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Comics aus China

von Entertainment, Realitäten und Propaganda bis hin zum literarischen Erbe

Mit gleich zwei Ausstellungen zum Thema Comics aus China wartet Heidelberg in den nächsten Monaten auf:
Von 3.4. bis 23.9.2023 zeigt das Centre for Asian and Transcultural Studies (CATS) Werke mit dem Schwerpunkt Entertainment – Realitäten – Propaganda und behandelt damit das Leben in der Volksrepublik China und in der Moderne. Ergänzend dazu ist im Völkerkundemuseum der J. u. E. von Portheim-Stiftung vom 27.3. bis 7.5.2023 die Ausstellung Das literarische Erbe zu sehen, wobei der Fokus besonders auf dessen Behandlung und Modifikation gelegt wird.

Indem das Augenmerk der Ausstellungen auf der künstlerischen Produktion der Jahre 1949 bis 2000 liegt, werden den Besucher:innen Lianhuanhua, 连环画 (dt.: „serielle“ oder „verknüpfte Bilder“), präsentiert, wobei es sich um Comics aus der Zeit vor 2000 handelt, die oft in verkürzter Form als Propagandainstrument der Kommunistischen Partei wahrgenommen werden.

Chinesische Comics, vor allem Lianhuanhua, haben ihren Ursprung in der Illustration literarischer Motive der Romaneditionen des 18. und 19. Jahrhunderts oder der Wiedergabe konkreter Aufführungen auf den Bühnen chinesischer Metropolen. Obwohl sich dieser Schwerpunkt ab 1949 etwas änderte und auf zeitgenössische, moderne fiktionale Geschichten verschob, ist die Adaption und Verarbeitung des traditionellen literarischen Stoffs nach wie vor einer der Hauptaspekte der chinesischen Comic-Kultur, die gerade deshalb für viele Leser:innen die wichtige Rolle der Kulturvermittlerin einnimmt. Demnach ist es kein Wunder, dass sich exakt dieser Aspekt in einem Teil der Ausstellung widerspiegelt: So präsentiert Das literarische Erbe Besucher:innen eine bunte Vielzahl von Comicadaptionen, die sich nicht allein Romanen, sondern auch der chinesischen Mythologie sowie der Oper und dem Theater annimmt.

Wie so oft wurde die weitreichende und einflussreiche Rolle des Unterhaltungsmediums schnell erkannt und für politische Zwecke genutzt: Schon sehr bald entwickelten sich Lianhuanhua zu einem festen Teil der chinesischen Kulturbürokratie und stellten ab 1949 nicht nur eine Bildungsmaßnahme, sondern ebenso ein Instrument zur Indoktrination dar. Diese soziopolitischen Zusammenhänge werden unter dem vielsagenden Titel Entertainment – Realitäten – Propaganda als weiterer Part der Ausstellung aufgearbeitet.

Das Ziel der Ausstellung ist es vor allem, einen Bereich der inhaltsreichen Sammlung der CATS Bibliothek für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen: 2500 Einzelobjekte umfasst die Bibliothek und stellt damit eine der größten China-spezifischen Comic-Sammlungen außerhalb der Volksrepublik dar. Erarbeitet wurden die Ausstellungen im Wintersemester 2022/2023 im Rahmen der am Institut für Kunstgeschichte Ostasiens abgehaltenen Lehrveranstaltung Vom Regal in die Vitrine: Ausstellungsprojekt zur Kultur chinesischer Comics (Dozent:innen: Dr. Monica Klasing Chen, Dr. Andreas Seifert), unter anderem von den sieben Studierenden Lennart Büsker, Soluna Garms, Jiahui Ni, Mona Schreiner, Emma Springsguth, Kexin Wang und Helen Weirich.

Um der Masse an Werken gerecht zu werden und den Besucher:innen einen fundierten Überblick zu liefern, wurden sie in neun Sektionen unterteilt, die im Folgenden mittels der Ausstellungseigenen Begleittexte vorgestellt werden:


 

FÜR KINDER | 儿童
damit „sind Lianhuanhua überschrieben, die gezielt für Kinder gemacht wurden. Das Medium Lianhuanhua hat sich nur am Rande ausdrücklich mit dem Entertainment von Kindern beschäftigt – oftmals waren die Inhalte wenig für Kinder geeignet, auch wenn dies in unserem Verständnis von Comic am nächsten liegen mag.“ [zu sehen im CATS]


 

ROTE HELDEN | 英雄
sie „sind das typische Motiv, wenn man an Comics aus der Volksrepublik China denkt – Helden wie Lei Feng, Jiang Jie oder Zhao Yiman dienen bis heute als Vorbilder für die Gesellschaft. Selbst wenn die Darstellung der Revolutionsgeschichte ein wesentlicher Bestandteil der Lianhuanhua-Produktion war, so stellt es eben nur einen Anteil dar. Unsere Beispiele erinnern an die bekannten Figuren.“ [zu sehen im CATS]


 

