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Der Orchideengarten. Phantastische Blätter

You like orchids? ... Nasty things. Their flesh is too much like the flesh of men, their perfume has the rotten sweetness of corruption (William Faulkner)


Der Orchideengarten, der in einer Probenummer erstmals 1918 und dann von Januar 1919 bis November 1921 in 51 Heften und 54 Nummern im Dreiländerverlag München erschien, gilt als älteste Fantasy-Zeitschrift der Welt  ̶  noch vor dem amerikanischen Pulp- und Horrormagazin Weird Tales, das 1923 gegründet wurde. Herausgeber war der österreichische Schriftsteller Karl Hans Strobel, der selbst Autor von phantastischen Geschichten war. Der österreichisch-deutsche Schriftsteller und Künstler Alfons von Czibulka, einer der Mitgründer des Verlages, war Redakteur und Schriftleiter der Zeitschrift.

Wie der Titel versprach, lag der inhaltliche Schwerpunkt des Orchideengartens auf fantastischer, okkulter und erotischer Literatur   ̶   stehen Orchideen (von griech. ὄρχις orchis ‚Hoden') doch gleichermaßen für Sexualität und sinnliches Vergnügen, wie auch für das Seltene, Geheimnisvolle. Neben deutschen Originaltexten, kulturtheoretischen Abhandlungen, Rezensionen und Prophezeiungen wurden auch Nachdrucke von Werken der Weltliteratur in Übersetzungen publiziert. Genannt seien Erzählungen, Gedichte und Abhandlungen von Edgar Allen Poe, Nathaniel Hawthorne, Washington Irving, Guillaume Apollinaire, Victor Hugo, E.T.A. Hoffmann, Nikolai Gogol, Fjodor Sologub u.a., sowie ab dem 3. Heft astrologische Aufsätze von Karl zu Eulenburg. Einige Ausgaben waren Sonderthemen wie „Phantastische Liebesgeschichten“ (15/1919), „Phantastik der Technik“ (4/1920), „Elektrodämonen“ (23/1920), „Moden und Masken“ (2/ 1921),  oder „Märchen“ (7/1921) gewidmet. Geplant war zudem eine Schriftenreihe mit fantastischen und unheimlichen Erzählungen und Romanen, die jedoch nie realisiert wurde.

Für den Verlag waren neben den schriftlichen Beiträge auch die Illustrationen von zentraler Bedeutung, so formulierte er in einem Werbetext: „Der Orchideengarten ist mit seinem schönen – bald grausig-tollen, bald satirischvergnüglichen graphischen Schmuck, mit seinem mit jedem Hefte wechselnden, farbigen, packenden Umschlag und den reichen Textbeiträgen (vierundzwanzig Seiten) ein einzigartiges Blatt, das reichsten Genuß bereitet.“ Und tatsächlich sind es die Titelblätter, die mit ihrer Farbigkeit und ihren anmutig-bizarren Motiven noch heute ungewöhnlich erscheinen. In einer Rezension aus dem Zentralblatt des Okkultismus vergleicht der Kritiker die Ästhetik der Zeitschrift mit der – ebenfalls in München erscheinenden   ̶   Jugend und hebt besonders die „gruselig heitere[n]“ Illustrationen hervor. Abgebildet wurden sowohl Originalillustrationen als auch Werke bekannter und unbekannterer Künstler, u.a. von Aubrey Beardsley, Francisco de Goya, Gustave Doré, Otto Linnekogel, Alfred Kubin und Heinrich Kley.

Im ersten Heft wurden 26 Ausgaben pro Jahr angekündigt, doch erschienen schon im ersten Jahrgang nur 18 Hefte, im zweiten 24, im dritten lediglich 12 Hefte, die zudem immer dünner wurden und zuletzt als Doppelhefte herausgegeben wurden. Vorgesehen war eine Auflagenhöhe von 30.000 Exemplaren, doch fiel diese wesentlich niedriger aus und so blieb Der Orchideengarten wegen wirtschaftlicher, rechtlicher und redaktioneller Probleme und auch aufgrund seiner inhaltlichen Ausrichtung eine Nischenpublikation. Die Hefte wurden zunächst für 80 Pfennige, später für bis zu 2 Mark angeboten.

Schon früh hatte der Verlag mit Strafrechtsverstößen zur Sittlichkeit zu kämpfen, so wurden ab 1920 mehrere Nummern als „unzüchtig verdächtige[n] Schriften“ auf den Index genommen und teilweise aus dem Verkehr gezogen bis die Zeitschrift Ende 1921 komplett eingestellt wurde.

     Sarah Debatin M.A.
     Universitätsbibliothek Heidelberg

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