blog.arthistoricum.net

Vom Wohnhaus zum Gedächtnisort – Das Albrecht-Dürer-Haus im ausgehenden 19. Jahrhundert

 

„Sie sehen es geschieht etwas, wenn es auch nicht regnet, tröpfelt’s doch.“


schrieb Friedrich Wilhelm Wanderer am 28. August 1880 über die Renovierungsmaßnahmen in Dürers ehemaligem Wohnhaus an Georg Kress von Kressenstein. Damit meinte er nicht etwa das undichte Dach, das ebenfalls dringend auszubessern war.1 Wanderer, der gemeinsam mit Kress der 1871 neu gegründeten Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung vorstand, bezog sich auf den Umbau und die Neugestaltung der beiden östlichen Zimmer im ersten Stockwerk des Hauses. Das Gebäude gelangte insbesondere mit dem Erwerb 1826 durch die Stadt Nürnberg in den Fokus des Interesses von Künstlern, Kunstinteressierten und Forschenden. Als zentraler Ereignisort von Dürers Wirken erlebte es eine facettenreiche Rezeption, von wissenschaftlicher Beschäftigung bis hin zu Künstlerverehrung und Mythenbildung. Die Wohn- und Arbeitsstätte des Künstlers entwickelte sich zunehmend zum Gedächtnisort und Wanderers gestalterisches Konzept trug maßgeblich dazu bei.

Nachdem zuvor – unter der Ägide Carl Alexander Heideloffs und durch den Albrecht-Dürer-Verein als vorherigen Mieter – die Wand zwischen den zwei östlichen Räumen im ersten Stock herausgebrochen worden war,2 ließ Wanderer sie wieder einfügen und entwarf ein Konzept zur grundlegend neuen Gestaltung der beiden Stuben. Hierzu fertigte er vier aquarellierte Federzeichnungen (Abb. 1), die heute in den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg verwahrt werden (Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung, Inv.-Nr. Gr.A. 09075-1-Gr.A. 09075-4).

Dem Zeitgeschmack des Historismus verpflichtet, versuchte Wanderer den Anschein einer authentischen Wohnumgebung des Nürnberger Malers zu erschaffen. Nicht ohne Kritik von Zeitgenossen, etwa des Direktors des Germanischen Museums August von Essenwein,3 setzte er seine bereits in den Entwürfen von 1879 projektierte Vorstellung detailverliebt um, wie fotografische Aufnahmen des Nürnbergers Ferdinand Schmidt aus den 1880er Jahren zeigen (Abb. 2).
Die Einrichtung der beiden Stuben kompilierte Wanderer aus hierfür angekauften Möbeln und ergänzte sie um Stücke, die er nach seinen eigenen Entwürfen herstellen ließ.

Während einiges mit der Zeit verloren ging – etwa bei der erneuten Umgestaltung (Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg, Gr.A. 10959-1-Gr.A.10959-9) des Hauses anlässlich des Dürerjahrs 19284 – sind in der heutigen Dauerausstellung des Albrecht-Dürer-Hauses, das zu den Museen der Stadt Nürnberg gehört, noch Relikte aus Wanderers Konzept zu besichtigen. So etwa ein Konvexspiegel (Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung e.V., Inv.-Nr. Pl 0878), der in einen hölzernen Rahmen mit teils figürlichen Einlegearbeiten aus Elfenbein und Perlmutt eingebettet ist. Eine Vorzeichnung von der Hand Wanderers (Abb. 3, Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung e.V., Gr.A. 09076) dokumentiert den Detailreichtum seiner Entwürfe. Motivisch bediente er sich dabei direkt im Œuvre des früheren Hausherrn: die in bäuerliche Tracht gekleidete Frau links des Spiegels entspricht Dürers Kupferstich Der Koch und sein Weib, der Mann rechts mit dem Korb voller Eier findet sein Vorbild bei Drei Bauern im Gespräch.

