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Wiktorija Lomasko: Die Kunst der Balance

Ein Künstlerinnengespräch

Sie selbst bezeichnet ihr Werk als graphic reportage. Zugeordnet werden ihre Veröffentlichungen den Comics und Graphic Novels.
Wiktorija Walentinowna Lomasko ist eine politikkritische russische Künstlerin, die 2003 ihren Abschluss an der Staatlichen Universität für Druckwesen in Moskau (MGUP) mit dem Schwerpunkt Buchkunst machte. Von 2010 bis 2014 gab sie Zeichenunterricht in der Mozhaysk Jugendstrafanstalt.
Insgesamt veröffentlichte Lomasko sechs Bücher, davon allerdings nur eines in ihrer Heimat Russland. Dort ist das Fotografieren, vor allem (politisch) brisanter Ereignisse, für gewöhnlich nicht erlaubt. Lomasko umgeht das Verbot, indem sie Veranstaltungen und Geschehnisse besucht, beobachtet und sie in ihrem cartoon-artigen Zeichenstil dokumentiert. Ihr ist es wichtig mit den Zeichnungen vor Ort zu beginnen, noch während sie sich bei den betreffenden Menschen befindet. Andernfalls, so ist sie sich sicher, würden die Bilder ihre Energie verlieren.
Mit ihrer Arbeit sieht sich die Künstlerin in einer Familientradition. Ihr Vater, Walentin Lomasko, arbeitete als Maler in einer geheimen Militäranlage, in der er auf Plakaten den Ruhm der Sowjetischen Union demonstrieren sollte. Daneben fertigte er hunderte Bilder von Lenin an. Seiner Tochter nach tat er dies alles nicht, weil er daran glaubte, sondern schlicht um Geld für seine Familie zu verdienen. Sein Wunsch war es ein richtiger Künstler zu sein und damit gab er all seine Ambitionen an seine Tochter weiter.
Am 28. Mai 2018 hielt die russische Künstlerin am Heidelberger Institut für Europäische Kunstgeschichte einen Vortrag über ihre jüngst in Deutschland publizierte Graphic Novel „Die Unsichtbaren und die Zornigen“. Im Rahmen ihres Deutschlandbesuchs war es möglich ein Gespräch mit der prämierten Künstlerin zu führen.

Warum setzt sich Lomasko so kritisch mit der Politik ihres Heimatlandes auseinander? Gab es dafür einen Auslöser?

Die Künstlerin betont, dass sie Politik nicht in einem engen Bereich definieren möchte, der beispielsweise nur das Wählen eines Präsidenten oder Demonstrationen umfasst. Sie findet es interessant zu beobachten was geschieht und den eigenen Platz in der Gesellschaft in Frage zu stellen. Als sehr prägend habe sie die Berichterstattungen über Demonstrationen empfunden. Viele hatte sie selbst besucht und die dortigen Zustände gesehen. Dass sich dabei zwischen Realität und öffentlicher Dokumentation eine solche Diskrepanz bildete, beeinflusste sie sehr. Die Mehrheit der russischen Bevölkerung geht von einer neutralen, angemessenen Berichterstattung aus und ist davon überzeugt, dass es dem Land unter Wladimir Putin gut gehe. Als ein Beispiel für Ereignisse, die die Menschen zum Umdenken bewegen, nennt Lomasko den Fall einer LKW-Fahrer-Demonstration (in Russland ist es nur Männern erlaubt schwere LKW zu fahren), an der sie selbst teilnahm.
Im November 2015 erließ die russische Regierung das Gesetz, einer 400.000 Rubel (umgerechnet 5.515,76 Euro, Stand Juni 2018) teuren LKW-Maut – eine Summe die für die LKW-Fahrer und -Besitzer:innen den Bankrott bedeuten würde. Für diese Maut wurde das sogenannte Platon System, eine Methode zur elektronischen Einnahme der Mautgebühren, gegründet. Das System sah außerdem vor, dass bei Nichtzahlung oder sonstigen Vergehen eine erstmalige Summe von 450.000 (6.205,23 Euro), bei Wiederholungen sogar jeweils 1.000.000 Rubel (13.789,39 Euro) Bußgeld gezahlt
werden sollte. Interessant ist, dass 50% der Firma, die das Plato System ausführte, Igor Rotenberg gehört – dem Sohn des Millionärs Arkady Rotenberg, ein Mann, der in Putins innersten Kreisen verkehrt.

