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Umorientierung der Museen

Von finanzieller Krise scheinbar keine Spur: Wenn man sich in der Rhein-Main-Region umsieht, stellt man fest, dass erstaunlich viele Museen (über 20) neu konzipiert werden, Sanierungen erfahren, Erweiterungsbauten erhalten, ihre Flächen ausdehnen. Dieser Aufbruchssituation widmete sich gestern eine Tagung, die von der Kulturinitiative Rhein-Main (kirm) im Frankfurter Senckenberg-Museum veranstaltet wurde. Das Thema bietet sich insofern an, als dass die verschiedenen Häuser und damit auch die Politik auf vielerlei Phänomene reagieren, die solche Maßnahmen erfordern: Es suchen zwar 10 % der Bevölkerung Museen als Ort der Bildung auf (so Volker Rattemeyer in seiner Einführungsrede), der Kulturtourismus steigt, doch die Zahl der klassischen Bildungsbürger nimmt ab. Man muss sich also auf neue Präsentationsformen einrichten, wesentlich mehr digitale Vermittlungsinstrumente einsetzen und sich der Besucherbeteiligung öffnen, auch vor allem, um ein jüngeres Publikum für den Museumsbesuch zu begeistern. Vom „Labor“ war mehrfach die Rede. Aus dem klassischen "Betrachter" wird der "Nutzer" (Jan Gerchow, Historisches Museum Frankfurt). Claudia Dillmann, Leiterin des Frankfurter Filmmuseums sprach davon „Neues zu wagen“ und „radikaler zu denken“. Sie vertritt ein Haus, das gerade nach 22 Monaten Umbau wiedereröffnet wurde.

 

Wenn man allerdings sieht, welche unglaublichen Summen verbaut werden und noch verbaut werden sollen, fragt man sich, ob sich das auch infrastrukturell spiegelt. Die klassischen Aufgaben des Museums – Sammeln – Forschen – Bewahren – Vermitteln – erfahren eine Verschiebung hin zur Bedienung einer Eventkultur. Auch werden Gelder durch Spendenaktionen für Erweiterungsbauten gebunden, die vielleicht eher für eine bessere Ausstattung der personellen Situation oder für Ankäufe nutzbar zu machen wären. Susanne Gaensheimer, die zwar beklagte, dass ihr Haus, das Frankfurter Museum für Moderne Kunst, stets nur einen Bruchteil der Sammlung zeigen könne, weil die Ausstellungsfläche einfach nicht vorhanden ist, und dass die große temporäre Präsentation zum 20. Jubiläum ihres Museums auf dem alten Degussa-Areal gerade die Hälfte der Sammlungsobjekte hätte präsentieren können, plädierte denn auch für mehr Besonnenheit und für eine Bündelung der Ressourcen der Museen einer Stadt. Dass allerdings eine „Entstaubung“ vielerorts notwendig ist, daran besteht kein Zweifel.

2 Kommentar(e)

  • cogries
    11.11.2011 14:15

    Hierzu passt wohl auch eine provokante These, die die belgische Publizistin und Kuratorin Régine Debatty kürzlich mit Rui Guerra diskutiert hat. So stellt Guerra die (ironische) Frage, wie es zu bewerten wäre, wenn die Onlineaktivitäten eines Museums plötzlich in den Fokus der eigenen Tätigkeit gelangen würde und die klassischen Ausstellungen nur noch als Marketingtool benutzt werden, um das Publikum auf die eigene Website (dann wohl eher digitale Plattform) zu bringen: “Wouldn’t it be ironic if in the near future, offline exhibitions would be just a marketing strategy to attract visitors to websites?” Am Beispiel der Tate führt er den Besucherwechsel vor Augen, der sich in den vergangenen zehn Jahren vom physischen Erleben im Museumsbau zum digitalen Erleben im Web vollzogen hat. Zugleich unterstreicht er die Einschätzung, daß Websites (und in diesem Sinne wohl auch der größte Teil der eigenen Onlinepräsenz) von Kultureinrichtungen vielfach noch immer als Ankündigungsplattformen oder “Broschüren” bewertet werden und als Marktingtool ausschließlich der Anwerbung “realer” Besucher dienen. Womöglich würde also eine "Enstaubung" der Museen auch ein deutliches Bekenntnis zum digitalen Raum bedeuten? Link dazu: http://blog.iliou-melathron.de/index.php/2011/11/onlinestrategie-fur-museen/

  • Hubertus Kohle
    11.11.2011 13:49

    Stimme völlig zu.
    Man könnte z.B. einmal überlegen, wie die Museen
    www.artigo.org.
    zur Besucherbindung nutzen könnten :)
    Habe dazu mal einen Artikel für Museum Aktuell geschrieben, der leider nicht online ist
    http://www.museum-aktuell.de/index.php?site=show_ausgabe&monat=08&jahr=2009