blog.arthistoricum.net

Open Access und der „Plan S“: Offene Fragen mit potenziell schwerwiegenden Folgen

Open Access und der „Plan S“: Offene Fragen mit potenziell schwerwiegenden Folgen

(Ein Kommentar zu Hubertus Kohles Blogbeitrag „Open Access rückt näher“, dahblog.arthistoricum.net/beitrag/2018/09/21/open-access-rueckt-naeher/)

Das Grundanliegen des Open Access-Gedankens erscheint mir gut nachvollziehbar und attraktiv. Umfassender Open Access würde nicht nur mancherlei Beschwerlichkeit im Alltag aus dem Weg räumen, sondern Perspektiven zu einer wirklich innovativen und produktiven Nutzung der digitalen Möglichkeiten eröffnen. Vor allem aber – und das scheint mir ein eher unterschätztes Argument zu sein – würde so ein Beitrag zur Verbesserung der Chancengleichheit erbracht. Denn die urheberrechtliche Einschränkung von Zugang zu Wissen und Forschungsergebnissen trägt in hohem Maße dazu bei, die fragwürdige Hegemonie von Wissenschaftler/innen wohlhabender Länder zu verstetigen und zu vertiefen. Nicht die privilegierten Forscher/innen in den USA oder in Europa leiden in erster Linie unter Einschränkungen durch Urheberrechte (bzw. – um präziser zu sein – unter den ökonomischen Strategien eines Oligopols von Verwertern), sondern Kolleginnen und Kollegen in Regionen mit einer weniger stark ausgebauten und unterfinanzierten wissenschaftlichen Infrastruktur.

Ich antworte auf den Hinweis von Hubertus Kohle allerdings nicht, um bekannte Argumente zu variieren, sondern um einige offene Fragen anzusprechen. Die jüngste Initiative auf europäischer Ebene, auf die Hubertus Kohle aufmerksam macht, ist für unser Fach nämlich in besonderem Maße ambivalent. Dass die Förderung durch große öffentliche Drittmittelgeber zwingend an Publikationen im Open Access gebunden werden soll, könnte - um es überspitzt zu formulieren - im schlimmsten Fall einen Kollaps des Publikationswesens in unserem Fach zur Folge haben. Denn leider hält weder der europäische noch der nationale Rechtsrahmen in Sachen Urheberrecht mit der im „Plan S“ festgeschriebenen, entschiedenen politischen Setzung des ERC und weiterer Forschungsförderer Schritt. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass die globale Bereitstellung von Aufsätzen oder Monographien im Open Access gerade für Kunsthistoriker/innen erhebliche Schwierigkeiten bergen kann: Wenn eine Monographie oder ein Aufsatz nicht mehr in überschaubarer Auflage auf Papier, sondern frei zugänglich im Netz erscheint, setzen manche Inhaber von Rechten an Bildern diese Verfügbarkeit mit einer exorbitanten Auflagenzahl gleich und fordern entsprechend hohe Vergütungen für den Abdruck eines Bildes ein. Urheberrechte und Lichtbildschutz lassen sich daher unter diesen Bedingungen vielfach nur um den Preis sehr hoher Kosten abgelten. Zudem kann es dabei grundsätzliche Probleme bereiten, die dauerhafte Bereitstellung der betreffenden Arbeit mit vertretbarem Aufwand zu sichern. Denn Rechteinhaber können darauf beharren, dass die Nutzungsrechte für ein Bild zunächst nur temporär gewährt werden und später unter Berücksichtigung der faktischen Nachfrage (z.B. der Anzahl der Seitenaufrufe) gegen erneute Vergütung verlängert werden müssen.

