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Open Access als Geisteshaltung: Über die Wahrnehmung einer Forschungsrevolution in Öffentlichkeit und (Geistes)Wissenschaft

Ein paar Leute haben gefragt, ob ich meine keynote bei den open access-Tagen in Zürich vom Anfang September auch zum Nachlesen zur Verfügung stelle. Here you are - aber ohne Fußnoten

I

Ich freue mich sehr, gerade hier in den Schweiz über Open Access reden zu dürfen, und das ist jetzt keine übliche captatio benevolentiae. Vor einem Jahr nämlich habe ich dem Chef des Schweizer Nationalfonds, Herrn Vetterli, zu seiner mutigen OA-Politik gratuliert, immerhin ein Meilenstein in dem Geschäft. Die Schweiz ist damit zu einem hotspot in der internationalen OA-Szene geworden. Und außerdem freue ich mich, in einem Bibliothekskontext zu reden, scheinen mir doch die Bibliotheken mit dem Digitalen einen wesentlichen Aspekt der anstehenden Wissensrevolution sehr viel besser verstanden zu haben, als große Teile der Wissenschaft selber. Das ist jetzt auch nur ein bißchen captatio.

Auf Konferenzen wie dieser hier sich zu OA zu bekennen, ist ja eigentlich wohlfeil, weil die meisten von Ihnen sowieso dafür sind. Ansonsten aber wird doch weiterhin mit harten Bandagen gegen OA gekämpft, natürlich nicht in den Natur-, aber doch unverkennbar in den Geisteswissenschaften. Daher war auch die Verwunderung von Herrn Vetterli verständlich, der sich bei aller Zufriedenheit über meine Reaktion etwas überrascht darüber zeigte, dass ich als Vertreter einer geisteswissenschaftlichen Fakultät ein derartig eindeutiges Bekenntnis abgegeben hatte. Eine Kollegin von mir wurde vor gar nicht allzu langer Zeit als Bolschewistin beschimpft, weil sie sich - auf eine durchaus zurückhaltende und abgewogene Art - zu OA bekannte. Ähnliches werden die meisten von Ihnen auch schon erlebt haben. OA zu fordern ist immer wieder wie in ein Wespennest zu stechen, auch wenn viele inzwischen dafür sind, solange es sie nicht selber als Textproduzenten betrifft. Wer sich dazu bekennt, ist schnell kategorisiert, auch weil er angeblich immer gleich einer ist, der die Pflicht zu OA fordert. Er/ sie wird denunziert als jemand, der die Eigenständigkeit der Geistes- gegenüber den Naturwissenschaften aufgibt. Als einer, der den geschützten Bereich einer als naturgegeben verstandenen Gelehrsamkeit an die Vulgarität der Masse verkauft und seine exklusiven Inhalte an ein Internet verscherbelt, das mindestens im Hinterkopf weiterhin in erster Linie mit Kinderpornographie, Rechtsradikalismus und allgemeiner Verflachung assoziiert wird. Ganz schwer ist es auch im Jahr 2015 noch, als OA-Anhänger nicht als Feind des Buches dazustehen, so als wäre das Buch an das bislang geläufige Medium des Druckes gebunden, oder als würde andersherum OA den zusätzlichen Druck ausschließen. Soviel schon mal gleich vorneweg als Antwort an Michael Hagner (ein Wahlschweizer), der zuletzt eine zugegebenermaßen brillante Polemik geschrieben hat.

Unterstützt wird diese ablehnende Position von Personen, deren nicht immer herausragende Rolle in der Wissenschaft dadurch aufgewertet wird, dass sie in einflussreichen Organen, vorzugsweise der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, prominente Plätze zugewiesen bekommen. Oder auch von Professoren, die von der Autorhoheit fabulieren und die im übrigen jede Form von äußerem Druck als Angriff auf ihre Professorenherrlichkeit empfinden. Auch das Votum eines bekannten Historikers, bei einer der produktivsten Utopien der Wissenschafts-Gegenwart, nämlich derjenigen von digital getriebener Offenheit und Kooperation, handele es sich um „weichen, warmen Hippie-Kitsch“, trägt nicht unbedingt zur Vertrauensbildung bei. Um so mehr, als der Vortrag dieses Historikers, aus dem das Zitat entnommen ist (übrigens schon wieder ein Wahlschweizer), dann gleich komplett in der erwähnten FAZ publiziert wurde.

