blog.arthistoricum.net

Fälschungen und Netzwerke – Die „Mittheilungen des Museen-Verbandes“ und Fälschungsnetzwerke im 20. Jahrhundert (ForNet)

Ein Forschungsprojekt des Instituts für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg und des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz
Im vergangenen Juli gaben zwei japanische Museen bekannt, dass die in den 1990er Jahren angekauften Gemälde „Fahrradfahrer“ sowie „Mädchen mit Schwan“ anders als bis dahin angenommen wohl nicht von Jean Metzinger beziehungsweise Heinrich Campendonk geschaffen wurden, sondern von Wolfgang Beltracchi stammen, der bereits 2011 im Zusammenhang mit anderen Werken in Deutschland verurteilt worden war. [1] Diese jüngsten Ereignisse im Tokushima Modern Art Museum und im Museum of Art in Kochi machen deutlich, wie wichtig die Vernetzung unter Fachleuten über zweifelhafte Kunstwerke sein kann, zumal beide Gemälde sogar an erster und zweiter Stelle auf einer frei im Internet verfügbaren englischsprachigen Liste von CBS News aus dem Jahr 2014 stehen und darüber hinaus im Laufe der Jahre auch andernorts publiziert worden sind, unter anderem in Beltracchis Autobiografie. [2], [3]
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war man sich hierzulande der Präsenz und Gefahr von Fälschungen auf dem Markt derart bewusst, dass 1898 der „Internationale Verband von Museumsbeamten zur Abwehr von Fälschungen und unlauterem Geschäftsgebaren“ gegründet wurde. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 informierten sich die Verbandsmitglieder über ihnen bekannt gewordene Fälschungen auf Tagungen und durch die „Mittheilungen des Museen-Verbandes“, eine interne und vertraulich behandelte Zeitschrift. [4] So warnte beispielsweise Eric Maclagan, Direktor des Victoria and Albert Museum in London, vor einem ihm 1938 angebotenen, angeblich mittelalterlichen Pariser Skulpturenkopf. [5] Der von ihm erwähnte Anbieter Arnold Seligmann verkaufte den heute König David zugeordneten Kopf dennoch erfolgreich an das Metropolitan Museum of Art in New York [6]; zuletzt wurde die Authentizität des Objekts jedoch erneut in Frage gestellt, nachdem ein Sammler 2012 ein ähnliches Stück erworben hatte, in dem er die originale Vorlage für die Version des Museums vermutet. Während man in New York an der Echtheit des Exponats festhält, entfernte der Louvre in Paris daraufhin eine dritte Version, die sich zur selben Quelle, dem französischen Kunsthändler Georges Demotte, zurückverfolgen lässt. [7]
Diesen Sommer startete das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt „Fälschungen und Netzwerke – Die ‚Mittheilungen des Museen-Verbandes‘ und Fälschungsnetzwerke im 20. Jahrhundert (ForNet)“ des Instituts für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg und des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz. Unter der Leitung von Henry Keazor, Professor für Neuere und Neueste Kunstgeschichte (Heidelberg), und Thorsten Wübbena, Leiter des  Bereichs Digitale Historische Forschung (Mainz), sollen das Beziehungsgeflecht und die Strategien der damals beteiligten Akteure sowie die Wege der Fälschungen anhand dieser Quelle digital rekonstruiert, sichtbar gemacht und ausgewertet werden, wobei die anschließende öffentlich zugängliche Bereitstellung der Daten über das Projekt hinaus geplant ist. [8], [9], [10] Mehrere studentische Hilfskräfte werten dafür zunächst jeden Eintrag der Mitteilungen nach relevanten Elementen aus, beispielsweise den Namen beteiligter Personen oder Kategorien der angebotenen Objekte, und bereiten diese als Tags auf, um sie verknüpfbar zu machen. Die so gewonnenen Daten werden anschließend in Mainz von Dr. Jaap Geraerts und Dr. Demival Vasques Filho weiterbearbeitet, visualisiert und so für die Netzwerkanalyse verfügbar gemacht. Anfang November nahm auch Rebecca Welkens als wissenschaftliche Mitarbeiterin ihre Arbeit an ForNet in Heidelberg auf. Sie ist nun dabei, das Material systematisch zu sichten, um den Kontext der beteiligten Personen, Institutionen und schließlich auch der diskutierten Objekte aus kunsthistorischer Perspektive inhaltlich zu erarbeiten. Besonders interessant erscheinen ihr etwa zur Zeit die ablesbaren Auswirkungen des nahenden Zweiten Weltkriegs auf den Museenverband. Und bereits jetzt ergab sich die Aussicht auf eine Fülle an weiterem Quellenmaterial, wie beispielsweise die Korrespondenz zwischen den Museumsdirektoren Justus Brinckmann (1843-1915) und Heinrich Angst (1847-1922), die den Verband gemeinsam gründeten. Insbesondere ab der Jahrhundertwende stuften die (fast ausschließlich männlichen) Mitglieder ihre Arbeit als derart bedeutsam ein, dass sie dementsprechend sorgfältig dokumentiert wurde. Neben der Auswertung digitalisierter Archivalien wird Welkens im kommenden Jahr auch verschiedene Archive und Museen besuchen, um etwa Nachlässe vor Ort zu sichten, wobei sie sich auf ihre Erfahrungen aus ihrer Arbeit im Archiv und der Bibliothek der ZERO foundation in Düsseldorf sowie im Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg stützen kann.

