Beitrag

Reenactment einer "legendären" Ausstellung

1969 organsierte Harald Szeemann (1933-2005) eine Ausstellung, die zu den berühmtesten ihrer Art gehört: „Live in Your Head: When Attitudes become form“ hieß es in der Kunsthalle Bern. Die Schau umfasste künstlerische Positionen  zwischen Arte Povera, Konzeptkunst, Fluxus und Minimal Art (weitere Stationen waren Krefeld und London). Viele der damals ausgestellten Künstler gehören heute zum Kanon der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wie Richard Long, Joseph Beuys, Lawrence Weiner, Alighiero Boetti, Carl Andre, Walter De Maria, Edward Kienholz. Manche leben schon eine Weile nicht mehr, wie Michael Buthe. Richard Artschwager starb vor kurzem. Szeemann zog sich seinerzeit massive Kritik zu, vor allem von den Berner Bürgern, ein Umstand, der freilich den heutigen Ruf des Projektes mit begründete.

 

Harald Szeemann war zweimal Leiter der Biennale Venedig (1999 und 2001) und wäre in diesem Jahr 80 Jahre geworden, und so hat man sich eine Rekonstruktion der legendären Ausstellung in der Fondazine Prada am Canale Grande vorgenommen (bis 3.11.2013). Der Arte-Povera-Spezialist Germano Celant kuratierte das Remake, der Architekt Rem Koolhaas und der für seine Wirklichkeitsrekonstruktionen bekannte Künstler Thomas Demand schufen eine Ausstellungsarchitektur, die möglichst originalgetreu das damalige Aussehen der Berner Kunsthalle (inkl. der Ausstattungsdetails wie z. B. den Heizkörpern) und das von Szeemann ebenfalls bespielte Nachbargebäude der Schulwarte repliziert. Dass die bis auf wenige Ausnahmen mühsam zusammengetragenen Originale in einem venezianischen Palast des 18. Jahrhunderts, dem Ca’Corner, ausgestellt werden, wirkt wie eine seltsame Glocke, die sich über zwei Zeitebenen gestülpt hat. Sie umgreift eine Schau vom Aufbruch Ende der sechziger Jahre und die Besucher, die  aus der seltsamen Realität dieses vom Touristentrubel geschäftigen Venedig in diese doppelte Hülle hineinkommen.

 

Die Kunstkritik ging denn auch nicht freundlich mit dem Projekt um: Amine Haase fühlt sich „eher betrübt als erfreut“ angesichts des „schmerzlichen Verlusts an Freiheit“, der den als ephemer konzipierten Werken durch ihre Institutionalisierung angetan wurde (Kunstforum, Bd. 222, S. 54). Hans-Joachim Müller empfindet sie als „kraftlos“ und beklagt ihre Biederkeit (art Magazin online), Belinda Grace Garner kritisiert in der Kunstzeitung (Ausgabe Oktober 2013, S. 15), dass solche Ansätze, historische Ausstellungen wiederzubeleben, „Gefahr laufen, im Rückblick zur Kuriosität oder bestenfalls zum bewunderten Ereignis einer nostalgisch verbrämten Vergangenheit zu mutieren.“

 

Dem ist zuzustimmen. Aber ein historisches Foto kann nie den Eindruck übermitteln, der sich direkt vor dem Original einstellt. Eine abgegriffene Kunsthistoriker-Weisheit, die sich angesichts der Fülle der damals von Szeemann sehr eng platzierten Arbeiten, den Materialien (Manche wunderten sich ja über die starke Farbigkeit der Beuyschen Fettecken, was auf den Carotin-Anteil heutiger Margarine- bzw. Butterproduktion zurückfällt. Ob 1969 die Fettecken auch so schön gelb leuchteten, kann man anhand der Schwarz-Weiß-Fotos nicht mehr rekonstruieren.) und der Gefahr, als Besucher irgendwo unabsichtlich darüber zu stolpern, als wahr erweist. Man stand damals mittendrin in der Kunst, war auf sehr direkte Weise mit den Werken konfrontiert. Heute präsentiert man Kunst im institutionellen Rahmen – auch aus konservatorischen Gründen und aus Respekt der individuellen künstlerischen Position gegenüber – nicht mehr derart dicht. Installationen sieht man meist nur im Abstand. In welchem Museum darf man noch über ein Square von Carl Andre laufen? Meist ist doch alles gesperrt und hält die BesucherInnen auf Abstand.

 

www.youtube.com/watch
Einblicke in das Remake 2013

 

Auch wenn der Aufwand dieser Rekonstruktion unverhältnismäßig erscheint, die Schau hilft den Nachgeborenen, jener Zeit ein wenig näherzurücken. Das Erstaunlichste ist allerdings, dass manche Besucher ähnlich ratlos erscheinen, wie es die Berner BürgerInnen wohl damals auch gewesen sein mussten. Das Revolutionäre dieser Werke wird spürbar. Darüberhinaus mangelt es an didaktischer Unterstützung. Es gibt nur Nummern an der Wand und ein schmales Begleitheftchen, in dem die Werke aufgelistet sind (ohne Materialangaben und Leihgeber/Standort). Der Katalog zur Ausstellung mit reichlich Dokumentationsmaterial ist umfangreich und teuer. Mit 90 Euro liegt er aber immer noch weit unter dem höheren dreistelligen Preis, den Antiquare für das Original aufrufen. Ohne Frage führt das in einem Nebenraum gezeigte Filmmaterial aus jener Zeit eher Verständnis herbei als ein Gang durch die Ausstellung - und das steht im Netz bereit:

 

www.youtube.com/watch
Laurence Weiner und Michael Heizer beim Aufbau 1969 (auf Französisch)

www.youtube.com/watch
Über die Kunsthalle Bern unter der Leitung von Harald Szeemann

0 Comment(s)

Kommentar

Kontakt

Kommentar

Absenden