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Der Arrangator - Damien Hirst Retrospektive in der Tate Modern, London

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DH1, David Hockney, bekam sie zum 50., DH2, Damien Hirst, wurde gerade 47, als die Tate ihm eine erste große Retrospektive widmete. Bereits vor 2004 gab es Gerüchte, dass der damals noch nicht 40-Jährige Hirst eine ausführliche Werkschau in der Tate bekommen sollte. Angebliche Querelen nach dem Bruch mit Übersammler Saatchi nicht lange zuvor (sowie Hirsts eigene Bedenken wegen seines Alters) führten damals nur zu der Tate-Gruppenausstellung „In da Gadda da vida“, wo Hirst zusammen mit seinen alten Weggefährten Sarah Lucas und dem wesentlich unbekannteren und spröden Angus Fairhurst Neues ausstellte. Beide waren schon bei der von Hirst organisierten Freeze-Ausstellung 1988 dabei und beide sind auch in Hirsts eigener Sammlung vertreten, die er in Anlehnung an die Moderne MurderMe nennt, 2006 in der Serpentine Gallery ausstellte und die in Kürze in einem eigenen Hirst-Museum im Londoner Stadtteil Vauxhall zu sehen sein wird.

14 Räume Hirst in der Tate Modern scheinen nicht viel angesichts von 1500 existierenden Spot Paintings, mehreren hundert Spin und Butterfly Paintings sowie dutzenden Formaldehyd-Virtinen oder Medizin-Kabinetten. Von allem nur das beste und von jeder Serie die Prototypen war das Credo von Kuratorin Ann Gallagher, die Hirst noch aus den wilden Naughties kennt, wo er sich, falls Journalisten anwesend waren, schon mal einen Hühnerknochen in die Penis-Vorhaut steckte oder nachts um 4h nackt besoffen Klavier im berüchtigten Groucho Club spielte. Man muss den Leuten ja was bieten. Und genau das tat Hirst in seiner Retrospektive. Hingerissen von seiner frühen Installation In and Out of Love, bei der lebene tropische Schmetterlinge aus Leinwänden schlüpfen um nach ihrem kurzen, bunten Leben auf ebensolchen für die Ewigkeit aufgeklebt zu werden, wandelt der Besucher vorbei am Hai und den ersten Spots (die allerersten fünf, nur echt von Hirst selbst gemalt mit Zirkeleinstichlöchern!) hin zu Hirsts bestem, wenn nicht einzigem Werk: A Thousand Years– alle folgenden und vorrausgehenden kann man als Abwandlungen davon begreifen. Es ist besser, dass kaum einer weiß, dass der abgetrennte, verrottende Kuhschädel aus A Tousand Years“, der von hunderten von lebenden Fliegen angefressen wird, nur in der allerersten Schau 1990 tatsächlich echt war - woraufhin der atemberaubende Gestank ein Betreten der Galerie die damalige Ausstellung „Modern Medicine“ unmöglich machte. Die im Laufe der Retrospektive immer wieder ausgetauschte Kuh-Replik sowie das Kunstblut direkt auf dem Holzboden der Tate in der darüber gestülpten, Jeff-Koons- oder Donald-Judd-artigen Vitrine zieht nicht nur die Fliegen sondern auch das Publikum in der Tate am meisten an. Und um den Betrachter und was er an Sehgewohnheiten mitbringt, geht es Hirst in erster Linie, obwohl er den Menschen selten tatsächlich abbildet. Aber er spiegelt sich etwa in seinen Pillenkabinetten sogar wörtlich. Kunst ist für Hirst eben „Modern Medicine“, seine Medizin-Kabinette (die ersten benannt nach der Tracklist seiner Sex-Pistols-Schallplatte, die seine Mutter auf dem Ofen aus Wut über den Krach zu einer Fruchtschüssel verschmolz) und seine späteren Diamantenkabinette, zeigen: Kunst kann heilen und Ewigkeit versprechen, ganz so und besser als Medizin und die seriösen Verpackungen der Pharmazie, die nichts weniger sein wollen als Werbung oder wie Gold, Diamanten und Geld, dass zumindest für eine gewisse Zeit! alle Möglichkeiten beschert.