II

Ich finde die Situation in meinem eigenen Fach, der Kunstgeschichte, noch einigermaßen befriedigend. Das hängt in allererster Linie mit den äußerst erfolgreichen und professionellen Bemühungen der SLUB Dresden und der UB Heidelberg zusammen und hier vor allem mit dem Engagement von Frau Dr. Effinger. Beide Bibliotheken sind zusammengeschlossen im Portal arthistoricum, das insbesondere die Aktivitäten im neuen und in der Form durchaus umstrittenen Fachinformationsdienst (FID) bündelt, welcher die alten Sondersammelgebietsbibliotheken ablöst. Einmal ganz abgesehen von den dort angegangenen großen Retrodigitalisierungs-Kampagnen etwa zu Kunstzeitschriften des 19. Jahrhunderts hat Heidelberg einen nach allen Regeln der bibliothekarischen Kunst aufgelegten Publikationsserver für goldene und grüne OA-Schriften aufgelegt, der sich steigender Beliebtheit erfreut. Er umfasst zur Zeit knapp 3.500 Schriften und wird ergänzt durch ein Archäologieangebot, das etwas kleiner ist. Das sind meist Aufsätze, zugegebenermaßen nur ein Bruchteil des Vorhandenen, aber immerhin doch mehr als ein Anfang, der durch die geläufigen Netzwerkeffekte zukünftig noch stärker wachsen wird. Bedauerlich ist dabei nur, dass das Kunstgeschichtsangebot kaum Nachahmer in den Kernfächern der Geisteswissenschaften findet, so dass die genannten Netzwerkeffekte vor allem im Hinblick auf eine echte Interdisziplinarität noch nicht hinreichend eingesetzt haben. In Kombination mit den vom arthistoricum-Verbund ebenfalls geplanten social media Funktionen, die zu einer automatischen Benachrichtigung über neu hochgeladene Schriften aus vorher ausgewählten Bereichen führen, könnte hier etwas in öffentlicher Regie entstehen, das dem amerikanischen academia.edu Paroli zu bieten in der Lage wäre. Ich weiß nicht, warum andere Fächer hier häufig wenig zu bieten haben, ob es an individuellem Fehlverhalten oder fehlgeleiteter Förderpolitik liegt. Jedenfalls könnte kaum irgendetwas anderes den Mehrwert von OA so deutlich hervortreiben wie ein solches interdisziplinäres Netzwerk. Und das Engagement der beiden arthistoricum-Bibliotheken zeigt, dass auch im öffentlichen Sektor durchaus bemerkenswerte Leistungen möglich sind.

OA in der Kunstgeschichte ist ansonsten ein haariges Geschäft, da unser Material, das wir ja tunlichst mitveröffentlichen sollten, also die Abbildungen von Kunstwerken, einen urheberrechtlich prekären Status haben. Und selbst dort, wo er eigentlich klar und meist viel freizügiger ist, als uns das viele Interessensvertreter weißmachen wollen, ist er häufig trotzdem so unbekannt, dass man aus lauter Angst vor Regressforderungen lieber ganz auf OA verzichtet. Manchmal habe ich den Eindruck, dass diese Tatsache einen konsequenten Übergang in das neue Medium ganz verhindert. Aber dann erinnere ich mich erleichtert an Reto Hilty, den Chef des Max-Planck-Instituts für Immaterialgüterrecht (wieder ein Schweizer). Der nämlich hat einmal gesagt, dass wir im geschützten öffentlichen Dienst doch nicht immer vorauseilenden Gehorsam leisten sollten und da, wo wir uns nicht sicher sind, uns eher mutig als zurückhaltend zeigen können. Ich glaube, er hat sogar gemeint, man möge doch in Problemfällen auch einmal gerichtliche Auseinandersetzungen zur Klärung der Rechtslage provozieren, um ein wenig Licht in den Dschungel zu bringen. Aber das will ich nicht beschwören. Denn das wäre dann ja schon fast so etwas wie Aufforderung zum Rechtsbruch.

