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Deutsche Architektur im Ausland: der Fondaco dei Tedeschi in Gefahr

 

 

 

Obwohl die Architektur eines neuen Deutschland mit einer weltweiten Ausstrahlung ein zentraler Bestandteil des nationalsozialistischen Programms war, wurden zwischen 1933 und 1945 kaum nennenswerte Bauten von deutschen Architekten im Ausland ausgeführt worden. Für mehr als Botschaften und die Weltausstellung in Paris 1937 hat die Zeit nicht gereicht. Nur nach der Emigration der Bauhaus-Architekten aus Deutschland wurde international der Bauhaus-Stil eine der einflußreichsten Strömungen in der modernen Architektur. Die Resonanz des Bauhauses hält bis heute noch an und prägt wesentlich das Bild deutscher Entwürfe im Ausland. Aktuelle deutsche Architektur ist im Ausland wieder unterwegs (http://www.dabonline.de/2010-12/globaler-blumenstraus/). Fragt man nach deutscher Architektur in früheren Zeiten kommt man zuerst auf die koloniale Architektur deutscher Siedler und Siedlungen, nicht nur in Afrika, vor allem in Namibia, sondern auch in Nord- und Südamerika, Australien und so gar in China. Wenn der Dom von Mailand weitgehend das Werk von deutschen Baumeistern ist, sind andere vorkoloniale Beispiele von solchen tedeschi all’estero eher selten. Der große Fondaco der Deutschen in Venedig ist in dieser Hinsicht in der Renaissance in Italien fast ein Unikum. Erwähnt schon 1228 als „Fonticum comunis Veneciarum ubi Teutonici hospitantur“ und schnell neugebaut nach dem großen Brand des Jahres 1505 zwischen 1505-1507, verkörpert das Gebäude mehr als ein halbes Millennium deutscher Geschichte – erst 1806 wurde die Deutsche Nation aufgefordert, das Haus zu verlassen (vgl. Henry Simonsfeld, Der Fondaco die Tedeschi in Venedig und die deutsch-venetianischen Handelsbeziehungen, Stuttgart 1887: http://www.archive.org/stream/derfondacodeited02simouoft/derfondacodeited02simouoft_djvu.txt ).

 

Man kann darüber streiten, inwiefern es in Venedig ein deutsches sei. Aber wie kaum ein anderes Gebäude in Venedig um 1500 sieht der Fondaco aus. Die mutmaßlichen venezianischen Eigenschaften des Baues sind nicht sonderlich auffallend (vgl. vielleicht vor allem die etwas späteren Procuratie Vecchie). Der Innenhof mit seinen vier Stockwerken, die sich alle in Rundbögen in Reihen übereinander öffnen und den rechteckigen Raum umschließen, ist völlig anders als alle andere Höfe in Venedig. Er erinnert an Beispiele von Renaissance-Architektur in Deutschland, in einer Tradition, die noch in der jetzigen Alten Münze in München vertreten ist. Manche sehen den entwerfenden Baumeister in einem mysteriösen, wenn auch nicht ganz fiktiven „Gerolamo tedesco“, dessen Modell für das Gebäude am 9. Juni 1505 vom Bauherrn, dem venezianischen Staat, auch mit starker Unterstützung der deutschen Kaufleute, angenommen wurde. Es scheint, als ob Dürer in seinem Rosenkranzfest von 1506, ursprünglich in der Kirche von S. Bartolomeo unweit des Fondacos, den Augsburger (?) Baumeister Hieronymus unter den Assistenzfiguren porträtiert habe. Andere wollen als Basis der Planung einen Entwurf von Fra’ Giovanni Giocondo sehen. Der Fondaco war allerdings pflichtmäßig Geschäfts- und Wohnsitz der „Nazione Alemana“. GERMANICIS DEDICATUM ist bis heute an der Fassade zum Canale Grande in einer zentralen Inschrift als Bestimmung des Gebäudes eingemeißelt.

 

Jetzt ist das riesige Gebäude ins Licht der Scheinwerfer geraten. In Venedig besteht die weltweit agierende Modefirma Benetton – sie hat den Fondaco 2008 für 53 Millionen Euros erworben – fest auf ihren Plänen, das Gebäude in ein Megastore umzuwandeln.

 

Zuerst kam eine große Debatte und dann verwandelt sich die Kontroverse in einen Streit. Auf der einen Seite: Benetton und der Bürgermeister Venedigs, seit 2010 Giorgio Orsoni, Gewerkschaften und andere. Auf der anderen Seite zählen zahlreiche Vertreter der unterschiedlichen Gruppen des „Neins“, die sich vor kurzem zum Schutz Venedigs gebildet haben. Dazu kommen Denkmalschützer wie vor allem Italia Nostra (die Sezione Veneziana und der Presidente Nazionale dieses Denkmalschutzverein), und außerdem Architekten und Architekturhistoriker sowie andere Vertreter des öffentlichen Lebens und des Mondo della Cultura. Die Resonanz in der Presse Italiens ist groß gewesen und hat auch ein Echo im Ausland gefunden, besonders in Großbritannien, aber auch in Österreich und Deutschland.

 

Hauptstreitpunkt ist das Projekt des niederländischen Stararchitekten Rem Koolhaas, das Gebäude zu einem mondänen Einkaufszentrum, von La Rinascente geleitet, umzubauen, ohne sich streng an die engen Grenzen des Denkmalschutzes zu halten und die Absichten Benettons durchzusetzen. Lange Zeit war es sehr schwierig, Klarheit über die Pläne sowie über die Lage im allgemeinen zu erlangen. Aber die Stadt hat sich inzwischen scheinbar für Benetton entschieden und der Denkmalschutz wird sich bald äußern müssen. Im Vorfeld dieser Entscheidung ist von großem Interesse ein kürzlich erschienener Beitrag, der am 25.02.2012 in der venezianischen Zeitung La Nuova erschienen ist.

 

Der Verfasser, Mario Piana, hat seit 1979 zahlreiche Restaurierungskampagnen als Mitarbeiter der Soprintendenza ai Beni Ambientali e Architettonici di Venezia geplant und geleitet, unter anderen: die Scala Contarini del Bovolo, der Palazzo Grimani a Santa Maria Formosa, der Convento della Carità, der Convento dei Frari, die Gaggiandre all’Arsenale, der Lazzaretto Nuovo, die Kirchen von Santa Maria Mater Domini, San Michele in Isola, Santa Maria Assunta di Torcello, San Giorgio Maggiore, San Marco und Santa Maria dei Miracoli. Er ist seit mehreren Jahren Professor an der Università IUAV di Venezia wo er Restauro architettonico und Caratteri costruttivi dell’edilizia storica unterrichtet. Sein Artikel in La Nuova bietet einen klaren Überblick über das Problem und bildet einen wichtigen Beitrag zur zukünftigen Diskussion.

 

Der Artikel befindet sich inzwischen mehrmals im Internet (z.B.:

 

http://www.patrimoniosos.it/rsol.php?op=getarticle&id=93701

 

und als PDF über: http://www.press-service.it/newsletter/html/ffbc2f30-6a6d-477d-aeb5-52647e2a0bc3_20120225.html

 

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