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"Stern des Jahres" für Winfried Nerdingers Rekonstruktionen

Die Münchner AZ hat Winfried Nerdinger für die Ausstellung "Geschichte der Rekonstruktion. Konstruktion der Geschichte" den diesjährigen "Stern des Jahres" verliehen (vgl. die Meldung unter "Aktuelles" der Fakultät für Architektur der TUM). Die Zusammenschau unzähliger Einzelobjekte hat sich in einem gewichtigen, opulent bebilderten Katalog niedergeschlagen. Damit wurde ein gewisser Höhepunkt der Debatte um Rekonstruktionen von Architekturen und ganzen Stadtanlagen erreicht. Neben der Frauenkirche in Dresden und dem Berliner Stadtschloss wurden zahlreiche andere Bauten zusammengetragen.

 

Auf detail.de findet sich eine durchaus kritische Besprechung mit zahlreichen Abbildungen und einer Beschreibung der Ausstellung. Interessant ist in diesem Zusammenhang u. a. auch die Position von Wolfgang Pehnt auf schlossbaudebatte.de, die er 2008 auf der Jahrestagung des Dt. Nationalkomitees für Denkmalschutz in Leipzig vorgetragen hat. Im gleichen Jahr hatte sich auch Nerdinger in der Wissenschafts- und Kulturzeitung "aviso" zu diesem Thema geäußert. Zudem hielt er am 6. Februar 2008 einen Vortrag im Zentralinstitut für Kunstgeschichte zum Thema "Rekonstruktion - in historischer und aktueller Perspektive" mit vielen Bildern zahlreicher Objekte.

 

Die große These könnte man bei Nerdingers Rekonstruktionen-Konzept darin sehen, dass er Rekonstruktion und Konstruktion als architektonische Grundprinzipien in allen Epochen und Regionen der Welt auffasst. Man denke an den Zyklus von Zerstörung und Kreation bei Pierre Nora und den produktiven Kreislauf von Vergessen und Erinnern in den Schriften von Aleida Assmann (vgl. z. B. "Erinnerungsräume" von 1999). Sie spricht beispielsweise von der "Dynamik des kulturellen Erinnerns und Vergessens" (Seite 22). Auch für Nerdingers Katalog hat sie einen Beitrag verfasst (vgl. dazu einen Artikel auf berliner-schloss.de, einem Internetportal pro Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses).

 

Eine dezidierte Gegenposition zu Nerdingers Ausstellung vertritt der eben erst erschienene Bauwelt Fundamente-Band "Denkmalpflege statt Attrappenkultur. Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern" (vgl. die Besprechung "Verformte Geschichte" in der Neuen Zürcher Zeitung). Die Anthologie wurde von Adrian von Buttlar und Gabi Dolff-Bonekämper aus Berlin, dem Bamberger Denkmalpfleger Achim Hubel, Georg Mörsch (ehemals ETH Zürich)  sowie Michael S. Falser (Heidelberg) herausgegeben.

 

Da ich mir den Band jedoch gerade erst bestellt habe, werde ich mich erst näher dazu äußern, wenn ich mehr gelesen habe. Persönlich könnte ich mir eine Versöhnung einiger Positionen durchaus vorstellen. Es wäre wichtig, dass man nicht nur von übergeordneten Standpunkten aus argumentiert, sondern jeden Einzelfall mit Fingerspitzengefühl behandelt. Jede Stadt hat schließlich ihre eigene Geschichte und ihre eigene architektonische Tradition.

 

Durch die Auszeichnung befindet sich Nerdinger in der Gesellschaft bisheriger Preisträger, wie Chris Dercon, dem Designer Ingo Maurer, dem Filmemacher Michael Haneke und dem Architektenbüro Wandel Hoefer Lorch & Hirsch (vgl. Ausstellung Material Zeit in der Pinakothek der Moderne bis 6. März).

2 Comment(s)

  • Martin Höppl
    15.02.2011 16:08

    Vgl. die Sehepunkte-Rezension von Eva von Engelberg-Dočkal: http://www.sehepunkte.de/2011/02/18975.html

  • Martin Höppl
    25.01.2011 09:27

    Der Bauwelt Fundamente-Sammelband enthält eine sehr interessante Ausstellungskritik von Michael S. Falser. Kernkritik: Die Ausstellung habe aus Vermarktungsgründen den Begriff Rekonstruktion statt Wiederherstellung in den Mittelpunkt gerückt. Außerdem sei nicht richtig zwischen Teil- und Totalverlust als Ausgangspunkt von Maßnahmen unterschieden. Kurz gesagt: Der differenzierte Diskussionsstand der Denkmalpflege sei einfach nicht zur Kenntnis genommen worden. Einmal mehr zeigt sich: Vernetzung und Kommunikation sind die zentralen Schlüsselbegriffe unserer Zeit.

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