III

Zurück zur Presse: Die Berichterstattung in den großen deutschen Tageszeitungen ist merkwürdig, so wie insgesamt eine Tendenz vorherrscht, die Kosten des Digitalen gegenüber dessen Nutzen zu betonen. Ich meine hier nicht die finanziellen Kosten. Immerhin scheint zuletzt die Einsicht in das ebenso Sinnvolle wie Unvermeidliche gestiegen zu sein. Über konkrete OA-Projekte wird durchaus positiv berichtet, aber sobald es ins Grundsätzliche geht, ertönen doch vermehrt kritische Stimmen. Das ist natürlich je nach Medium verschieden, die Süddeutsche Zeitung zeigt sich in jedem Fall aufgeschlossener als die FAZ. Dass sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung dem Initiator des "Heidelberger Appells" als Sprachrohr hingegeben hat, dürfte mit ihrer Überlebensangst, aber auch mit dem Hang ins Elitäre zu tun haben, das man von der schnöden Allgemeinzugänglichkeit im Internet bedroht sieht. Dass sie damit eine Reihe von ahnungslosen Großschriftstellern zur Unterschrift unter ein überaus einseitiges Elaborat verführt hat, ist trotzdem ein Beleg für mangelnde Weitsicht - und knochenhart vertretenes Eigeninteresse. Denn Urheberrechtsverletzungen auf der einen Seite haben eben mit der Priorisierung von OA nichts zu tun. Und diesen Großschriftstellern ging es erkennbar in erster Linie um die Urheberrechtsverletzungen. Es ist als ein bleibendes Verdienst des SNF zu beurteilen, dass dieser sich nicht hat abschrecken lassen, trotzdem eine konsequente OA-Politik zu machen - bei allem auch inner-schweizerischen Widerstand, der typischweise wiederum meist aus der geisteswissenschaftlichen Ecke kommt. Ich würde mir wünschen, dass auch die deutschen Wissenschaftsorganisationen hier ein wenig nachlegten und ihre Bekenntnisse zu den diversen OA-Declarations stärker auf die Praxis einwirken ließen. Wenn allerdings die inkriminierte FAZ so weit geht, von "Zwang zu OA" in der Überschrift zu einem Artikel zu reden, in dem es um den baden-württembergischen Vorschlag geht, jedem Autor und jeder Autorin ein unaufgebbares Recht einzuräumen, einen wissenschaftlichen Beitrag auch frei zugänglich ins Internet zu stellen, so kann man das nur als Irreführung bezeichnen. Vielleicht hängt ja die Zurückhaltung in Deutschland auch mit der sehr deutlichen Anti-Haltung der FAZ zusammen, deren Reputation in Akademikerkreisen kaum niedriger als die der Bibel anzusiedeln dürfte.