AUF DEM LAND | 农村
womit die Aussteller:innen einen Blick auf „Lianhuanhua als Dokumente des Wandels [eröffnen]. Die Darstellung der ländlichen Entwicklung im Lianhuanhua folgt dabei realen Veränderungen, versucht aber auch, die „Zukunft“ des ländlichen Lebens abzubilden. Die Konzentration auf Motive vom Land mag dabei nur ein Beispiel sein, wie sich auch andere Lebensbereiche in diesen Comics widerspiegeln.“ [zu sehen im CATS]


 

ANDERE LÄNDER | 外国
zeigt „die Behandlung ausländischer Stoffe aus aller Welt. Für die Macher von Lianhuanhua war es in ihrem Kulturauftrag klar, auch die Geschichten und Ereignisse aus anderen Ländern einem chinesischen Publikum bekannt zu machen. Es bleibt eine Unterstellung, dass nur solche Geschichten eine Adaptation im chinesischen Lianhuanhua gefunden haben, die dem sozialistischen Auftrag entsprachen: Phasenweise konnte alles bearbeitet werden, was ein Publikum fand – selbst Shakespeare und Star Wars.“ [zu sehen im CATS]


 

VON DER LEINWAND | 电影
präsentiert „Beispiele von Foto-Lianhuanhua […]. Solche Hefte verlängerten die Reichweite der Filme in die breite Gesellschaft: Bibliotheken an der Straßenecke waren häufiger anzutreffen als Kinos. Lianhuanhua füllen hier eine Lücke, gerade in Zeiten, in denen für die Mehrheit der Bevölkerung ein Besuch des Kinos unmöglich war. Dass sich unter den Beispielen auch Fernsehserien oder -filme der 1980er Jahre finden, mag als ein Beleg für die Beliebtheit des Formats Lianhuanhua gewertet werden.“ [zu sehen im CATS]


 

LITERARISCHES ERBE | 文学
hier wird „ein Schlaglicht auf die Kontinuität, mit der Motive der klassischen chinesischen Literatur immer wieder verändert in den Comics fortleben [geworfen]. Anhand einiger Romane, aber auch anhand einzelner Figuren wird gezeigt, wie präsent diese im Comic geblieben sind. Dass der Affenkönig Sun Wukong eine geradezu omnipräsente Wiederholung in fast allen Bereichen der Kultur erfährt, ist mit ein Verdienst der Lianhuanhua.“ [zu sehen im Völkerkundemuseum der J. u. E. von Portheim-Stiftung]


 

ÜBERNATÜRLICHES | 神奇
subsumiert unter sich “Comic-Adaptionen traditioneller fantastischer Geschichten und der Wiedergabe der chinesischen Mythologie im Comic. Hier gibt es Drachen, Fuchsgeister und selbst mythische Vögel, die als Sonne die Erde verdorrten, bevor ein Held sie vom Himmel schoss. Die Auswahl zeigt, wie sich regionale Erzählungen zu komplexen Volkssagen verdichtet haben und auch heute noch rezipiert werden.“ [zu sehen im Völkerkundemuseum der J. u. E. von Portheim-Stiftung]


 

THEATER IM COMIC | 戏剧
„zeigt an ausgewählten Beispielen, wie sich das Lianhuanhua in der Tradition treu geblieben ist, die Aufführungspraxis der Bühne zu Papier zu bringen. [Die] Beispiele verdeutlichen dabei, dass es sich nicht darin erschöpft zu zeichnen, was man sieht, sondern gekonnt auch das Foto bemüht wird, um abseits der Bühne Stücke und Schauspieler bekannt zu machen.“ [zu sehen im Völkerkundemuseum der J. u. E. von Portheim-Stiftung]


 

ROTE BÜHNEN | 样板戏
„berühren […] den Übergang einer traditionellen Form – der Oper – in ein politisches Instrument. Die seit den frühen 1960er Jahren anhaltende Bewegung zur Kreation einer (wahrhaft) revolutionären Kultur berührt auch den Bereich der Bühnenkunst. Mit den Modellopern und anderen Modellstücken wurden dabei ab 1964 Formate geschaffen, die den traditionellen Kulturkanon in einen modernen, sozialistischen überführen. [Hier wird] die Intermedialität dieses Ansatzes [gezeigt], der auch die Lianhuanhua als Vermittlungsinstrument nutzt.“ [zu sehen im Völkerkundemuseum der J. u. E. von Portheim-Stiftung]


 

Ein Besuch der Ausstellungen lohnt sich allemal, immerhin lässt er sich allein aufgrund der unterschiedlichen Standorte wunderbar mit einem Frühlings-, bald auch Sommerspaziergang verbinden. In welcher Reihenfolge die Exponate und Sektionen besichtigt werden, bleibt dabei den Besucher:innen überlassen. Es bleibt jedenfalls festzuhalten, dass sich hier ein frischer Blick auf eine hierzulande, bis jetzt (!) stark vernachlässigte Comickunst bietet.

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