[1] Art Museums in Tokushima, Kochi Prefectures Investigating Paintings Suspected of Being Fake; Possibly Done by Master Forger, The Japan News, 07.08.2024 (12.12.2024).

[2] Masterful fakes: The paintings of Wolfgang Beltracchi, 60 Minutes Overtime, CBS News, 03.08.2014 (12.12.2024).

[3] Beltracchi, Helene u. Beltracchi, Wolfgang: Selbstporträt. Reinbek bei Hamburg 2014, S. 415, Tafelteil IV, S. 4 und 5, Tafelteil II, S. 7..

[4] Mittheilungen des Museen-Verbandes als Manuscript für die Mitglieder, Hamburg, 1899 - 1939[?], Digitalisate in der Universitätsbibliothek Heidelberg <https://doi.org/10.11588/diglit.33011> (12.12.2024).

[5] Head of King David, ca. 1145, Metropolitan Museum of Art, New York, Inv. 38.180 <https://www.metmuseum.org/collection/the-collection-online/search/467647> (12.12.2024).

[6] Maclagan, Eric: Gefälschte Mittelalterliche Skulpturen, in: Mittheilungen des Museen-Verbandes als Manuscript für die Mitglieder, Hamburg, 1939, S. 11-14, Nr. 795,  Archiv Nr. 1757, Abb. 2 ab, Digitalisat in der Universitätsbibliothek Heidelberg <https://doi.org/10.11588/diglit.35252#0013> (12.12.2024).

[7] Vincent, Isabel: Art dealer knocks ‘phony’ King David sculpture displayed in the Met, New York Post, 26.03.2017 <https://nypost.com/2017/03/26/art-dealer-knocks-phony-king-david-sculpture-displayed-in-the-met/> (12.12.2024).

[8] Projektseite Forgeries and Networks (ForNet) <https://forgeries-and-networks.github.io/ForNetWeb/> (12.12.2024).

[9] Fälschungen und Netzwerke – Die „Mittheilungen des Museen-Verbandes“ und Fälschungsnetzwerke im 20. Jahrhundert (ForNet), Institut für Europäische Kunstgeschichte, Universität Heidelberg <https://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/zegk/iek/forschung/fornet.html> (12.12.2024).

[10] Forschungsprojekt: Wie Experten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Kunstfälschungen entlarvten, Pressemitteilung Nr. 37/2024, Universität Heidelberg, 19.04.2024 <https://www.uni-heidelberg.de/de/newsroom/forschungsprojekt-wie-experten-zu-beginn-des-20-jahrhunderts-kunstfaelschungen-entlarvten> (12.12.2024).

0 Kommentar(e)