Im übrigen gibt es auch in aufgeschlosseneren Pressezirkeln Stimmen, bei denen gleichsam habituell Urteile über OA einfließen, die ein unbewusstes Klischee bedienen, nichtsdestoweniger aber falsch sind. "Digitale Fachzeitschriften-Abos werden unbezahlbar" heißt es in einer SZ-Überschrift. Mal abgesehen davon, dass der normale deutsche Professor digital und OA sowieso gleichsetzt (ist ja irgendwie alles elektronisch), wird das dann im Artikel selber, der ausführlich davon handelt, dass OA viel Geld kostet, auch noch implizit bestätigt. Dabei wissen Sie alle, dass hier zwei Dinge in den gleichen Topf geworfen werden, die sich ja nun einmal sogar ausschließen. In einem SZ-Bericht über die Ankündigung der University of California, den Anbieter von Nature zu boykottieren, weil dieser in 2011 die Preise für sein Flaggschiff um 400% erhöhen wollte, stimmt der Autor in die Verärgerung ein. Aber es rutscht ihm auch ein herablassender Satz wie der folgende heraus: "Wenn die Verlage bei der Preisgestaltung völlig überziehen, dann weicht die großteils öffentlich finanzierte Forschung auf billigere Foren aus oder auf OA, also Selbstverlag der Universitäten". Nach dem Motto: Wenn die traditionellen Anbieter zu unverschämt werden, dann geht die Wissenschaft in den Sandkasten des do it yourself. Überhaupt die habitualisierten Klischees, die gar nicht einmal so sehr - wenn überhaupt - von bösem Willen zeugen, sondern die tiefe Verwurzelung in der analogen Kultur belegen und durchaus auch als Apologie des OA daherkommen können. An einer Stelle - wieder in der Süddeutschen - heißt es, es würden heutzutage so viele Artikel veröffentlicht, dass man das gar nicht mehr alles lesen könne. Diese Tatsache - so wäre hinzuzufügen -, bezieht ihre Evidenz übrigens wenigstens zum Teil erst aus der durch das Internet selber geschaffenen Sichtbarkeit. Dann aber erneut die Trennung und Hierarchisierung: All das Halbgare und Versuchsweise könne man ja ins OA des Internet packen, für das Abgehangene und entsprechend Überarbeitete sei weiterhin das gedruckte Buch notwendig, und für dessen Produktion sei natürlich der private Verlag prädestiniert. Ich erinnere mich noch, wie ich meinen ersten Sammelband in einem durchaus renommierten Verlag publiziert habe, der ein fertig formatiertes und dann nur noch vom Verlag photographisch zu reproduzierendes Manuskript verlangte. Damit verzichtete er von vorne herein auf die immer so hochgehaltene und angeblich im OA nicht realisierte Lektoratsaufgabe des Verlages. Übrigens bei einem durchaus stattlichen Druckkostenzuschuss! Wenn ansonsten in der SZ eine ausführliche Darstellung eines an entlegener Stelle publizierten Artikels über die hohen Kosten von OA geliefert wird, dann kann ich mir nicht helfen: Irgendwie macht das Ganze doch den Eindruck, als wäre man nur contre coeur bei der Zukunft dabei. Im übrigen hier mal eine kleine Apologie der Quantität, schon alleine weil meine Kollegen aus Gründen, die Sie sich selber ausmalen können, gerne das Gegenteil machen. In mehr Veröffentlichungen kann - muss nicht - auch mehr Wissen stecken. Weniger zu veröffentlichen, wie dies momentan in flagrantem Gegensatz zur Praxis überall dort gefordert wird, wo man entweder den eigenen Veröffentlichungsunwillen begründen oder den Wert des Exklusiven bestätigen will, muss nicht unbedingt ein Vorteil sein. Dies ist kein Plädoyer für unbedachtes Heraushauen von Unfertigem, aber der Hinweis darauf, dass man gerade im Digitalen vorzügliche Möglichkeiten der entsprechenden Filterung hat. Es ist wie immer in dem Feld: Das Internet ist einerseits das Problem, aber es liefert die Lösungsmöglichkeiten gleich mit