Zeigt A Tousand Years  (wie In and Out of Love) und einen künstlichen Lebenzyklus – gerade aus einem hölzernen White Cube geschlüpfte Fliegen haben zwei Möglichkeiten – den Kuhschädel fressen oder den Insektikutor – eine höhnische Anspielung auf Mario Merz‘ Arte Povera Neonarbeiten. In Nahansicht schillern die Flügel der schwarzen Fliegen in allen Regenbogenfarben. Die Insekten sind kleine Einheiten, gelegentlich farbig, denen der Arrangator Hirst eine gewaltsame Struktur gibt. Ob nun verschieden farbige Punkte, Fliegen, Schmetterlinge, Zigarettenstummel, Pillen, Diamanten, Medizinverpackungen oder Tierkadaver, immer arrangiert Hirst, der die Collage als großartigste Idee des 20. Jahrhunderts sieht. Der erfolgreiche Lagerhausausstellungskurator Hirst, der sich erst nach „Modern Medizine“ 1990 überlegte, nun doch weiter Künstler zu sein, hat immer Dinge, Objects Trouvé oder die Werke seiner Kommilitonen arrangiert und ins rechte Licht gerückt. Statt zuviele Butterfly oder Spin Paintings zu zeigen (wenngleich es schon noch zwei drei mehr hätten sein können) beschränkte die Tate sich auf das Wesentliche. Wie Hirst Oeuvre selbst hat  diese Ausstellung jedoch ihre Schwächen, was seine ersten und letzten, also neuesten Werke, anbetrifft. Warum Gallagher seine ersten, für seinen Werdegang so wichtigen Schwittersartigen Collagen aus den 1980er Jahren nicht zeigte, bleibt eine der Unzulänglichkeiten dieser Retrospektive. Genauso versäumte sie es, Hirsts Gemälde der letzten vier Jahre seit 2008 auszustellen. Gewiss, seine erstmals von eigener Hand mehr gefertigten als gemalten Ölbilder wurden von der Kritik zu recht verrissen, aber vier Jahre im Oeuvre eines Künstlers völlig zu ignorieren, der nur etwas mehr als 25 Jahre Kunst schuf, ist unverzeihlich. Insbesondere weil Hirst immer mehr sein wollte als der Arrangator – er selbst wird nicht müde zu betonen, dass er eigentlich immer Maler sein wollte. Seine Spot, Spin und Butterfly Paintings sowie die von Assistenten gefertigten fotorealistischen Arbeiten (die in der Tate auch fehlten) und selbst seine Formaldehyd-Arbeiten handeln immer davon, betont nicht zu malen, bzw. dezidiert malerische Themen, etwa das Golden Calf oder Francis Bacons Gemälde in Fleisch und Gold zu übersetzen.

Dennoch ist diese sehr leichte, gut verständliche und unterhaltsame Tate Retrospektive gelungen, sie bietet einen Überblick, ein Best-Of, dass jedoch an den Enden ausfranst. Neben den genannten, unnachvollziehbaren Auslassungen wurde mit dem angeblich ersten Spot Painting von 1986 auch gleich eine im nach hinein aufgedrückte Umdeutung vorgenommen. Diese ungelenke Schülerarbeit, die Hirst noch 2004, als er sie zum ersten Mal in seinem Interviewband zu Recht sehr klein abdruckte und nur mit Work in Progress betitelte, besteht aus Spots, zu deutsch Flecken, vielleicht mehr als die Spots der tatsächlichen Spot Paintings, die im Gegensatz zu diesem Pseudo-Prototyp völlig regelmäßig, gerade nicht fleckenartig, in genaue Gitterstrukturen sortiert, ohne eine Farbe zu wiederholen, perfekte, gezirkelte Farbkreise darstellen. Mit einem Wort, alles, was Hirsts Serie Spot Paintings interessant und wichtig macht, auch ihre Nähe zu pharmazeutischen Design (daher der offizielle Reihentitel Pharmaceudical Spot Paintings) fehlt in den Klecksen von 1986. Doch für diese Unzulänglichkeiten entschädigt die reliquiengleiche, bühnenreife Inszenierung der Hirst-Performance For the love of God, auch The Diamond Skull genannt. In einem völlig abgedunkelten Raum, nicht im Rahmen der 14 Zimmer, sondern in der Turbinenhalle in einem extra Kubus, in einer Panzerglasvitrine, wie in einer Gloriole war er endlich! zu sehen: Der Diamantenschädel von 2007. Der Totenkopf, welcher nur mit seinem Preisschild über 50 Millionen Pfund Sinn macht, ist Requisite in Hirsts beispielloser Kunstaktion über Materialismus, Kunstmarkt und Minimalismus. Seine zweite Ikone nach dem Hai (der eigentlich den Zungenbrecher The Physical Impossibility of Death in the Mind of someone Living als Titel hat) war als Höhepunkt der Ausstellung in Szene gesetzt und repräsentiert den zweiten, kapitalistischen Teil von Hirsts Oeuvre, der 2004 mit dem höchst gewinnträchtigen Verkauf der von Hirst gestalteten Ausstattung seines vormaligen Restaurants Pharmacy seinen Anfang und mit der Sotheby’s-Kunsta(u)ktion „Beautiful inside my head forever“ 2008 seinen Endpunkt fand. Dieser symbolträchtigen Verkaufsausstellung, die ebenfalls als ironische oder affirmative Geste gegen, für und über den Kunstmarkt zu verstehen ist, war zu Recht in der Tate ein extra Raum gewidmet.

Man mag von Hirst halten was man will - gemeinhin ist es en vogue als Künstler oder Kunstkritiker möglichst wenig von ihm zu halten (zu kommerziell!) – wie bei allen Sammler- und Kuratorkünstlern eröffnet sich auch der Arrangator Hirst am besten und umfangreichsten in einer Gesamtschau, wo all die ironischen, selbstreferenziellen, selbstplagiierenden Anspielungen zu einem (ja, jetzt kommt das vielbemühte Wort) Gesamtkunstwerk verschmelzen, das so sehr unsere markenzeichenlastige Zeit repräsentiert, illustriert und persifliert.

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