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Lampugnanis Frage nach der modernen Stadt und ihren Räumen

Die Stadt im 20. Jahrhundert. Visionen, Entwürfe, Gebautes“ von Vittorio Magnano Lampugnani ist ein wahres Opus Magnum. Am Dienstag, den 7. Dezember wurde es im neu eröffneten, überaus komfortablen Vorhoelzer-Forum der TU München vorgestellt und diskutiert. Das annähernd 1000 Seiten starke, zweibändige Werk ist nach 20-jähriger Vorarbeit im Berliner Wagenbach-Verlag erschienen. Da das Publikum noch nicht genug Zeit gehabt hatte, sich die zahlreichen Kapitel von der Gartenstadtbewegung bis zur Postmoderne zu Gemüte zu führen, verlagerte sich die Diskussion auf das Podium. Obwohl im AudiMax gleichzeitig der Verteidigungsminister einen Vortrag hielt, war der Tagungsraum bis zum letzten Platz gefüllt, was auch an den hochkarätigen Diskutanten gelegen haben dürfte, wie man der Ankündigung entnehmen konnte:

 

Prof. Dr.-Ing. Vittorio Magnago Lampugnani (Architekt, Mailand); Markus Lanz (Fotograf und Urbanist, München); Christoph Sattler (Architekt, München); Prof. Sophie Wolfrum (Urbanistin, München); Susanne Schüssler (Verlegerin, Berlin).

 

Metropolitan Museum of Art, New York; Permission Joanna T. Steichen (S.54) 

 

Nach einem Grußwort der Verlegerin Frau Schüssler führte Lampugnani zunächst aus, welche drei Grundgedanken ihn bei der Verfassung des Buches leiteten:

 

1. In seinem Fokus stand „das Projekt der Stadt“, oder die „Architektur der Stadt“, wie er das Buch zunächst anspielungsschwanger nennen wollte. Er behandelt also nicht die gesamte gebaute Stadt, sondern fokussiert auf Ideen und Entwürfe, die Stadt geformt haben, oder auch nur als unverwirklichte Projekte von Bedeutung waren.

 

2. Die isolierte Betrachtung des 20. Jahrhunderts begründete er mit dem spannenden Reichtum an Experimenten, die er als „Explosion der Projekte“ bezeichnete.

 

3. Bei der notwendigen Auswahl und Eingrenzung des Materials habe er sich auf die großen Strategien des Jahrhunderts konzentriert, genauer gesagt auf deren Anfangspunkte. Es sei ihm wichtig gewesen, die Projekte und Stadtmodelle an ihren eigenen theoretischen Ansprüchen zu messen.

 

Frau Prof. Wolfrum, als Lehrstuhlinhaberin für Städtebau und Regionalplanung gewissermaßen die Nachfolgerin Theodor Fischers, verstand es sehr gut, die brennenden Problempunkte um die Themenfelder der modernen Stadtplanung und den Wandel des urbanen Raums auf das Tapet zu bringen. Ausgehend von der Neuerscheinung stand die Problemgeschichte des Urbanen nach dem Zweiten Weltkrieg im Mittelpunkt, wobei sich das Podium die Frage nach der zentralen These des Buches stellte. Lediglich ein paar wichtige Aspekte seien an dieser Stelle angesprochen: Carl Sattler stellte fest, dass „unsere deutschen Städte in der Wiederaufbauphase zerstört“ worden seien. Lampugnani habe eine Aufspaltung von Konzepten der „innovativen Gelassenheit“ und der „ideologischen Aufgeregtheit“ vorgenommen. Markus Lanz hingegen entdeckte die große These darin, dass die Postmoderne an das Ende des Buches gestellt worden sei, um einen skeptischen Blick auf die Entwicklungen im 21. Jahrhundert zu werfen.

 

Es zeigte sich einmal mehr, dass der Architektur- und Städtebaudiskurs bei einigen Grundproblemen nicht recht viel weiter gekommen ist, als die Diskussion von vor 100 Jahren: Lampugnani erinnerte insbesondere an sein Vorbild Camillo Sitte. Würdigte Wolfrum das Buch als imposante „Häufung von historischem Wissen“, so schwenkte der Praktiker Sattler auf die zivilisationskritische Sicht, es habe nur „sehr wenige gelungene Stadträume im 20. Jahrhundert“ gegeben. Bei der alles entscheidenden Frage nach „dem Raum der Stadt“ seien wir in einer unentschlossenen „manieristischen Phase“ angelangt. In dieser Weise schwankte das gesamte Gespräch zwischen Grundlagendisussion und Buchbesprechung.

