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Curatorial Studies – Statements: Neue Essaysammlung als Open-Access-Veröffentlichungen auf ART-Dok

Ein Beitrag von Dr. Stefanie Heraeus

 

Curatorial Studies – Statements ist eine Essaysammlung des 2010 gegründeten Frankfurter Masterstudiengangs Curatorial Studies, der von der GOETHE-UNIVERSITÄT und der HOCHSCHULE FÜR BILDENDE KÜNSTE–STÄDELSCHULE durchgeführt wird, in Kooperation mit der HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG OFFENBACH und mehreren Frankfurter Museen: MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, STÄDEL MUSEUM, LIEBIEGHAUS SKULPTURENSAMMLUNG, HISTORISCHES MUSEUM FRANKFURT, WELTKULTUREN MUSEUM und PORTIKUS.

 

Die Essaysammlung wurde auf ART-Dok, dem Volltextserver von arthistoricum.net online im Open Access veröffentlicht. ART-Dok - Publikationsplattform für Kunst- und Bildwissenschaften wird von der Universitätsbibliothek Heidelberg im Rahmen ihres von der DFG geförderten "Fachinformationsdienst Kunst-Fotografie-Design" bereitgestellt.

Zum Auftakt der Reihe Curatorial Studies – Statements erscheinen 15 Essays. Sie zeugen vom breiten Spektrum kuratorischer Diskussionen und Forschungen und spiegeln zugleich die Struktur des Studiengangs: Wissenschaft, künstlerische Praxis – sowohl gegenwärtige als auch historische – sowie deren Vermittlung und Ausstellung werden aufeinander bezogen und theoretisch-kritisch reflektiert. Durch die institutionalisierte Verflechtung von Universität, Kunsthochschule und Museum treffen unterschiedliche Diskussionskulturen aufeinander und verbinden diese Perspektiven.

 

Einige Essays gehören zum direkten Forschungsfeld der Curatorial Studies, wenn es etwa um institutionskritische Handlungsspielräume von Kunstvereinen oder um die Instrumentalisierung des White Cube geht. Nadine Droste diskutiert, im Rückgriff auf die letzten 50 Jahre, in ihrem Essay „Der Kunstverein als Institution der Kritik“ die heutigen Bedingungen und Möglichkeiten einer kritischen institutionellen Praxis dieser ursprünglich bürgerlichen Einrichtung. Maximilian Wahlich legt in seinem Essay „Die weiße Zelle des Faschismus“ dar, wie das Raumkonzept der weißen Wand in den Propagandaausstellungen der Nationalsozialisten zur Konditionierung von Exponaten und Menschen genutzt wurde. Viele Fragestellungen sind aus Arbeitserfahrungen in Museums- und Ausstellungsinstitutionen hervorgegangen, manche aus konkreten Projekten wie Caroline Schäfers Essay zur bislang kaum erforschten „Porträtsammlung Grohte im Historischen Museum Frankfurt“. Schäfer war beteiligt an der mehrsemestrig erarbeiteten Ausstellung „Die Welt im Bildnis. Porträts, Sammler und Sammlungen in Frankfurt von der Renaissance bis zur Aufklärung“ (2020 im MUSEUM GIERSCH der GOETHE-UNIVERSITÄT).

 

Häufig sind es konkrete Ausstellungsinstallationen, mitunter von den Künstler*innen mitkuratiert, die den Ausgangspunkt der theoretischen Überlegungen bilden und Aufschluss geben über künstlerische Konzeptionen und Vorgehensweisen. Im Fokus von Katrina Weissenborns Essay „Art and Objecthood: Studien zu Cady Noland“ stehen zwei Installationen der Ausstellung im MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST. An diesen legt sie dar, wie die Künstlerin durch die Platzierungen ihrer Arbeiten die Wahrnehmung der Betrachtenden subtil lenkt und so den kunsttheoretischen Überlegungen Michael Frieds zur Minimal Art widerspricht. Ramona Heinlein befasst sich in ihrem Essay „Unterwegs zur Zeichnung – Über die Installation das (to Inger Christensen) von Silvia Bächli“ mit dem Beitrag der Künstlerin zu Venedig-Biennale 2009 im SCHWEIZER PAVILLON. Durch die akribische Positionierung ihrer Papierarbeiten überführt Bächli die subjektive Geste der Handzeichnung in den Raum und lässt ein Zeichnungsgefüge wechselnder Perspektiven und Rezeptionsmodi entstehen.