Unser Fach ist davon in erhöhtem Maße betroffen, da ein Großteil unserer Arbeiten auf die Einbindung von Abbildungen angewiesen ist, die urheberrechtlich geschützte Werke zeigen und/oder unter den Lichtbildschutz fallen. Dabei ist keineswegs immer unstrittig, dass die Integration solcher Abbildungen im Rahmen des sog. Bildzitates (im Sinne von § 51 UrhG), d. h. ohne Einholung einer Genehmigung und ohne Vergütung, erfolgen kann. Im Zuge des UrhWissG wurde im letzten Jahr leider die Gelegenheit versäumt, die Zitatschranke so klar zu definieren, dass auch visuelle Argumentationen, die nicht von längeren Textpassagen erläutert werden, darunterfallen (an Vorschlägen hat es übrigens nicht gefehlt; vgl. etwa die Stellungnahme der Forschergruppe „Ethik des Kopierens“ vom 24.02.2017, S. 7f.). Während Kunsthistoriker/innen sich bisher in Grenzfällen meist mit den Rechteinhabern haben verständigen können, drohen hier in Zukunft noch größere Probleme, sofern die Rechte für eine unbeschränkte Verfügbarmachung im Sinne von Open Access eingeholt werden müssen. Die Publikationsplattformen werden uns dieses Problem nicht abnehmen, sondern sich – wie gewohnt – von den Autor/innen bestätigen lassen, dass alle urheberrechtlichen Fragen bereits geklärt und allfällige Forderungen abgegolten sind.

Damit ist nur eine von mehreren offenen Fragen angesprochen. Da sich der „Plan S“ unter anderem explizit gegen das sog. hybride Publizieren entscheidet, könnten uns auch in jenen Fällen Schwierigkeiten erwarten, in denen Kunsthistoriker/innen in einem publikumsnahen Bereich (in seriösen Publikumsverlagen oder in Ausstellungskatalogen) veröffentlichen. Dabei liegt gerade hier immer noch eine Stärke unseres Faches. Noch gelingt es uns, ein größeres interessiertes Publikum jenseits der Fachkolleg/innen anzusprechen. Mit den Möglichkeiten digitalen Publizierens und von Open Access lässt sich der Kreis potenzieller Interessenten zweifelsohne sogar noch deutlich erweitern. Zugleich könnte aber ein ganzes Segment, das wissenschaftlich fundierte kunsthistorische Buch mit breiterer Leserschaft, vor große Probleme gestellt werden, sofern Autorinnen oder Autoren (auch) aus Drittmitteln finanziert werden und die Drittmittelgeber auf Open Access beharren.

All das skizziere ich nicht, um gegen Open Access zu argumentieren. Allerdings gilt es bei dessen Implementierung die vielfältigen möglichen Nebeneffekte genau im Blick zu behalten, mit denen gerade unser Fach in besonderer Weise konfrontiert sein könnte. Dieser Herausforderung werden wir uns selbst stellen müssen; die großen Wissenschaftsförderer, Politik und Verwaltung werden uns das nicht abnehmen. Ideale Voraussetzungen finden wir dabei leider nicht vor. Gemessen an der Bedeutung und Komplexität der Fragen, die sich stellen, verfügt unser Fach über eher wenige Ressourcen, um auf diese Herausforderungen zu antworten. Die Fachcommunity ist nicht so groß, dass es ein Leichtes wäre, die erforderliche Kompetenz in Sachen digital humanities, Urheberrecht, Wissenschaftspolitik etc. zusammenzuführen, um aktiv auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen. Das ändert aber nichts daran, dass wir es versuchen müssen. Andernfalls könnte uns, wenn es ganz unglücklich läuft, drohen, dass wir zwischen einer forcierten Open Access-Agenda der Wissenschaftsförderer einerseits und fortdauernden Einschränkungen durch das Urheberrecht andererseits zerrieben werden.

Meine Überlegungen verstehe ich weniger als Statement oder Positionierung denn als eine gedankliche Momentaufnahme in einem offenen Reflexionsprozess. Vor allem aber sollten sie nur als persönliche Äußerung gelesen werden – ein Hinweis, der vielleicht angebracht ist, da ich sowohl im Herausgeberkreis der von Hubertus Kohle genannten „Zeitschrift für Kunstgeschichte“ als auch im Vorstand des Kunsthistorikerverbandes mitarbeite. Für beide, die Zeitschrift und den Verband, kann ich an dieser Stelle naturgemäß nicht sprechen.

Johannes Grave

0 Kommentar(e)

Kommentar

Kontakt

Kommentar

Absenden