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Forschungsdateninfrastruktur (national) für das kulturelle Erbe

Okay, es gibt Neuigkeiten. Vorhin wurden die Gewinner der ersten Förderrunde des forschungspolitischen und -praktischen Mammutprojekts einer nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) verkündet (Pressemitteilung PM 04/2020, Berlin/Bonn, 26.06.2020). Unter den neun zur Förderung ausgewählten Konsortien ist das Konsortium zu Forschungsdaten des kulturellen Erbes, "NFDI4Culture - Konsortium für Forschungsdaten zu materiellen und immateriellen Kulturgütern" (Internetseite NFDI4Culture). Das Fördervolumen für NFDI4Culture beträgt 18,5 Mio. Euro, der Förderzeitraum beläuft sich auf 5 Jahre. Als Trägerinstitution federführend ist die Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz (ADW Mainz, Mitteilung v. 26.06.2020 des Sprechers Torsten Schrade). Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) aus Bund und Ländern verkündete heute die Förderbescheide. Eine Förderempfehlung lag der GWK auch von Seiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vor, die für ihre Empfehlungen, in mehrstufigem, wissenschaftsgeleitetem Prozess erarbeitet, auch internationale Expertise hinzuzog.

Vorweg: Da bis 2028 für die Forschungslandschaft der Zukunft hier weichenstellende Dinge passieren werden, könnten Sie, um stets auf dem Laufenden zu bleiben (hier im Blog wird nicht jeder einzelne Schritt vorgestellt werden), sich einen Twitter-Account einrichten und dem ihre News auch via Twitter mitteilenden NFDI4Culture-Konsortium auf dem NFDI4Culture-Kanal folgen (@NFDI4Culture).

Die neun Konsortien nach oben

Was fällt auf? Neben sieben Fördereinheiten aus den Bereichen Biologie, Ökologie, Chemie, Medizin und den Ingenieurswissenschaften sind die Geistes- und Sozialwissenschaften mit zwei Konsortien vertreten (Abb. 1).

2 x Biologie
2 x Chemie
2 x Medizin
1 x Ingenieurwissenschaften
1 x Sozialwissenschaften
1 x Geisteswissenschaften

Der Stellengrad in der Relevanz digitaler Forschungsdaten für die Wissenschaft und einer übergreifenden, gemeinsamen Infrastruktur für die Forschungsdaten, neben der Förderantragsqualität, nicht die eigentliche gesamtwirtschaftliche Bedeutung bemessen auf das BIP, ein datengetriebener Stellengrad, so könnte man vielleicht sagen, bildet sich über die Auswahl der zu fördernden Bereiche ab: Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind nämlich ordentlich vertreten, decken gemeinsam etwa 22,22% des Gesamtfördervolumens (76 Mio. Euro) aus Förderphase 1 (5 Jahre) ab.

Eine Menge kluger Köpfe zerbrach sich seit langem dieselbigen, in zahlreichen Zusammenkünften betreffend der Idee und Entwicklung einer Forschungsdateninfrastruktur auf nationaler Ebene und schließlich der Phase der Förderanträge. Konsens bestand darin, dass eine NFDI beträchtliche Chancen birgt. Diese mitzugestalten, war das Anliegen. Für die hier aufgeführten Förderbereiche ist dies für die Initialphase des NFDI-Projekts Wirklichkeit geworden.

Das NFDI4Culture-Konsortium nach oben

Schön illustrieren die im steten Wechsel sich einblendenden Bilder auf der NFDI4Culture-Homepage (Abb. 3), welche Bereiche im einzigen geisteswissenschaftlichen Konsortium der NFDI zusammengeführt werden: Architektur, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Theater-, Film- und Media-Studies.

NFDI Förderphase 1 - ohne Mathematik, Jura, Philosophie ... und ohne Lit.wiss. sowie keine der Philologien nach oben

Eine weitere Überraschung – neben den im Gesamt prozentual ordentlich vertretenen Geistes- und Sozialwissenschaften – lässt sich ausmachen, oder Sie haben es vielleicht schon bemerkt: Einige big player innerhalb der Geisteswissenschaften, und der Fakultäten Jura, Theologie, etc., werden von Förderung in der ersten Förderperiode nicht bedacht: die Literaturwissenschaft, z.B. Deren eigentliche Rolle, gerade in methodologischer Hinsicht, ist auf der deutschen geisteswissenschaftlichen Forschungsebene, traditionell einerseits und andererseits für die digitalen Geisteswissenschaften, nicht zu unterschätzen.

