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Der Schriftsteller und Redakteur Josef Wiener-Braunsberg

Ein Gastbeitrag von Bettina Müller (Köln) für das Themenportal Caricature & Comic.

Kenner der Satiren, des leichtbeschwingten Reimes, des Humors

Am 12.10.1866 wurde Josef Wiener im ostpreußischen Braunsberg als Sohn des jüdischen Kinderarztes Dr. Wilhelm Wiener und seiner Ehefrau Doris geb. Müller geboren. Er verließ aus gesundheitlichen Gründen das Braunsberger Gymnasium vorzeitig, machte in Königsberg eine Lehre zum Buchhändler und arbeitete anschließend aber nur kurze Zeit in Königsberg und Berlin in seinem Beruf. Schon früh hatte er begonnen, für humoristische Zeitschriften wie die „Lustigen Blätter“ zu schreiben, 1891 schließlich veröffentlichte er seinen ersten Berlin-Roman „Trude Schneider“, dem noch weitere folgen sollten. Nach mehreren Ortswechseln – in Bochum und Halle war er Redakteur bei zwei Tageszeitungen, ab 1895 dann freier Schriftsteller in Dresden – ließ er sich nach dem Tod seiner Mutter (1899) und seiner Schwester Selma verh. Adolph (1900) in Berlin nieder, wo sein Vater in der Zwischenzeit eine eigene Arztpraxis in Schöneberg eröffnet hatte und als Krönung seiner medizinischen Laufbahn 1898 zum Sanitätsrat ernannt worden war. Ab 1910 bis 1916 arbeitete Wiener-Braunsberg in unregelmäßigen Abständen für die konservative Zeitschrift „Beim Lampenschimmer“, einer Zeitschrift „Für die ganze Familie“, u.a. mit einer Rubrik „Der Weg zum eigenen Herd“, die nichts anderes als Kontaktanzeigen waren. Im „Lampenschimmer“, deren Herausgeber er in den ersten beiden Jahren ihres Erscheinens war, veröffentlichte er mehrere Fortsetzungsromane (u.a. 1910 „Im Forsthause zu Lindenhofen“ und 1915 „Das Geheimnis des Amerikaners“).

1917 wurde Josef Wiener-Braunsberg Redaktionsmitglied der satirischen Zeitschrift „Ulk“ (= Unsinn, Leichtsinn, Kneipsinn), einer Beilage des Berliner Tageblatts im Verlag von Rudolf Mosse, die bis 1933 existieren sollte. Die Beilage erschien ab dem 18.3.1927 zusätzlich auch als Beilage der Berliner Volkszeitung (vorher hatte es darin lediglich ein einseitiges "Witzblatt" namens „B.V.B.-ULK“ gegeben). 1920 übernahm er von Kurt Tucholsky den Posten des Chefredakteurs, den er bis 1925 innehatte, dem Ulk als Mitarbeiter treu blieb er bis zu seinem Lebensende. Das ganze Jahr 1919 hindurch arbeiteten Wiener-Braunsberg und Tucholsky für den ULK wohl harmonisch zusammen, wobei sich die beiden in ihrer Herangehensweise an Satire und Humor sicherlich unterschieden. Für Tucholsky war Satire „blutreinigend“, Wiener-Braunsbergs Ansatz war in vielen Fällen humoristischer, manchmal sicherlich weniger bissig als Tucholsky, dafür aber auch weniger „verbissen“.

