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Die geträumte Antike

 

Wer in diesen Tagen nach Paris kommt, ist vom Ausstellungsangenot schier erschlagen. "Mondrian und de Stijl" im Pompidou, "Cranach und seine Zeit" im Luxembourg, "Tony Cragg", "Franz Xaver Messerschmidt" und "L'Antiquitė revėe. Innovations et rėsistances au XVIIIe siecle" im Louvre. Aus alter Verbundenheit war ich in letzterer.

Die Gattungen sind alle vertreten. Malerei, Plastik, Zeichnung und auch ein wenig Kunsthandwerk. Die ausgestellten Stücke - wie es sich für den Louvre gehört - durchwegs exquisit, mit einem Schwerpunkt auf England, Italien und Frankreich. Dabei keine Marathonausstellung, sondern eher nach dem Motto "klein aber fein" organisiert.

 

Gavin Hamilton, Achill betrauert den toten Patroklus

 

Der innovative Aspekt der Ausstellung soll sich wohl im Untertitel zeigen. "Erneuerung und Widerstand". Gemeint ist, ganz im Sinne des revisionistischen Zeitgeistes, dass das traditionelle lineare Schema einer teleologischen Entwicklung vom Rokoko zum Neoklassizismus falsch ist und viel differenzierter gesehen werden muss. Da ist man natürlich besonders auf die rėsistances gespannt. Das sind die Neobarocken (worunter hier auch der Erzklassizist und Winckelmann-Freund Anton Raphael Mengs mit seinem "Thronenden Petrus" fällt, daneben natürlich Tiepolo, Fragonard etc.), die Neomanieristen (ein paar mehr oder weniger unbekannte Italiener) und die Sublimen (Füssli und Konsorten). Mir hat dieses überall mit großem Applomb daher kommende revisionistische Programm noch nie so richtig eingeleuchtet, vor allem, wenn damit der Anspruch verbunden ist, die traditionelle "historistische" Kunstgeschichte über den Haufen werfen zu wollen. Einerseits werden Selbstverständlichkeiten verkündet: es ist ja nicht so, dass man die Eigenheiten eines Füssli nicht längst gesehen und unter Begriffen wie "protoromantische Aufklärung" gefasst hätte. Andererseits traut man sich keine Verallgemeinerungen mehr zu, die man ja auch ohne den Holzhammer vornehmen kann. Frei nach dem Motto: Wenn ich nur nahe genug rangehe, sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Im übrigen bleibt es auch und gerade hier bei den Stereotypen. Denn wenn ich angeblich unklassizistische Werte wie das Sublime in die Rėsistance-Bewegung auslagere, kann ich sie im Klasizismus nicht mehr sehen und Maler wie David ganz traditionell (und unzutreffend) als einen schlichten Moralapostel deklarieren. Was hier genau passiert.

Trotzdem: Aufgrund der gezeigten Werke eine absolut lohnende Ausstellung!

 

1 Kommentar(e)

  • Ehrlich gesagt, verstehe ich manchmal auch nicht, was es an einer linearen Erzählung der Geschichte der Kunst so viel zu revidieren gibt? Ernst H. Gombrich schreibt beispielsweise ganz klar: "Die Menschen hatten damals (während der Französischen Revolution, m.A.) das Gefühl, in einem Heldenzeitalter zu leben. Es schien ihnen, dass die Ereignisse, deren Zeugen sie waren, es genauso verdienten, von Künstlern verewigt zu werden, wie die Begebenheiten des Altertums. (...) Die Situation (Der ermordete Marat, m.A.) scheint sich nicht sonderlich für ein Bild klassischer Würde zu eignen, und doch gelang es David, die Sachlichkeit eines Polizeiberichts mit heroischem Pathos zu vereinen. Das Studium der antiken Plastik hatte ihn gelehrt, die Muskeln und Sehnen des Körpers klar zu modellieren und ihn dadurch zu veredeln. In diesem Bild gibt es weder leuchtende Farben noch komplizierte Verkürzungen. (...) Davids Bild (wirkt) fast nüchtern. Gerade dadurch wird es zu einem eindrucksvollen Denkmal (...)." (Gombrich E.H., Die Geschichte der Kunst, 16. Auflage, Berlin 2004, S. 485.) Ob geträumt oder nicht, was gibt es an dieser Rezeption der Antike zu rütteln?!

    http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/aa/Death_of_Marat_by_David.jpg

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