Besonders intensiv setzte sich Wanderer offenbar mit Dürers Randzeichnungen für das Gebetbuch Kaiser Maximilians I. auseinander. Gleich zwei Objekte greifen motivisch auf den mit Feder gezeichneten Buchschmuck zurück: eine Zinnflasche gibt ein tanzendes Bauernpaar wieder (Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung, Pk 1431), das in der Randbordüre des in der Bayerischen Staatsbibliothek München aufbewahrten Hälfte des Gebetbuchs begegnet (München, Bayerische Staatsbibliothek, 2 L.impr.membr. 64, fol. 56v). Ein vom Nürnberger Holzbildhauer Johann Ludwig Geiger ausgeführter und mit figürlichen Schnitzarbeiten ausgestatteter Stollenschrank zeigt die Heiligen Märtyrerinnen Barbara (Abb. 4) und Apollonia (Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung e.V., Pk 1435) mit ihren jeweiligen Attributen der Vorlage entsprechend (fol. 7v und 24r). Als direktes Vorbild könnten Wanderer Reproduktionen der Federzeichnungen gedient haben – allen voran die lithographischen Nachbildungen Johann Nepomuk Strixners (Abb. 5), von denen eine Ausgabe Teil des Altbestandes der Bibliothek der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung ist (Sign. alt/255).5 Die Fotografien Schmidts zeigen, dass es eben dieser Band war, der in den 1880er Jahren im Dürer-Haus für Besucher ausgelegt war. Die beiden Heiligenfiguren aus Maximilians I. Gebetbuch ergänzte Wanderer um weitere Motive aus dem Werkkomplex um Dürer: das Wappen des Künstlers findet sich auf der Tür wieder, den Hintergrund durchzieht Rankwerk aus Weinlaub, das an die ehemals Dürer zugeschriebene Bildtapete mit Satyrn und Nymphen erinnert. Auch bei der Raumgestaltung orientierte Wanderer sich offenbar an druckgraphischen Vorbildern: so entspricht etwa das in der hinteren Stube in die Vertäfelung eingepasste Lavabo jenem aus dem um 1503 zu datierenden Holzschnitt der Geburt Mariens.

Ausgewählte Objekte der im Albrecht-Dürer-Haus gezeigten Einrichtungsgegenstände sind bereits jetzt in der virtuellen Forschungsumgebung duerer.online recherchierbar und werden laufend ergänzt. Das DFG-geförderte Forschungsprojekt ist eine Kooperation der Universitätsbibliothek Heidelberg mit den Museen der Stadt Nürnberg sowie der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung und befindet sich gerade in der zweiten Phase (2023-2026), die neben der Erschließung der Zeichnungen und Gemälde auch das Nachleben des Künstlers in den Blick nimmt.

 

Weiterführende Literatur in Auswahl

  • Bauer, Heinrich und Höhn, Heinrich: Das Albrecht-Dürer-Haus in Nürnberg und seine Wiederherstellung im Dürer-Gedächtnisjahr 1928. Nürnberg 1929.
  • Berninger, Ulrike: „Im Gepräge der Zeitperiode Dürers…“. Die Musealisierung des Albrecht-Dürer-Hauses durch den Künstler Friedrich Wilhelm Wanderer. In: Karl Möseneder (Hrsg.): Nürnberg als romantische Stadt. Beiträge zur Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts (= Schriftenreihe des Erlanger Instituts für Kunstgeschichte 1). Petersberg 2013, S. 83-101.
  • Klein, Ulrich: Zur Forschungsgeschichte des Dürer-Hauses. In: G. Ulrich Großmann und Franz Sonnenberger (Hrsg.): Das Dürer-Haus. Neue Ergebnisse der Forschung (= Dürer-Forschungen 1). Nürnberg 2007, S. 99-120.
  • Mende, Matthias: Museum Albrecht-Dürer-Haus Nürnberg (= Große Kunstführer 158). München/ Zürich 1989.
  • Mende, Matthias: Das Dürerhaus in Nürnberg. Geschichte und Gegenwart in Ansichten von 1714 bis 1990. Nürnberg 1991.

1 Das Zitat Wanderers stammt aus einem Briefwechsel, der sich in den alten Aktenbeständen der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung erhaltenen hat. Diese geben auch Auskunft über die Renovierungsarbeiten (Stadtarchiv Nürnberg, E6/438 II, Nr. 12).

2 Zu Heideloff und dem Dürer-Haus vgl. u.a. Mende 1991, S. 16-22.

3 Vgl. Berninger 2013, S. 99.

4 Über die getroffenen Maßnahmen berichten die maßgeblich an Umbau und Neugestaltung beteiligten Heinrich Bauer und Heinrich Höhn. Vgl. Bauer/Höhn 1929. Unter den 1928 entfernten und verlorengegangenen Objekten befanden sich unter anderem mehrere Geweihleuchter, die von Wanderer nach Entwürfen Dürers zur Fertigung in Auftrag gegeben wurden. Vgl. hierzu Mende 1991, S. 41 und 47.

5 Siehe auch Altinventar des Albrecht-Dürer-Hauses, Stadtarchiv Nürnberg, E6/438 II Nr. 91, S. 40.

0 Kommentar(e)

Kommentar

Kontakt

Kommentar

Absenden