 

Sowohl Lanz, als auch Wolfrum wiesen darauf hin, dass es jedoch auch im vergangenen Jahrhundert zahlreiche gute, moderne Stadtentwürfe gegeben habe. Man könne einfach nicht mehr vom Ideal des Stadtplatzes im 19. Jahrhundert ausgehen. Auch Planungen, die aus der Vogelschau projektiert worden seien, hätten ihre räumlichen Werte. Lanz warnte, dass die Wiederentdeckung der traditionalistischen Stadt in den letzten Jahrzehnten nicht zur pauschalen, generalisierenden Kritik an der Moderne führen dürfe.

 

 Metropolitan Museum of Art, New York; Permission Joanna T. Steichen (S.54)

 

In diesem Sinne rief Lampugnani, der fast alle Städte, die er beschreibt auch selbst besucht hat, eindringlich dazu auf, die Qualitäten moderner Raumkonzepte neu zu entdecken. Die weitere Debatte um einzelne Stadtkonezpte der Moderne sei hier nicht wiederholt. Abschließend wurden die Aufgabe und die Verantwortung des Architekten in der pluralistischen, von digitaler Kommunikation geprägten Gesellschaft diskutiert. Die oftmals mangelhaften Mobilitätskonzepte wurden als der eigentliche Knackpunkt herausgestellt. Lampugnani gipfelte in der zugespitzten Frage: „Wollen wir eine Stadt für Autos, oder für Menschen?“ Er lehne den Fußgänger- und Radfahrerfundamentalismus zwar ab, empfahl jedoch genau hinzusehen, um Stadtstrukturen zu kreieren, die zwar autokompatibel, aber primär für Fußgänger gestaltet seien.

 

Als Fazit des Abends kann man festhalten, dass die Aufspaltung architektonischer und stadtplanerischer Raumgestaltungskonzepte überwunden werden muss, um lebenswerte Stadträume für Menschen zu schaffen. Diesem Credo folgend kritisierte Lampugnani unlängst in einem Deutschlandfunk-Interview zur Auseinandersetzung um Stuttgart 21, dass es nicht angehen könne, ein Baudenkmal, wie den Bahnhof von Bonatz „als eine Art Reliquie“ zu erhalten und die Freiflächen-Gestaltung isoliert zu verhandeln (vgl. die DLF Buchbesprechung "Stein auf Stein").

 

 Dank an den Wagenbach-Verlag für die Abbildung

 

Ein Grund für die Vernachlässung der künstlerischen Grundsätze im jüngeren Städtebau ist, abgesehen von finanziellen, rechtlichen und technischen Fragestellungen, auch in der auffallenden Zurückhaltung der kunstgeschichtlichen Fachvertreter gegenüber der Urbanistik auszumachen. Lampugnani kann uns bei dieser aktiven Teilhabe am laufenden Diskurs eine wichtige Handreichung liefern, wenngleich er gegenwärtige Diskussionen und Entwicklungen, etwa im Zusammenhang mit dem Stadtumbau und der Gentrifizierung, in seinem Buch nicht thematisiert.

 

2 Comment(s)

  • he
    17.12.2010 06:07

    Es wäre interessant, zu verfolgen, ob die neue Publikation im postideologischen Zeitalter eine Diskussion über dieses politisch hoch brisante Thema in Gang bringt, die eigentlich davor hätte stattfinden sollen. :) Was alles zwischen Hackesche Höfe und Potsdamer Platz zerstört und gebaut wurde, um bei Berlin zu bleiben, ist in der Tat ein Opus Magnum wert. Danke für den Hinweis auf diese spannende Neuerscheinung!

  • Hubertus Kohle
    14.12.2010 20:36

    Das Buch liegt im Kulturkaufhaus Dussmann neben dem Berliner Bahnhof Friedrichstraße direkt am Eingang auf einem Pult aus, so als hätte Umberto Eco gerade wieder einen Bestseller verfasst. Toll!

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