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20 Jahre Künstlernachlässe Mannheim: Bewahren, Erforschen, Vermitteln
Was bleibt von einem Künstlerleben?
Wenn ein Künstlerleben endet, bleiben oft mehr als Werke: Es bleiben Geschichten, Erfahrungen, ein kulturelles Vermächtnis. Wer bewahrt es? Wer vermittelt es weiter? Und welche Bedeutung hat es für die Stadtgesellschaft?
Fragen wie diese stehen im Zentrum der Arbeit der Stiftung Künstlernachlässe Mannheim (KNMA), die 2025 ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Seit ihrer Gründung im Jahr 2005 engagiert sich die Stiftung dafür, künstlerische Nachlässe aus Mannheim zu sichern, zu erforschen und sichtbar zu machen – jenseits von Marktwerten oder kurzfristigen Moden.
Die Stiftung entstand aus einer konkreten Notlage: dem Freitod des Mannheimer Künstlers Peter Schnatz und dem drohenden Verlust seines umfangreichen Werkes. Damals wurde deutlich, dass es in Mannheim keine Institution gab, die sich systematisch um künstlerische Nachlässe kümmerte. Dr. Jochen Kronjäger, Kurator an der Kunsthalle Mannheim, und Dr. Rainer Preusche, langjähriger Vorsitzender des Mannheimer Kunstvereins, griffen das Thema auf und setzten die Idee einer gemeinnützigen Stiftung um. Getragen von bürgerschaftlichem Engagement entstand ein Projekt, das bis heute einzigartig in Baden-Württemberg ist.
Künstlerische Nachlässe als kulturelles Gedächtnis
Nachlässe von Künstler:innen sind weit mehr als Sammlungen von Bildern oder Skulpturen. Sie sind kulturelle Zeitkapseln, Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen, ästhetischer Umbrüche und individueller Lebenswege. Ihre Bewahrung ist keine rein konservatorische Aufgabe, sondern aktiver Beitrag zur kulturellen Selbstvergewisserung einer Stadt.
Heute betreuen die KNMA 16 Nachlässe und einen Vorlass. 2025 sollen zwei weitere Vorlässe aufgenommen werden. Darunter sind Positionen wie der kulturkritische Künstler Edgar Schmandt, die Industriezeichnerin Elisabeth Bieneck-Roos, der Avantgardist Franz Schömbs oder Ilana Shenhav, deren Werke durch ihre Kindheit im Ghetto Theresienstadt geprägt sind. Ergänzt wird der Bestand durch Künstler:innen wie Will Sohl, Walter Stallwitz, Norbert Nüssle oder Ute Petry, die sehr unterschiedliche künstlerische Handschriften repräsentieren und auf verschiedenste Art und Weise in Mannheim ihre Spuren hinterlassen haben.
Die Vielfalt der Bestände erlaubt es, Kunstgeschichte lokal zu verankern und zugleich größere kunst- und sozialhistorische Entwicklungen zu reflektieren.
Jubiläumsausstellung „20 Jahre KNMA“
Anlässlich ihres Jubiläums richtet die Stiftung 2025 eine umfassende Ausstellung im RAUM S4.17 in Mannheim aus. Vom 13. Juni bis 26. Juli 2025 werden Werke aller Künstler:innen aus dem Bestand gezeigt – ein lebendiger Einblick in die Vielfalt und gesellschaftliche Relevanz der Mannheimer Kunstgeschichte.
Die Auswahl dokumentiert nicht nur die künstlerische Bandbreite, sondern erzählt auch von Brüchen und Kontinuitäten der jüngeren Mannheimer Stadtgeschichte. Werke wie die zerschnittenen, zusammengenähten Leinwände von Peter Schnatz oder die dynamischen Stadtdokumentationen von Elisabeth Bieneck-Roos zeigen, wie eng Kunst und gesellschaftlicher Wandel miteinander verwoben sind.
Begleitet wird die Ausstellung von einem vielfältigen Rahmenprogramm mit einer Lesung, Konzert, Tanzvorführung, Führungen und Vorträgen, die die Themen Nachlasspflege, Erinnerungskultur und Stadtgeschichte aufgreifen.
Nachlasspflege als kulturpolitisches Thema
Die Arbeit der KNMA ist eingebettet in eine breitere Debatte, die bundesweit an Relevanz gewinnt: Wie gehen wir mit künstlerischen Nachlässen um? Welche Strukturen braucht es, um kulturelle Produktion langfristig zu sichern? Welche Kriterien bestimmen, was bewahrt wird – und was nicht?
Die Stiftung versteht Nachlasspflege nicht als statische Bewahrung, sondern als dynamischen Prozess. Kooperationen mit dem MARCHIVUM (Stadtarchiv Mannheim), wissenschaftliche Erschließung, digitale Präsentationen und kreative Vermittlungsformate tragen dazu bei, die Bestände lebendig zu halten.
Zudem unterstützt die Stiftung Studierende bei wissenschaftlichen Arbeiten, kooperiert mit der Universität Heidelberg und beteiligt sich an regionalen Kulturprojekten.
Gerade im Vergleich zeigt sich: Während es bundesweit zunehmend Initiativen für einzelne Künstler:innen gibt, bleiben umfassendere, institutionell verankerte Lösungen rar. In Baden-Württemberg ist die Stiftung Künstlernachlässe Mannheim bis heute einzigartig.
Publikation „Kunst als Erbe“
Zum Jubiläum erscheint auch die Publikation „Kunst als Erbe – 20 Jahre Künstlernachlässe Mannheim“, die sowohl die betreuten Künstler:innen als auch zentrale Fragen der Nachlasspflege thematisiert. Essays aus den Perspektiven von Wissenschaft, Museum, Archivwesen und Kunsthandel eröffnen eine Debatte über die Zukunft künstlerischer Vermächtnisse.
Dabei wird deutlich: Die Frage „Was bleibt?“ betrifft nicht nur einzelne Künstler:innen – sie ist eine Frage der kulturellen Verantwortung einer gesamten Gesellschaft.
Fazit: Bewahren heißt gestalten
20 Jahre nach ihrer Gründung zeigt die Stiftung Künstlernachlässe Mannheim, dass Nachlasspflege keine rückwärtsgewandte Aufgabe ist. Sie ist gelebte Erinnerungskultur, die Gegenwart und Zukunft gleichermaßen prägt. Die Jubiläumsausstellung und die begleitende Publikation sind deshalb nicht nur Rückblick, sondern Einladung, über den Umgang mit unserem kulturellen Erbe neu nachzudenken.
In einer Zeit, in der kulturelle Nachhaltigkeit zunehmend zum Thema wird, leisten die KNMA Pionierarbeit – leise, beharrlich und mit einem klaren Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Arbeit.
Ausstellung „20 Jahre Künstlernachlässe Mannheim“
Eröffnung: Fr, 13.06.2025, 18 Uhr
Ort: RAUM S4.17, S 4, 17–22, 68161 Mannheim
Öffnungszeiten: Do & Fr 16–19 Uhr, Sa 13–17 Uhr
www.kuenstlernachlaesse-mannheim.de
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