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Rudolf Stingel. Live

Neue Nationalgalerie Berlin

Mi 10. Februar - Mo 24. Mai 2010

 

Allein Rudolf Stingels Gemälde von Fotografien im Untergeschoss der Nationalgalerie sind einen Berlin-Besuch wert. Wie er hier anhand von Fotos von Ernst Ludwig Kirchner, die er mitsamt Fusseln, Kratzern und Fingerabdrücken monumental in Öl gibt, eine radikale Antwort der Malerei auf die Fotografie findet, ist sehr sehenswert und dazu ein wunderbar computerloses Stück Medienkunst.

 

Die riesengroße Installation im ebenerdigen Ausstellungsraum zeigt den Rand der Kunst: einen Boden aus Salon-gemusterter schwarzweißer fotorealistischer Auslegeware und einen gigantischen Kronleuchter. Die vielen Kinder nehmen das sehr ernst und tollen herum, wie sie es schon immer im elterlichen Wohnzimmer haben tun wollen. Dabei sähe das Ganze auch aus wie das Innere einer (lichtdurchfluteten) Moschee. Wenn eben die Kinder nicht wären.

1 Kommentar(e)

  • Seit einigen Jahren (oder sind es schon Jahrzehnte?) gibt es in der Kunst (aber nicht nur) ein schleichendes Phänomen, dem vielleicht zu wenig Beachtung geschenkt wird, wobei - wie ich meine - dessen Rezeption von einer traditionsgebundenen Wahrnehmung gebremst wird. Das Decorum tritt (mit Vorsicht aber auch mit zunehmendem Nachdruck) an Stelle des Inhalts und wird in der Regel als schmückendes Beiwerk gelesen (falsch dekodiert) und im gleichen Atemzug abgelehnt (s.a. Kritik an manchem als, weil formgebunden, "zu leicht" empfundenen Internetauftritt).
    Gut, tektonische Formen, die dem organischen Prinzip unterworfen werden und dabei schwungvoll und dekorativ den Raum einnehmen, hat man nicht erst seit Frank O'Gehry (Bsp. Bilbao), sondern man kennt das schon seit dem Zeitalter des Barock (Bsp. Kloster Melk). Gestylte Musiker aus Pop, Rock und Rap kennt man auch schon lange, doch erscheint der überzogen auf Äußerlichkeiten angelegte Auftritt mancher Sänger sich erst im Design zu vollenden. Im Umgang mit der Sprache ist es ebenfalls bekannt, dass ein Inhalt den logisch nachvollziehbaren Argumentationsstrang verlassen kann, um an anderer Stelle von einem Stilmittel aufgegriffen zu werden, aber es ist vielleicht noch nie so manifest gewesen (s.a. Nobelpreis für Literatur) wie heute.
    Es könnte sich wieder nur um eine Modeerscheinung handeln, wenn dieses Phänomen nicht konstant immer wieder auftreten würde und sich deswegen nicht die Frage stellen würde, was da eigentlich (mehr oder minder unbemerkt) passiert?
    Die Analogie zu einem Wohnzimmer oder einer Moschee bei der Berliner Raumgestaltung von Rudolf Stingel konnte ich anhand von Bildern im Internet nachvollziehen, doch habe ich im ersten Augenblick eher (weil auch von Menschen betreten) an einen Matisse in 3D gedacht. Es ist verwirrend mit welchem Selbstverständnis die Musterung des Bodens den Raum einnimt und Protagonist des immer wechselnden Geschehens wird. Ich habe vor diesen Bildern an dieses oben beschriebene und meines Wissens von der Kunsthistoriographie noch nicht erörterte Phänomen denken müssen und mich gefragt, ob in der Berliner Nationalgalerie auch oder gerade das passiert, was ich nämlich ansonsten vermisse: eine Rezeption des Inhalts des Decorums oder eines schwer zu vermittelnden Inhalts über das Decorum und ein damit einhergehender Wechsel seines Stellenwerts?

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