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"The Studio" und der Blick über den Tellerrand

Als der englische Kaufmann Charles Holme 1893 mit viel Idealismus die erste Ausgabe von The Studio veröffentlichte wagte er nicht zu hoffen, dass die Kunstzeitschrift sich je selber tragen könnte. Doch bereits im ersten Jahr konnte Gewinn erwirtschaftet werden und wenige Jahre später war sie ein verlegerischer Erfolg mit Abonnenten im In- und Ausland. Ab 1897 erschien in den USA ein Ableger namens International Studio, in der der Inhalt der britischen Ausgabe durch amerikanische Positionen ergänzt wurde. Bryan Holme, Charles Holmes Enkel, führte den durchschlagenden Erfolg von The Studio auf drei Faktoren zurück: erstens sei die Zeit reif gewesen für ein Organ, das die britische Arts and Crafts Bewegung angemessen repräsentierte, zweitens entdeckte und förderte man junge Talente im In-und Ausland bzw. machte national etablierte Künstler auch im Ausland bekannt und drittens war es aufgrund technischer Neuerungen im Druckraster-Verfahren möglich, Fotografien, Illustrationen und Text auf einer Seite darzustellen, was der Zeitschrift einen modernen und zeitgemäßen Touch verlieh.

Es ist der zweite Punkt, dem hier das Interesse gelten soll, denn die internationale Ausrichtung von The Studio ist aus heutiger Sicht tatsächlich erstaunlich. Die Zeitschrift präsentierte Kunstschaffende aus ganz Europa, dem amerikanischen Kontinent und Asien, besonders Vertreter der Arts and Crafts Bewegung, des Jugendstils und verwandter Stilrichtungen. Aber auch Zeugnisse der Volkskunst sowie alte Handwerkstechniken aus der ganzen Welt wurden in ausführlichen und reich bebilderten Artikeln thematisiert. Hinzu  kamen Gastbeiträge von Künstlern und Kunsthistorikern aus Skandinavien, Deutschland, Österreich, Nordamerika, Japan und anderen Kulturnationen, die jeweils auf Englisch erschienen. Zudem berichteten britische Künstlerinnen und Künstler von ihren Reisen, publizierten Landschaftsbilder und -fotografien aus fremden Ländern oder dem britischen Hinterland. Diese breite Ausrichtung lässt sich unter anderem mit dem beruflichen Hintergrund von Charles Holme begründen, der jahrzehntelang als Kaufmann in Ostindien und weiten Teilen Asiens tätig war und über die Jahre eine umfassende Kunstsammlung aufbaute. Auf seinen Reisen stellte er fest, dass der Schlüssel zu kultureller Verständigung die Sprache war und er entwickelte in dieser Zeit ein erstes Konzept für eine internationale Kunstzeitschrift, die die Kulturen einander näher bringen, Gemeinsamkeiten aufzeigen und nebenbei auch Klassenunterschiede überwinden sollte. Nach seiner Pensionierung im Alter von ca. 40 Jahren bezog Holme das von William Morris entworfene Red House in Bexleyheath, Südostlondon, und tauchte in die Welt des Arts and Crafts Movement ein. Diese britische Kunstbewegung um John Ruskin und William Morris widmete sich vor allem dem Kunsthandwerk und Produktdesign, wirkte aber auch in andere Bereiche wie Architektur und Illustration. The Studio war zunächst eine Herzensangelegenheit für Holme, erwies sich dann aber als zu profitabel und erfolgreich für ein Steckenpferd. Holme führte die Zeitschrift mit viel Weitsicht und Elan und auch nach seinem Aussteigen blieb sie  noch viele Jahre in der Hand seiner Familie.

Viele junge Künstler und bemerkenswerterweise auch ein hoher Anteil von Künstlerinnen werden in The Studio vorgestellt und erfahren in der Folge wachsende internationale Berühmtheit, andere finden nur in The Studio nennenswerte Erwähnung. Bei der Sacherschließung der Aufsätze an der UB Heidelberg mussten immer wieder Künstlernamen recherchiert und angesetzt werden, für die dann jedoch wiederum der einzige Verweis in eingängigen Nachschlagewerken wie dem Allgemeinen Künstlerlexikon The Studio selbst war. Genannt seien Mary L. Newill, Jessie Bayes, Dorothy E. G. Woollard, Mrs. Sydney Bristowe, Leandro Ramon Garrido, Edward Louis, Edwin Alexander, Carton Moore Park und Herman A. Webster.

Dabei waren viele der genannten Kunsthandwerker, Architekten, Designer, Illustratoren und Maler von großer Begabung und es stellt sich die Frage, wie sie trotz ihres Talents in Vergessenheit geraten konnten. Waren es die Kriege und die damit zusammenhängenden Todesfälle, die sozialen Verschiebungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder die Schnelllebigkeit der Zeitenwende, die dazu führten, dass so viele Künstlerinnen und Künstler wieder in der Versenkung verschwanden? Wahrscheinlich war es ein Zusammenspiel all dieser Faktoren und gerade für Frauen war und ist es schon immer traditionell schwerer, auf dem Kunstmarkt Fuß zu fassen. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs brach der europäische Markt für The Studio weg und Charles Holme gab die Leitung der Zeitschrift an seinen Sohn Geoffrey ab. Der Fokus richtete sich in dieser Zeit zunehmend auf einheimische, britische oder alliierte Künstler und der Blick verengte sich. Zugleich war der Stern der Arts and Crafts Kunst im Sinken begriffen und vor allem in den Zwischenkriegsjahren wurde diese veraltete inhaltliche Ausrichtung problematisch und erforderte eine Neuorientierung. Die Bemühungen, wieder Beziehungen zum Kontinent herzustellen scheiterten weitgehend, doch erschloss eine kommerzielle Neuausrichtung neue Leserkreise. Die 1930er Jahre führten The Studio zu neuen Höhen, doch  der Zweite Weltkrieg sollte sich als fatal erweisen. Die Ausgaben erschienen in einer Sparversion auf wenigen Seiten und billigem Papier und die Auflagenzahl brach drastisch ein. Die Zeitschrift wurde noch bis 1964 aufgelegt, erfuhr aber nie wieder die gleiche Aufmerksamkeit.

Doch gerade die frühen Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zeigen, dass Charles Holme es verstand, seine Vision umzusetzen. Die Artikel und Aufsätze zeugen von Weltoffenheit und Fortschrittsglauben, von der Idee einer globalen und sozialen Kunst und viele der vorgestellten Künstler und Künstlerinnen verdienen es, wiederentdeckt zu werden.

Weiterführende Literatur:

Studio: international art - online

1 Kommentar(e)

  • Isa Bickmann
    26.04.2018 13:54
    Bin begeistert,

    dass The Studio digitalisiert wurde und nun Recherchen vereinfacht. Toll! Und danke für den Beitrag.