IV

Aber wie dem auch sei. Es hat keinen Zweck, sich immer nur von den bösen Reaktionären abzusetzen und sich in die Schmollecke zu begeben. Besser wäre es wohl, das Wertesystem der Traditionsverteidiger ernst zu nehmen und flexibel darauf zu reagieren, nicht immer nur im Widerspruch zu ihm. Ich gebe zu, dass dazu auch ein wenig Selbstverleugnung und Taktik gehört, einmal abgesehen davon, dass wir alle immer mit einem Bein in der Vergangenheit und mit dem anderen in der Zukunft stehen. Das entspricht einer historischen Erfahrung, die im neuen Medium immer die Mimikry des alten erkennt: Der frühe Eisenbahnwaggon sah aus wie eine Kutsche, erst im weiteren Verlauf hat er seine eigene Form entwickelt. Aber die Durchgangsstation ist unverzichtbar. So ist es auch mit dem OA. Das OA imitiert zunächst Praktiken des analogen Publikationswesens. Dazu würde ich auch die für meinen Geschmack einigermaßen penetrante Politik des peer reviewing zählen. Keine OA-Zeitschrift, die nicht spätestens im zweiten Satz ihrer Selbstdarstellung darauf verweist, ein strenges peer reviewing zu praktizieren, möglichst double blind und umfangreicher, als das in den allermeisten analogen Zeitschriften wenigstens im geisteswissenschaftlichen Bereich jemals praktiziert wurde oder wird. Auch hier eben will sich das neue Medium dem alten andienen, um anerkannt zu werden und eventuell einmal an dessen Stelle treten zu können. Denn in der Sache scheint es mir gerade unangemessen. Die Möglichkeiten einer post-festum-Evaluation sind im online-Medium viel umfangreicher, und in meinen Augen sollten sie auch viel intensiver betrieben werden, um OA nicht nur als praktikableres, sondern auch die Wissenschaften tiefergehend veränderndes Medium zu etablieren. Mit „verändernd“ meine ich hier, dass der Gebrauch einer Veröffentlichung in seinen unterschiedlichsten Dimensionen mindestens neben die Einordnung des einzelnen gatekeepers gestellt werden sollte, der als peer reviewer fungiert. Daher halte ich das Votum Caspar Hirschis für ganz richtig (noch eine - letzte - Verbeugung vor der Schweiz!) das allseits vernachlässigte Lektorat sei mindestens so wichtig wie das peer reviewing. Aber Mimikry des alten im neuen Medium sehe ich auch an anderen Stellen. Z.B. bei den sehepunkten, die ich selber mit aus der Taufe gehoben habe. Sie dürften unter anderem deswegen so erfolgreich sein, weil sie eigentlich genau das Gleiche machen wie dies Rezensionszeitschriften vorher im Druck taten, abgesehen davon eben, dass die sehepunkte online sind. Ob das auf Dauer der Stein der Weisen bleiben wird, wage ich zu bezweifeln. Immerhin sind die sehepunkte ein schönes Beispiel für die medialen Selbstverstärkungen im Netz. Weil man sie so schön leicht anlinken kann, haben die Bibliothekare dafür gesorgt (danke schön!), dass sie häufig gleich an den Katalog-Datensatz des besprochenen Buches angehängt und dadurch noch häufiger gelesen werden. Und außerdem: Man liest ja soviele Rechnungen zu den Kosten von OA, und ich habe ja eben auch schon auf den einschlägigen SZ-Artikel verwiesen. Keine Frage, OA ist nicht billig, und das Kostenargument ist aus meiner Sicht auch gar kein zentrales für OA. Bei den sehepunkten aber kann ich eine einfache Rechnung aufmachen. Die Zeitschrift wird von einem halben wissenschaftlichen Mitarbeiter gemanagt, zu dem ein paar Dutzend Hilfskraftstunden und die Serverkosten hinzukommen. (daneben allerdings an die 60 verteilte Redakteure, die nur für ihr eigenes Renommee arbeiten) Das ist in der Summe um die 50.000 Euro im Jahr. Bei 1000 Besprechungen pro Jahr sind das 50 Euro pro Artikel. Nach manchen Berechnungen kostet das bisherige System pro Artikel 5000 Euro, und OA soll angeblich 1000 bis 3000 Euro erfordern. Da ist ja eine Menge Luft zwischen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Rezensionen natürlich kurz sind und nicht double blind begutachtet werden, könnten die Kosten ja vielleicht doch noch ein ganzes Stück niedriger liegen, wenn man diese nicht von denjenigen berechnen lässt, die nun eben gerade ein Interesse daran haben, dass sie hoch sind.