 

Mit „Expansion in die Trägermedien. Bestimmung der konzeptuellen Verfahren im Werk von Christopher Williams“ macht Sebastian Schneider anschaulich, dass sich die konzeptuellen Aspekte dieser handwerklich perfekten Fotografien präziser fassen lassen, wenn man die Bereiche von Produktion, Herstellung und Distribution als zentralen Teil seiner Konzeptkunst interpretiert. Marina Rüdiger befasst sich in ihrem Essay „Die Narrative des Sockels in der zeitgenössischen Kunst“ (Link folgt in Kürze) mit den installativen und multimedialen Arbeiten von Shahryar Nashat am Beispiel von dessen Einzelausstellung 2016 im PORTIKUS. Damit rückt sie ein Ausstellungsmöbel in den Mittelpunkt, das zumeist Teil der Inszenierung, selten jedoch zentrales Thema ist. Benedikt Seerieders Essay „Vom Begehren nach Individualität. Inszenierungen des (Un)Persönlichen bei Christian Boltanski und Henrik Olesen“ stellt heraus, wie die beiden Künstler Formen des Exponierens für ihre Arbeiten nutzen: Die von ihnen im Ausstellungsraum präsentierten Artefakte, die an die Stelle von bestimmten Individuen treten, erzeugen durch ihre spezifischen Anordnungen ambivalente Rezeptionserfahrungen.

 

Andere Essays rücken künstlerische Positionen und Problemstellungen ins Zentrum, die aktuelle Diskurse aufgreifen zu den Themenfeldern Queer, Körper, Gender und Environment. José B. Segebres Essay „Shaking Laughter Out: Jack Smith’s Decomposing Creatures” (Link folgt in Kürze) führt Lachen als Kategorie und formales Verfahren für die Filmanalyse des queeren Kultklassikers Flaming Creatures (1962–1963) von Jack Smith ein unter Einbeziehung von George Batailles Schriften.

 

Franziska Linhardts Essay „Gesten der Berührung, Zonen des Transfers – Josephine Prydes Hands (Für mich)“ befasst sich mit der 2014 bis 2016 entstandenen Fotoserie. Linhardt legt dar, wie sich in dieser Serie zugleich die Faszination für Entkörperlichung, Mediatisierung und Virtualisierung einerseits, und die Wiedereinschreibung des Körpers andererseits manifestiert. In ihrem Beitrag „Alina Szapocznikow – Der Körper als formbare Substanz“ geht Susanne Mierzwiak der Rezeption und Positionierung der in Vergessenheit geratenen Künstlerin des Ausstellungsdiskurses der 1960er Jahre nach. Mierzwiak befasst sich mit der Rolle des Kritikers Pierre Restany und untersucht aus materialikonografischer Perspektive die synthetischen Assemblagen abgeformter Körperfragmente.

 

In ihrem Essay “Ana Mendieta: Posthumanist Performativity and Spiritual Becomings” gelingt es Milena Maffei, die Arbeiten der kubanischen Künstlerin mithilfe posthumanistischer Theorien des Performativen neu zu kontextualisieren. Damit setzt sie sich von den gängigen westlichen Werkinterpretationen und formalistisch geprägten Analysemodellen ab. Mit dem Aufsatz „Auf Messers Schneide. Geschlechterdifferenz als Visualisierungsstrategie in Der Anatom von Gabriel von Max“ stellt Mirjam Wilhelm heraus, wie stark dieses Gemälde der Münchener Salonmalerei die Geschlechterrealitäten popularisierte und zugleich das Rollenverständnis des Malers als genialer Künstler formulierte.

 

Mit Gestaltungsprinzipien des urbanen Raums befasst sich Sina Brückner-Amin in „The Greenest Playground. Planting Los Angeles, 1930“. Darin zeigt sie, wie sich die Begrünung der nordamerikanischen Westküstenmetropole an der Szenerie von Hollywoodfilmen orientierte, Gegenden nichtweißer Bevölkerungsschichten ausließ und auf der Grundlage von deren Unterdrückung und Ausbeutung entstand.

 

Alice Gustson schließlich analysiert, wie 40 Jahre später in der gleichen Stadt, am LOS ANGELES COUNTY MUSEUM OF ART, ein interdisziplinärer Austausch zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie initiiert wurde. In ihrem Essay „Space Exploration. (Welt-)Raumforschung zwischen Kunst und Wissenschaft im Habitability Project von Robert Irwin und Edward Wortz“ widmet sie sich den Wahrnehmungsexperimenten zum Universum in den 1960/70er Jahren und deren Einfluss auf künstlerische Produktionen.

 

Das auf jährlich 12 bis 15 Studierende begrenzte Masterprogramm hat bislang 76 Absolvent*innen hervorgebracht, von denen derzeit mehr als die Hälfte in Museums- und Ausstellungsinstitutionen arbeiten, 13 promovieren und einige eigene Projektinitiativen gestartet haben.

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