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Auslandserfahrungen in puncto Diplomatie

Es gibt gewisse Dinge, gegen die man machtlos ist. Das kann daran liegen, dass man am unteren Ende der Hierarchie angesiedelt ist und man als kleiner Einzelner mit einer sehr großen und sehr mächtigen Institution konfrontiert ist (von der man bislang noch nicht weiß, ob man eines fernen Tages möglicherweise einmal Teil von ihr sein möchte und darum der Handlungsspielraum ohnehin denkbar eingeschränkt ist), und es kann daran liegen, dass man - da man aus einem fremdländischen System stammt und die landesüblichen Umstände nur oberflächlich beherrscht - an der Rhetorik scheitert. Besonders bitter ist es, wenn die mangelnde Rhetorikfinesse nicht den mangelnden Sprachkenntnissen zuzuschreiben ist (als Akademiker könnte man an dieser Stelle eifrig Abhilfe schaffen, indem man die Sprachschulbank drückt) sondern wenn man die ortsüblichen rhetorischen Abschmetterungsmanöver nicht mit der gleichen sicheren Kulturgepflogenheit zu parieren weiß.

In meinem Fall handelt es sich um eine Kombination der beschriebenen Optionen. Machtlos, wie ich bin, muss ich Namen verschleiern und Sachverhalte codieren - wie gesagt, wer weiß, ob sich die Sache ansonsten eines Tages gegen mich verwenden lässt.

Sie müssen wissen, ich promoviere über die Portraitmalerei eines Landes, mit dessen einstiger Königin unser Kaiser Wilhelm großmütterlich verwandt war. In jenem Land befinde ich mich zur Zeit zur Recherche, genauer gesagt befinde ich mich in der Hauptstadt jenes Landes. Diese Hauptstadt strotzt vor Sammlungen und Ausstellungen, die für den Kunsthistoriker relevant sind, und geradezu überwältigt von der Masse ist jener Kunsthistoriker, der sich mit dem nationalen Erbe des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt. Überwältigend sind auch die Ausgaben, die dieser lukrative Beruf und das künstlerische Interesse mit sich bringen. In einem Land, das sämtliche staatliche Sammlungen gratis betrachten lässt (wenigstens die permanenten Sammlungen), steigt bekanntlich der Eintritt für eine Ausstellung ins Unermessliche, mindestens aber auf gute 10 Währungseinheiten, das macht ca. 12 Euro. Einzelne Institutionen verlangen auch gerne 16 Währungseinheiten. Gewappnet mit einem in reinstem Ausländisch verfassten, offiziell aussehenden Dokument meines Doktorvaters, man möge mir Tür und Tor für bahnbrechende Forschungsleistungen öffnen, versuche ich seit Monaten, die Ausgaben so gering wie möglich zu halten. Der Erfolg ist manchmal mit einer langwierigen Prozedur zu bewerkstelligen, indem vier nicht-zuständige Personen telefonisch kontaktiert werden, der fünfte Zuständige in Urlaub ist und ein sechster nicht-Zuständiger nicht-rechtens sein Einverständnis gibt, weil man ihn penetrant 25 Minuten angelächelt hat. So erhält man oft immerhin ein reduziertes Ticket, das jeder Doktorand erhielte, ob er nun Meeresbiologie oder Astrophysik oder eben auch Kunstgeschichte sein Fach nennt. Der kleine Unterschied ist meiner Ansicht nach, dass der Meeresbiologe nicht fünf Tage die Woche vor einem spezifischen Bild stehen will, sich seine Ausgaben also auf den einmaligen Besuch einer Ausstellung beschränken. Es wäre in der Tat der empirischen Wissenschaft wegen spannend, zu erfahren, ob der Meeresbiologe im städtischen Aquarium besser behandelt wird als der angehende Kunsthistoriker in den staatlichen Museen.