Aber mit der Kostenrechnung tue ich etwas, was ich eigentlich gerade vermeiden will, denn es gibt viel wichtigere Argumente für OA als die Kosten. Zwei werden merkwürdigerweise nur selten genannt: Erstens dasjenige, das OA als eine noble Form von Entwicklungshilfe ausweist für Länder, die sich die hohen Zeitschriften- und Buchkosten noch weniger leisten können als immer mehr europäische Bibliotheken. Und dann das der automatischen Übersetzung. Für die Öffentlichkeit, die weiterhin über die teilweise einigermaßen lächerlichen, aber kostenlos zugreifbaren Dienste im Internet schmunzelt, ist das nicht so gut sichtbar, aber die automatische Übersetzung hat in den letzten Jahren doch erstaunliche Fortschritte gemacht. Und auch wenn sie auf absehbare Zeit, vielleicht auch dauerhaft nicht in der Lage sein wird, den Geist eines Textes zu transportieren, der insbesondere in den Geisteswissenschaften unverzichtbar ist: Die Qualität sollte doch immerhin ausreichen, um den Leser auf die Notwendigkeit hinzuweisen, sich mit dem betreffenden Text näher zu beschäftigen, und sei es im Extremfall, dass er die Sprache lernt. Mit einem Schlag wäre auf diesem Weg ein guter Teil der Sprachproblematik in den Wissenschaften gelöst, und man müsste nicht immer auf Englisch radebrechen. Im übrigen zeigt sich hier vielleicht eine der in meinen Augen wichtigsten Eigenschaften des Arbeitens mit dem Digitalen: Als ein Korrelationsmedium, nicht als Kausalitätsmedium fungiert das Internet im Kern als ein recommender system, die Schlussfolgerungen dürften weiterhin vom menschlichen Verstand zu ziehen sein.

V

Mimikry betreiben wir auch in einem neuen Projekt, auf das ich jetzt noch kurz zu sprechen kommen möchte, und das eben deswegen auch schon auf harte Kritik gestoßen ist. Die Idee dabei: OA von seiner Beschränkung auf Aufsätze zu befreien und damit in ein Medium vorzustoßen, das noch immer als Königsweg geisteswissenschaftlicher Forschung betrachtet wird, also das Buch. Ich habe die Beschränkung auf kürzere Aufsatzbeiträge nie so richtig verstanden, meistens war das Argument ja, am Bildschirm könne man keine längeren Texte lesen. Aber was heißt schon länger? Ist ein 25-seitiger Aufsatz nicht auch schon länger und damit nicht am Bildschirm zu lesen? Ein wesentliches Element der Anerkennung des "gegnerischen" Wertesystems wäre also schon einmal, den Unwillen ernst zu nehmen, am Bildschirm zu lesen. Ein weiteres besteht in dem Klischee, gedruckt würde das Gute, online käme das Schlechte. Wenn man ehrlich ist, funktioniert das System bislang in den Geisteswissenschaften auch so. Weniger gut benotete Dissertationen werden unauffällig publiziert, z.B als Microfiche oder eben online, wobei die Unauffälligkeit im Netz natürlich nicht gesichert ist und eigentlich gerade das Gegenteil der Fall ist. Studierende richten ihre Aufmerksamkeit in jedem Fall heute schon eher auf das Internet als auf die Bibliothek, wir hätten dann im wahrsten Sinne des Wortes eine Schlechtestenauslese. Trotzdem, wie oft hört man, das ist nicht so doll, das solle man besser ins Internet stellen. Dagegen die Guten: Je besser die Arbeit, desto renommierter der Verlag, den man ansteuert, um bei ihm seine Arbeit zu publizieren. Dass dieses Renommée nicht mehr unbedingt den Leistungen des jeweiligen Hauses entspricht, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin ist der Klang eines Verlagsnamens von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Bewertung eines Kandidaten/ einer Kandidatin etwa in einem Berufungsverfahren. Dies umso mehr, als man bei den vielen Büchern gar nicht mehr alles lesen kann und sich auf äußerliche Merkmale verlassen zu können glaubt.

