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Zweifelhafte Denkmäler deutscher Kolonialgeschichte

Alte deutsche Gerichtsgebäude in den ehemaligen Kolonien


Ein Gastbeitrag von Dr. Eike Fesefeldt (Staatsanwaltschaft Stuttgart)

Neben anderen imperialen Staaten, versuchte auch das deutsche Kaiserreich Ende des 19. Jahrhunderts in Übersee Kolonien, sogenannte "Schutzgebiete", aufzubauen. Am bekanntesten sind insoweit die Versuche, die Gebiete des heutigen Namibia oder Tansania zu kolonialisieren.Um keinen rechtsfreien Raum zu schaffen, errichteten die Deutschen ebenfalls eine umfassende Gerichtsorganisation. Wesentliche Rechtsgrundlage war das Schutzgebietsgesetz von 1886, das sowohl Straf-, Zivil- wie auch Verwaltungsrecht regelte.In organisatorischer Hinsicht war das System in 19 Bezirks- und sieben Obergerichte aufgeteilt, wobei die Obergerichte teilweise auch für mehrere Schutzgebiete zuständig waren. Um dem Recht auch eine physische Stätte zu geben, ließen die deutschen Kolonisten Gerichts-gebäude in Städten wie beispielsweise Windhoek (Namibia), Kiautschou (China), Lome (Tongo) oder Kribi (Kamerun) erbauen.

Gerichtsgebäude als koloniale Denkmäler

Man muss ziemlich genau suchen, um Zeugnisse dieser Gerichtsgebäude zu finden. In Raubal (Neuguinea) etwa überstand das ehemalige Ober- und Bezirksgerichtsgebäude viele Jahrzehnte, ging dann aber in einem Lavastrom eines Vulkanausbruchs im Jahr 1994 unter.
Das sicherlich am besten restaurierte Gebäude ist das ehemalige Bezirksgericht Swakopmund, was allerdings nicht weiter überrascht, da in der namibischen Stadt viele Nachfahren der ehemaligen Kolonisten leben. Insoweit lassen sich auch zahlreiche Kolonialbauten finden, wie etwa den Bahnhof oder das ehemalige Bezirksamt.
Daneben lässt sich auch in Tanga (Tansania) – neben anderen Spuren der Kolonialzeit – ein ehemaliges Gerichtsgebäude finden. Der Bau, der ehemals das Bezirksgericht Usambara beherbergte, wurde vor wenigen Jahren sogar aufwändig restauriert und erstrahlt wieder in neuem Glanz.

Das Bezirks- und Obergericht Samoa

Ein weiteres Beispiel eines erhalten gebliebenen Gerichtsgebäudes findet sich in der Haupt-stadt Apia des kleinen Pazifikstaats Samoa. Auch die samoanischen Inseln waren von 1900 bis 1919 unter dem Namen „Deutsch-Samoa“ eine Kolonie. Die Kolonialzeit endete aber schon faktisch im Jahr 1914, dem Beginn des ersten Weltkriegs, als die Kolonie kampflos von den Neuseeländern eingenommen wurde.
Die Neuseeländer fanden auf der Insel ein vorhandenes Gerichtssystem vor, das aus einem Bezirks- und einem Obergericht bestand. Beide Gerichte waren in einem repräsentativen, zweigeschossigen Kolonialbau aus Holz direkt an der Hafenfront von Apia untergebracht. Das Gebäude blieb auch die nächsten Jahrzehnte das Gerichtsgebäude des Landes, sowohl unter der Verwaltung Neuseelands, wie auch nach seiner Unabhängigkeit im Jahre 1962. Heute lassen sich Generationen von samoanischen Juristen antreffen, die in den zwei Sitzungssälen des Gebäudes als Anwälte oder Richter eingeschworen wurden und ihrer tagtäglichen Arbeit nachgingen.

Gebäude vom Abriss bedroht

Mittlerweile steht das Gebäude seit dem Bau eines modernen Justizzentrums leer und wurde in den letzten Jahren dem Verfall preisgegeben. Bei einem Durchgang durch das halb verfallene Gebäude spürt man aber immer noch die Geschichten, Emotionen und Schicksale, die sich in über 100 Jahren Gerichtsverfahren gesammelt haben.
Tatsächlich ist das Gebäude ernsthaft vom Abriss bedroht. Die Samoaner sind nicht dafür bekannt, sonderlich sorgsam mit ihrer Geschichte umzugehen. In den letzten Jahren haben sie nicht nur das koloniale Krankenhaus abgerissen, sondern darüber hinaus die erzbischöfli-che katholische Kathedrale und sogar das eigene historische Parlamentsgebäude aus den 1920er Jahren.

Abriss nicht zu verdenken

Das Gericht in Apia war jedoch nicht für die Samoaner, sondern hauptsächlich für die deutschen Kolonisten gebaut worden. Denn in erster Linie sollten nur die deutschen Einwanderer kaiserlichen Rechts-schutz erhalten und nur in Ausnahmefällen konnten sich die Eingeborenen an die Gerichte wenden. Auch durch die Rechtsprechung sollte das Ziel der Machtsicherung gegenüber dem Anspruch von Rechtsstaatlichkeit gewichtiger sein.

Wesentliches Prinzip, was sich insoweit auch im Rechtsschutz offenbarte, war, dass die Sa-moaner nicht Bürger des deutschen Reichs waren und deshalb nicht die gleichen Rechte wie die deutschen Kolonisten genossen. Typischerweise waren die Kolonialverwaltungsbehörden stattdessen die Gerichtsinstanzen für die Einheimischen, was dazu führte, dass es keine Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung gab: In Samoa war der Gouverneur zweit-weise auch gleichzeitig Oberrichter.

Ein letztes Zeugnis kolonialer deutscher Architektur

Samoa ist kein reicher Staat und angesichts seiner zweifelhaften Symbolik ist es den Samo-anern nicht zu verdenken, wenn sie keine allzu große Wehmut bezüglich des „Old Courthouse“ verspüren. Dass dieses Gebäude aber dennoch als erhaltenswert anzusehen ist, ergibt sich daraus, dass die meisten anderen Zeugnisse dieser Epoche mittlerweile verschwunden sind, sei es aufgrund von Naturkatastrophen oder politischem Wille. Aufgrund dieser Argumentation hat auch der ‚World Monuments Fund‘ das Gerichtsgebäude auf seine Liste der erhaltenswerten Denkmäler gesetzt.

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