dazu verpflichtet um die Frau zu freien. So erzeugt Capp auf einzigartige Weise eine Art Zwangsheirat und schafft es, das Bild der passiven Frau mit einer gegen den Willen des Mannes stattfindenden Heirat zu vereinen und alle Beteiligten unglücklich zurückzulassen.

Zudem stellt Capp die Frauen als äußerst aggressive Jägerinnen dar, die sich voller Tatendrang und mitunter ohne Gnade auf die Dogpatcher Junggesellen stürzen, oder zu anderen Mitteln wie Sprengpulver greifen.
Frauen ist es untersagt zu arbeiten, Geld zu verdienen und sich eine eigene Existenz aufzubauen, weshalb die Ehe für sie gezwungenermaßen Sicherheit bietet. Darüber hinaus wird der Wert der Frau an ihrem Beziehungsstatus gemessen, wie das Verhalten Hekzebiahs verdeutlicht. Statt auf diese Problematik einzugehen, stellt Capp die weibliche Versessenheit auf die Ehe jedoch als unbegründete Hysterie dar.

Da der Fokus im Comic auf Li’l Abner liegt, steht bei jedem Sadie Hawkins Day auch die unglücklich in ihn verliebte Daisy Mae im Mittelpunkt. Der Clou der Strips ist es, dass Abner sich bei jedem Sadie Hawkins Day um die Hochzeit drücken kann. Die Spannung für die Leserschaft wird insofern erzeugt, als bis zum Ende nie klar ist, wie genau es ihm gelingt. Von vorneherein deutlich ist dafür jedes Mal, welch ein Gräuel das Gefangenwerden und die damit einhergehende Ehe für die Dogpatcher und insbesondere Li’l Abner darstellt. Denn die Ehe wird im Comic als ein Zustand gezeigt, infolgedessen Männer ihre Macht und Stärke verlieren, da Frauen sie von ihrem Alltag abhalten würden, ihren Abenteuern und ihrem Nichtstun. So wird dem Bild der heiratspanischen, verzweifelten Frau, die ebenso konstruierte und gleichwohl stigmatisierende Darstellung des soliden Alphatiers, der sich Gefühlen und Schwäche entzieht, gegenübergestellt.

Um Daisy Mae und damit der Ehe zu entkommen, rennt Li’l Abner im Strip von 1939 bewusst in einen Brand. Durch einen Monolog erfährt die Leserschaft, dass der Protagonist den Flammentod der Heirat vorziehen würde. Glücklicherweise kommt es bereits zwei Panels später zu einer Wendung und Abner muss die bewusstlose Daisy Mae, die ihm ins Feuer gefolgt ist, heldenhaft aus der Gefahr retten. 

Das Problem daran ist, dass er, um sie zu retten, mit ihr im Arm über die Ziellinie läuft, was den Regeln nach bedeutet, dass er ihr einen Antrag machen muss. Als Daisy Mae jedoch hört, dass Li‘l Abner mit dieser Tat lediglich „ihr Leben retten, nicht seines ruinieren“ wollte und die Siedlungsbewohner:innen zusätzlichen Druck aufbauen, weist sie unter Tränen den Heiratsantrag ab. Dass Li’l Abner daraufhin einen Freudentanz aufführt und sich zum glücklichsten Mann der Welt erklärt unterstreicht die Aussage des Strips zusätzlich.

1952 gaben sich Li'l Abner und Daisy Mae schließlich doch das Ja-Wort und obwohl man annehmen könnte, dass die Hochzeit der beiden Charaktere ein Resultat des Sadie Hawkins Days sei, findet sie unabhängig davon statt. Wie bereits angedeutet gelingt es Daisy Mae zwar des Öfteren Li’l Abner zu fangen, doch tritt in letzter Sekunde immer ein Szenario ein, das die Ehe vereitelt oder ungültig werden lässt.

Was bleibt ist ein fader Beigeschmack von einem Rollenbild, das so schon lange nicht mehr vermittelt werden sollte und die Frage warum ein Tag mit dieser Grundlage noch heute gefeiert wird.

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