Es hilft also nichts, wenn man speziell in den traditionsverhafteten Geisteswissenschaften reüssieren will, muss man zwei Dinge tun, erstens (und leichter zu realisieren) dem Leser und der Leserin zumindestens die Option anbieten, das Buch in seiner geläufigen Druckform zu konsumieren. Und zweitens - viel schwieriger - muss man eine eigene Reputation aufbauen.

Beides versuchen wir in unserem MAP-Projekt, Modern Academic Publishing zu verwirklichen. Dabei haben sich zwei Universitäten zusammengeschlossen, die in Deutschland mit dem Exzellenz-Label versehen sind, die Kölner und die Münchener LMU. Veröffentlicht werden sollen Dissertationen, aber eben nur wirklich gut benotete Arbeiten. Damit wollen wir vor allem auch die Nachwuchsförderung auf ein neues Fundament stellen. Die herkömmliche Rezeptionsweise ermöglichen wir durch Hybridpublikation, eigentlich nichts Besonderes, aber unser Dienstleister, die englische ubiquitypress, hat exzellente Drucker zur Verfügung und realisiert einen on demand Buchdruck, der sich vom offset-Druck kaum mehr unterscheidet. Ansonsten definieren wir das Angebot als ein Aushängeschild für die genannten Universitäten, aber auch für OA. Seht her, auch das Gute kann im Internet landen. Und: Von diesen beiden Universitäten kommt vieles Gutes. Festzustellen ist allerdings, dass gerade die Anfangsphase ausgesprochen mühsam ist, weil gerade beim Textsatz und all den rechtlichen, organisatorischen und kommerziellen Rahmenbedingungen Schwierigkeiten entstehen, die einen manchmal zur Verzweiflung treiben können. Ich sage das ausdrücklich auch in Anerkennung dessen, was von Verlagen geleistet wird.

Es bleibt abzuwarten, was bei dem Unternehmen herauskommt. Wenn es privatwirtschaftlich organisiert betrieben wird, dann in strikter Dienstleistungsfunktion und natürlich in erster Linie mit offenen Lizenzen. So verstehe ich auch die Autorhoheit: Der Autor und die Autorin bestimmen, was mit ihrem Produkt passiert und behalten selbstverständlich dessen Nutzungsrecht. Im übrigen habe ich den Eindruck, dass sich hier auch ein neues Feld für die Universitätsbibliotheken öffnen könnte, da insbesondere das Lektorat heute im wissenschaftlichen Bereich sowieso häufig eine von den Verlagen outgesourcte Tätigkeit ist, wenn es überhaupt realisiert wird. Die Voraussetzungen hierfür z.B. an meiner eigenen UB in München scheinen mir gut, nicht nur, weil deren OA-Server im letzten Jahr Platz 2 im nationalen OA Repository Ranking belegt hat. Sondern vor allem auch, weil mir dort unter Leitung ausgerechnet eines Volkswirten ein in öffentlicher Regie realisiertes Unternehmen für möglich und erstrebenswert gehalten wird. Wäre dies nicht in einer insgesamt eher dystopisch gestimmten Zeit eine schöne Utopie?

 

1 Comment(s)

  • hefelin
    31.12.2015 10:48
    FAZ: "... mit schlechtem Beispiel voran"

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/baden-wuerttemberg-entrechtet-seine-wissenschaftlichen-autoren-13988149.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

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