Die Trucker fuhren, um Putin mit dieser für sie unmöglichen Forderung zu konfrontieren, nach Moskau, wo sie 20 km außerhalb der Stadt ein Camp aufschlugen. Bald kamen weitere Menschen, die mit protestierten und die Trucker mit Nahrung und Benzin unterstützen. Da es sich dabei um Menschen der jüdischen, später auch der LGBTQIA+-Gemeinde, sowie Feminist:innen handelte, waren die LKW-Fahrer skeptisch und erstaunt – denn vier Dinge, so sagt Lomasko, sind wichtige „Fakten“, die vom russischen Volk geglaubt werden:
1. Die Krim gehört zu Russland.
2. Der Oppositions-Politiker Boris Nemtsov wurde zu Recht erschossen.
3. Homosexuelle und Feministinnen sind böse Menschen.
4. Alle Demonstrationen werden in Wahrheit von amerikanischen Agenten initiiert.
Dem Umstand geschuldet, dass die Helfer:innen aus den Reihen dieser „bösen“ Menschen kamen, begannen die Trucker die Aussagen der Regierung und Medien zu hinterfragen. Hinzu kam, dass nach wenigen Tagen auch diese Demonstration der Organisation eines amerikanischen Spions zugeschrieben wurde. Es entstand eine Erkenntnis, geprägt durch die Konfrontation mit der Berichterstattung und der Begegnung mit „Volksfeinden“.
Auch die Künstlerin besuchte zu dieser Zeit jede Woche die Demonstrationen und das Camp. Dort illustrierte sie ihre Eindrücke, hielt die Zustände und Begebenheiten zeichnerisch fest.

Hatte der Zeichenunterricht in der Strafanstalt auch eine politische Komponente?

Die NGO, die ihre Beschäftigung in dem Gefängnis organisierte (zu deutsch: Zentrum zur Reform des Jugendstrafvollzug) wurde von einem ehemaligen Politgefangenem ins Leben gerufen. Lomasko betont, dass allein die Tatsache, dass sie in der Jugendhaftanstalt Zeichenunterricht geben durfte, etwas so Surrealem, etwas Fantastischem glich, dass nicht daran zu denken war, Politik in irgend einer Weise mit einfließen zu lassen. Politik sei außerdem für die Jugendlichen dort bedeutungslos – es ginge darum, sich selbst neu zu erfahren. Sie erzählt außerdem, dass bei ihrem Kommen und Gehen immer strenge Inventarkontrollen vorgenommen wurden. Das einzig ihrem Empfinden nach Politische war die Wechselwirkung zwischen dem komplett abgeschotteten Gefängnisinneren und der Außenwelt. Ausstellungen und Postkarten sollten diese Verbindung zur Öffentlichkeit vertiefen.

Woher weiß Lomasko was sie thematisieren darf und was nicht?

Genau das wisse sie nicht, sagt die Künstlerin. Sie habe das Gefühl, dass Russland einem Laboratorium gleicht, in dem die Menschen wie Ratten in einem Experiment Stromschläge erhalten, wenn sie diesen oder jenen Knopf betätigen. Deshalb sind die Einwohner:innen Russlands vorsichtig.
Sie selbst wählt stets Themen, die zwar kritisch sind, sie aber wahrscheinlich nicht in Haft bringen. Auf die Weise führt sie einen andauernden Balanceakt aus, um ihre Ansichten auch in Zukunft künstlerisch kundtun zu können. Sie führt als Beispiel ein Gesetz an, das es Leuten wie ihr in Russland sehr schwer macht: Sobald man auf Social Media Plattformen mehr als 300 Follower hat, zählt der Account in Russland nicht mehr als privat und unterliegt einer strengeren Aufsicht.

Hatte sie aufgrund ihrer Arbeit bereits Konflikte mit dem Gesetz oder der Polizei?

Lomasko erzählt, dass sie noch nie verfolgt wurde, oder Probleme mit dem Gesetzt hatte. Das liege allerdings an ihrer Selbstzensur und dass sie über die Themen die sie veröffentlicht sehr genau nachdenkt. Sie betont, dass Russland ihr Land und Russisch ihre Sprache sei und sie in ihrer Heimat bleiben möchte. Ein Thema bei dem sie sofort Schutzasyl beantragen müsste wäre der Krim-Krieg. Dies ist allerdings ein sehr theoretisches Beispiel, da es nur Kriegskorrespondenten erlaubt ist in dieses Gebiet zu reisen und die Künstlerin deshalb nicht einmal in die Nähe der Ereignisse käme.

Und wer sind ihre Lieblingskünstler:innen?

Bei der Antwort schmunzelt die Künstlerin und merkt an, dass die Russischen Künstler die sie nennt für die meisten Deutschen Unbekannte sein werden. Sie nennt drei Grafiker:innen und Maler:innen der Russischen Avantgarde: Kusma Sergejewitsch Petrow-Wodkin, Alexander Alexandrowitsch Deineka sowie Pawel Warfolomejewitsch Kusnezow, der einer der Hauptvertreter der Künstler:innengruppe Blaue Rose war.
Von den deutschen Künstler:innen führt sie Käthe Kollwitz und Georg Grosz an. Ihre Werke habe sie zum ersten Mal in einem deutschen Museum gesehen und schätzt an ihnen, dass sie ein Verständnis für die damaligen Menschen in ihrer Zeit und ihrem einfachen Leben vermitteln. Für sie sei es, so sagt sie, beim Betrachten der Bilder so, als wäre man dabei gewesen.

Mein besonderer Dank gilt Wiktorija Lomasko für das anregende Gespräch und Jasmin Söhner sowie Dr. Felicitas Fischer von Weikersthal für das Dolmetschen.

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