Theologie, Philosophie, Rechtswissenschaft – nö. Gab es bei den Juristen weniger Initiative? Man versteht es nicht. Hat Jurisprudenz geringeren forschungsdatenbezogenen Stellenwert? Ganz zu schweigen von den immer etwas fies "Orchideenfächer" genannten Kleinstfächern, die nicht gefördert werden, von den neu zu schaffenden und bereits geschaffenen Strukturen auf lange Sicht jedoch hoffentlich ebenfalls profitieren werden. Zu hoffen ist, dass integriert wird, weniger ausgeschlossen. Und von Seiten der Nichtbeteiligten, dass mehr kooperiert wird, sei es durch Rat und Kritik, als sich entzogen.

Die digitale Kunstgeschichte im NFDI4Culture-Konsortium nach oben

Eine "digitale Kunstgeschichte", in weiten Teilen Arbeit mit Daten sowie Datenwissenschaft, profitiert von der Förderung innerhalb der NFDI, und dies schon und gerade in der Initialphase, natürlich immens. Nichts Geringeres als Ausarbeitungen gemeinsamer Normdaten, Metadatenstandards und Hinarbeit auf weitere Standardisierung im Bereich der Forschungsdaten stehen auf der Agenda. Aller Stolz gebührt dem Projekt "Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland (CbDD)" (CbDD-Homepage), über das hier im Blog noch berichtet werden wird.

Wir sehen im Planen einer Architektur für den weiteren Datenverkehr und Umgang mit Forschungsdaten die Möglichkeit, dass so Wege, ja ein Netz an Straßenverbindungen plus Verkehrsleitsystemen, entstehen, die befahren werden. Dass nicht wie bisher auch Trampelpfade, die grassroot-mäßig bottom up entstehen (versus der top down NFDI-Architektur), sich bilden und ungeheuer stark frequentiert werden, widerspricht dem nicht und ist zu wünschen. Der Aufbau der Architektur ist also nicht mehr oder weniger theoretisch als Planung und Bau von Verkehrsstraßen, an denen stetig noch gebaut wird, während sie längst befahren werden.

FAIR-Daten nach oben

Dem Prinzip sogenannter "FAIR"-Daten verpflichtet, können über die neue Forschungsdateninfrastruktur auch neue forscherische Wege beschritten werden, ja die Struktur, ihr Rahmen, sollte der Referenzpunkt der mit Daten arbeitenden Wissenschaften in Deutschland werden, auf lange Sicht. Das Prinzip der FAIR-Daten gewährt die Anschlussfähigkeit der Forschung, die Auffindbarkeit der Daten, die Zugänglichkeit, Interoperabilität und Wiederverwertbarkeit der Daten ("findability, accessibility, interoperability, reusability").

National? Und nach 2028? nach oben

Schwierig, aber das ist ja nichts Neues, sind die Aspekte (1) der nationalen Ebene, und, wie immer, (2) die Begrenztheit der Förderdauer (Gesamtzeit: 2020-2028). (1) Denn, es versteht sich, man würde zu entwickelnde und erfolgreich eingeführte Standards gern zügig ins Internationale tragen oder international, länderübergreifend entwickeln. Gerade für Forschungsdaten, bei denen die "language barrier" keine Rolle spielt, die also nicht mit Schwierigkeiten durch sprachliche Übersetzungen zu hantieren haben (im Extrem das Unübersetzbare), ist das Internationale als Perspektive nicht nur reizvoll, sondern naheliegend und sinnvoll, der Natur des Digitalen ist es ohnehin inhärent. (2) Zudem macht ein Wissen um die Begrenztheit der Förderdauer aus den Bestrebungen eben "Projekte".

Man kann den geförderten Konsortien der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur alles Gute und viel Erfolg wünschen, bei allem Visionären die erforderliche Umsicht, und gratulieren!
 

 

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