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Wir mach(t)en eine charakteristische Handbewegung
Zur Zeit meines Studiums und danach noch knappe 30 Jahre lang hätte ich in Robert Lembkes damals berühmter Rateshow „Heiteres Beruferaten“ und auf die Aufforderung „Machen Sie eine charakteristische Handbewegung!“ so agiert, wie Anthony Blunt auf diesem Foto:
Das war unsere Geste, kein anderer Berufsstand konnte sie uns nehmen. Ich habe vergeblich nach einem entsprechenden Bild gesucht, das einen meiner Vorgänger beim analogen Hantieren mit Großdias zeigt. Zumindest meine Hand erlaubte es nicht, Großdias in die Zange von Daumen und ausgestrecktem Zeigefinger zu nehmen – vor allem, wenn ein Hochformat zu betrachten war. Nach meiner Erinnerung hielt man diese Dias, die im Englischen so schön Lantern Slides hießen, mit Daumen und abgewinkelten Zeigefinger an nur einer Ecke. Oder man sortierte sie auf einem Lichtpult, aber damit hätten wir nicht bei Lembke auftreten können. Jetzt die Frage: Wie würden wir uns heute darstellen? Wir meint Kunsthistoriker/innen in der Lehre. Uns vor Originalen, uns mit Brillen, Lupen und anderen Sehhilfen gibt es viele. Aber in der Lehrsituation? Die älteren Bildzeugnisse haben etwas erstaunlich ad-hoc-Arrangiertes und privatissime-et-gratis-Haftes. Das Gruppenbild um Adolph Goldschmidt würde kompositorisch jedem Niederländer des 17. Jahrhunderts sofort einleuchten, aber die Sache, um die es geht, die kunsthistorische Lehre, bleibt unterbelichtet. Kurioserweise gilt das noch stärker für die folgende Aufnahme, in der das Arrangement der Frontallehre zwar eindeutig gegeben ist, dafür aber der zu unterrichtende Gegenstand fast mutwillig eliminiert ist.
Ich entnehme das Bild dem neu erschienenen Buch von Sally Anne Duncan „The Art of Curating: Paul J. Sachs and the Museum Course at Harvard“ (Los Angeles 2018). Dies ist die erste Darstellung einer in der US-amerikanischen Kunstgeschichte legendären Institution. Von 1922 bis zur Pensionierung 1948 veranstaltete Paul J. Sachs einjährige Kompaktstudien in Museologie, die ein weites Spektrum von Skills umfassten: Sammeln, Ankaufen, Bestimmen, Ausstellen, Versichern, Vermitteln von Kunstwerken etc. Das Foto stammt aus dem Jahr 1944 und zeigt links hinter dem Schreibtisch Sachs, der wie seine Assistenten rechts von ihm ein gleich großes zweidimensionales Objekt den Zuhörern vorhält: Graphiken, Fotografien, Diagramm? – die Reproduktion und der Text geben das leider nicht her. Es könnte sich um eine Übung im vergleichenden Sehen handeln.
Ob Originale oder Reproduktionen: wir sind hier nicht weiter gekommen als in dem berühmten Aufnahme unseres Urvaters Jacob Burckhardt, der im Jahr 1878 mit einer großen Mappe unter dem Arm über den Baseler Münsterplatz geht, auf dem Weg zur Vorlesung. Die Flachware des Professor Sachs dürfte gerade noch in Professor Burckhardts Mappe gepasst haben. In einem schönen Beitrag für die Festschrift Gottfried Boehm hat Achatz von Müller herausgearbeitet, dass gerade die blaue große Mappe für Burckhardt ein Gegenstand war, der ihn auszeichnete und unterschied. Er hat sie auch auf einem zweiten Porträt dabei und hat seine Person und die Mappe als Vignette aus dem Foto von 1878 geschnitten und auf seine Visitenkarte drucken lassen. Von Müller: „Für das Geheimnis der Mappe können wir also wählen. Handelt es sich um das Wintersemester, dann wären es die Vorlesungen Neuere Geschichte seit 1430 und Kunst des Mittelalters. Somit waren parithetisch zu gleichen Teilen die Fächer Geschichte und Kunstgeschichte bedacht.“ (1) Der Autor verweist hiermit auf die Tatsache, dass Burckhardt Vorlesungen in seinen beiden Fächern mit Bildern, mit Zeichnungen, Stichen und Fotografien zu illustrieren pflegte. Darin ging der manische Sammler von Bildmaterial vielen Kollegen voraus.
Hätte Burckhardt also mit Mappe und Haltung die Kunstgeschichte bei Lembkes Show eindeutig repräsentieren können? Nein, die Künstler waren ihm vorausgegangen, und sie hielten sich entweder im Atelier an der Mappe und ihrem sicheren Vorrat fest (Poussin) oder zogen mit ihr unternehmungslustig ins Feld (Busch).
Hätte Burckhardt sich gerne oder ungerne mit einem Künstler verwechseln lassen? Es bleiben Fragen an den Anfang der Fachgeschichte und Fragen an ihren aktuellen Zustand. Was unterscheidet uns heute noch von den anderen Tippern und Wischern an den Pulten der Vorlesungssäle und Seminarräume? Den Dienern von PowerPoint? Mir fällt zu letzterer Frage nichts ein. Eines hat sich geändert, aber sozusagen nur intern, im Vergleich mit unserer früheren, diagestützten Vortragstechnik: Wir drehen uns nicht mehr zum projizierten Bild um und brauchen keinen Stock mehr, um etwas nachzuweisen. Hier immerhin schon mal der Stock, größer als der Mann – die Technik ist genial: Zeigen ohne Hinzuschauen, sozusagen aus der Hüfte schießen. (Man beachte das projizierte Bild über dem Kamin! Den Raum gibt es heute noch, und er hat Teppiche wie bei Sachs in Harvard, s. o.).
Und hier ist Rosalind Krauss bei einer Vorlesung 1995, das war auf jeden Fall noch vor PowerPoint, das war ein analoger Power Point, vielleicht wurde das digitale Verfahren nach diesem hier benannt.
Noch etwas hat sich geändert. Als wir noch auf das Manuskript schauten, war das Licht am Pult viel stärker als heute, da uns nur der fahle Schein vom Rechner entgegenkommt. Wir sind weniger geworden.
Und die Pulte sind kleiner geworden, es passt gar kein Manuskript mehr drauf. Sie haben auch etwas von Steh- oder Bistrotisch an sich und scheinen schon auf die gesellige Runde danach zu verweisen. Im Grunde sind sie nur gedacht für die Vortragsform der Zukunft: das Impulsreferat.
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1 Kommentar(e)
Das nächste Dia links ...
... auch dieser Satz wird vermisst!
Schöner Beitrag, der einen ganz wehmütig macht.