Jedenfalls, bevor Sie sich fragen, wohin meine Argumentation führen soll, die Pointe folgt sogleich: Es gibt ein nationales Kunsthaus, das eine sehr relevante Ausstellung zu einem Portraitmaler macht. Diese Ausstellung ist für meine Arbeit ausgesprochen wichtig, zumal einige der dort gezeigten Bilder ansonsten in Privatsammlungen schlummern und alle hundert Jahre einmal durch die Gegend reisen. Auf die Frage, ob mein Ticket eventuell mehrfach gültig sein könnte, sodass ich nicht eine Woche lang täglich 12 Währungseinheiten investieren müsse, wurde mir ein mitfühlendes 'Nein' mitgeteilt. Brummelnd fügte ich mich in mein Schicksal und bat um einen kleinen Kummerkastenzettel, denn das Land, von dem die Rede ist, liebt Kummerkästen und Verbesserungsvorschläge. Auf diesem Zettel beschrieb ich mein Dilemma in freundlichen Worten und hinterließ eine Zweitemailadresse (wer gibt schon seine wahre Adresse an, wenn er das Pentagon kritisiert). Zwei Tage später erhielt ich eine formelle Email, die mir sehr herzlich für mein Interesse dankte. Man könne nichts für mich tun, schicke mir aber die Kostenaufrechnung (scheinbar ein Teil der Haushaltsbilanz, wie ich dem Schreiben entnommen habe) der Institution und ich werde dann sicher bemerken, dass mein Geld gut investiert sei. Ich schnappte nach Luft und entgegnete noch einmal, mir ginge es nicht darum, meinen Anteil nicht zu zahlen, sondern darum, dass ich es mir nicht leisten könne, 7 Tage zu bezahlen, es meiner Dissertation aber sehr zum Vorteil gereichen würde, wenn ich den Farbauftrag der betreffenden Werke nicht nur von Google-Bildern erriete. Man antwortete tatsächlich noch einmal, und an dieser Stelle fügte ich mich in mein Schicksal. Von der Abteilung für Erziehung und Forschung der genannten Institution erhielt ich einen 30-Zeiler, der mir erklärte, kostenlos seien die Werke online verfügbar, denn man habe über 1 Million Pfund investiert, die Ausstellung zu digitalisieren. Die Farbigkeit sei recht 'ähnlich' getroffen.

Mir fehlten die Worte, inhaltlicher und irgendwie auch sprachlicher Natur.

8 Comment(s)

  • Putz
    11.01.2011 10:11

    Vielen Dank für den Tipp! Der Verband deutscher Kunsthistoriker wird nämlich leider nicht anerkannt...

  • ibd
    11.01.2011 08:20

    Da möchte ich doch mal auf die ICOM verweisen, in der auch Studenten Mitglied sein können. In die meisten Museen und Ausstellungen kommt man mit der ICOM-Karte hinein (in der Regel auch an den Warteschlangen vorbei) und für eine so museumsbesuchslastige Promotion sollte sich der Jahresbeitrag rechnen.
    http://www.icom-deutschland.de/mitgliedschaft-individuelle-mitgliedschaft.php

  • he
    10.01.2011 18:13

    >... und da denkt man...

    Es kommt darauf an, wie man die Forschungsarbeit versteht, denke ich. Das eine schließt das andere nicht aus und beides hat seine Berechtigung. Objektivierte Bilderfahrung kann nicht schaden, wenn man Bilder von ihrer Rezeption ein Stück trennen will.

  • he
    10.01.2011 18:03

    p.s.
    Ich fand, dass man am Bildschirm den Malgestus (die Zeichnung) besser (weil ruhiger und detaillierter) nachvollziehen kann als am Original. Und das hat schon was. Im Endeffekt ist die Zeichnung schlechthin der Kern jeder Malerei... oder fast jeder Malerei.

  • n. putz
    10.01.2011 16:42

    ... und da denkt man, die Welt habe Benjamin inzwischen ein stueck weit verinnerlicht...

  • he
    10.01.2011 16:28

    Ich verstehe...
    Leider kann ich dem nur zustimmen. Gestern sah ich eine Picasso-Bücher-Ausstellung und blätterte im Anschluss daran in den wenigen, digitalisierten Büchern (e-books), die im Studienraum des Museum (unmittelbar am Eingang zur öffenlichen Toilette!) , im Intranet zur Verfügung gestellt wurden. Es ist in der Tat kein Vergleich! Die Originale sind phantastisch: man kann die Maße, die Materialität, die Bewegung und die Farbigkeit erleben. Aber für die Forschung, wenn man wirklich etwas sachliches darüber verfassen will... Ich weiß nicht... Die Qualität am Bildschirm ist für die Arbeit unvergleichlich besser, weil man die Werke erst dann sieht, wie ich fand. Wenn das ganze Drumherum weg fällt, bleibt das Bild. In der Ausstellung sah ich Picasso, eine Legende, ein Mythos, Devotionalien. Am Bildschirm sah ich von Picasso illustrierte Bücher und fertig.

  • n. putz
    10.01.2011 16:03

    das mag wohl sein, allerdings loest es wohl kaum das Problem, dass von institutsinterner Seite die Meinung vertreten wird, digitalisierte Bilder seien zur Forschung ebenso geeignet wie die Originale...

  • he
    10.01.2011 15:12

    Oh là là... Wie kompliziert! Warum gehen Sie nicht einfach zum Pressebüro der besagten Institution und lassen sich als Journalist(in) akkreditieren, wenn Sie schon für diese Internetplattform - die auch eine Form von Presse ist - schreiben? Dann können Sie doch kostenlos und so oft es Ihnen beliebt in die Ausstellung gehen.