Die Jahre 1920 bis 1925 waren die produktivsten und erfolgreichsten seiner schriftstellerischen Laufbahn, es entstanden drei Romane und drei Verssammlungen. Für den ULK hatte er außerdem insgesamt rund 670 Verse und humoristische Prosatexte (wobei dies allein die eindeutig Signierten waren, viele Beiträge im ULK waren unsigniert ) verfasst, viele unter dem trügerischen Pseudonym „Der sanfte Heinrich“ (laut „Glossar Berlinische Wörter“ von 1873 „eine Art Branntwein oder Schnaps“) in den so genannten „Leitgedichten“. Mit ihnen kommentierte Wiener-Braunsberg die innen- und außenpolitischen schwersten Krisen der noch instabilen Republik zumeist mit spitzer Feder. Zur Seite stand ihm in der Redaktion nach Tucholskys Weggang u.a. Hugo Frenz, ein humoristischer Schriftsteller, der eigentlich als Parlamentsstenograf begonnen hatte und dessen Humor Wiener-Braunsbergs sehr ähnlich war.
Die Nachwirkungen des 1. Weltkriegs mit den daraus resultierenden prekären Lebens-bedingungen für die Bevölkerung, Aufstände, Putschversuche, politische Morde (z.B. 1922 an Walther Rathenau, was Wiener-Braunsberg in dem Leitgedicht „Sein Grab“ in der Ausgabe Nr. 25, S. 98, sichtlich nahe ging) etc., prägten die ungemein schwere Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Der Posten des Chefredakteurs einer Zeitschrift mit ganz bestimmter und bekannter politischen Ausrichtung, aus der Wiener-Braunsberg keinen Hehl machte und teilweise sogar für die entsprechende (Deutsch-Demokratische) Partei warb, war dabei kein ungefährlicher. Leser fühlten sich regelmäßig „angeekelt“ und „in den guten Sitten verletzt“, wie schon Tucholsky schrieb. Theodor Wolff, der Chefredakteur des Berliner Tageblatts, erhielt regelmäßig Morddrohungen, Wiener-Braunsberg wurde 1925 von dem antisemitischen Zoologen Ludwig Plate aufgrund des Gedichts „Zoologisches aus Jena“ verklagt, in dem Wiener-Braunsberg ihn mit einem Esel verglichen hatte. Relativ spät, 1927, geriet Wiener-Braunsberg aufgrund seines Gedichtes „Fasching“, eigentlich eine Satire auf die Künstlerszene der damaligen Zeit mit all ihren Eitelkeiten und „sittlichen Auswüchsen“, ins Visier des fanatischen Antisemiten Alfred Rosenberg.
1923 war das Jahr, in dem ganz besonders die Ruhrkrise den ULK prägte, nachdem Deutschland nicht mehr in der Lage war, die geforderten Reparationsleistungen zu erbringen. Es kam in diesem Jahr im Ruhrgebiet erneut zu einem Verbot des ULK durch die Interalliierte Rheinland-Kommission, da das Blatt „die Würde der Besatzung“ verletzen würde. Die Reaktion kam prompt im Vers „Den Pariser Helden (Nach dem abermaligen ULK-Verbot) in der Ausgabe 10/1923: Und wenn ihr zehnmal mir den Mund verbietet/ihr tapfern Helden von der Ruhraktion/und gegen mich und meinesgleichen wütet/ich ändre darum doch nicht Wort und Ton/Ich werde trotzdem Schurken Schurken nennen/seid ihr darüber noch so missvergnügt/der Lüge Schandmaul auf die Stirn euch brennen/die ihr sogar das eigne Volk belügt! (vgl. auch „Der verbotene ULK“ Nr. 8/1922/S. 30).
Gepaart mit den zu dieser Zeit oftmals sehr düsteren expressionistischen Zeichnungen des aus Schlesien stammenden Illustrators Oskar Theuer, der die Krisen kongenial zeichnerisch umsetzte, ergab dies eine äußerst effektive Mischung, bei denen der Vorwurf der „Unbissigkeit“ haltlos war. Immer häufiger gab es ab dieser Zeit Anspielungen auf den zunehmenden Antisemitismus im Land: Man zieht – natürlich nur in Scharen!/nachts durch die Straßen von Berlin/und trifft man wen mit schwarzen Haaren/dann prügelt man ihn blau und grün“ - Man wütet wie die Botokuden [brasilianische Indianer]/mit Stock und Gummiknüppel blind/man ruft begeistert: „Haut die Juden!“/auch wenn es keine Juden sind. (ULK 21/1923/74: „Die Wilmersdorfer Helden“). Adolf Hitler fand am 9.2.1923 zum ersten Mal Eingang in das Leitgedicht des „sanften Heinrich“: Im Kriegstanz, mit gewalt’gem Geheule/schwingt Adolf seine Indianerkeule/und fordert die Skalpe, Germanias „Rächer“/der Juden und der „November-Verbrecher (Auszug aus: Sie tanzen… ULK 6/1923/22).

Visuell war in der Zeitschrift bereits im Vorjahr 1922 eine Veränderung zu beobachten. Wohl ein Leser der Zeitschrift „Berliner Leben“ (für die er das Gedicht „Komtesschens Brautnacht“ verfasst hatte, im Gegenzug veröffentlichte der damalige Chefredakteur der Ber-liner Leben, Eugen H. Strassburger, später auch einige Verse in der ULK), einer Zeitschrift „für Schönheit und Kunst“, in der in den 1920er Jahren regelmäßig sehr hochwertige Zeichnungen verschiedener Künstler veröffentlicht wurden (z.B. Theodora Bücking, Lisbeth Juel, Kurt Walter Kabisch, Fred Knab, Rolf Niczky), mit denen man den Platz zwischen den verschiedenen Novellen kurzweilig garnierte, nahmen auch in der Ulk im Verlauf der nächsten Jahre Zeichnungen dieser Art zu bis hin zu dem Zeitpunkt, wo sie beinahe den Schwerpunkt bildeten und sogar die politischen Themen auf der Titelseite verdrängten. Ebenso hatte sich die Farbgebung verändert, es dominierten helle und leuchtende, teils sogar grelle Farben. Am 16. Oktober 1925 z.B. sah man auf dem Titelbild der ULK keine politische Satire-Zeichnung, sondern drei eher leicht bekleidete Frauen an einem Tisch mit einem ausgebreiteten Kreuzworträtsel mit der Überschrift „Um Mitternacht“, von denen eine sagt: „Eher löse ich mein Verhältnis mit Bill als dieses Kreuzworträtsel!“ Der Zeichner war der bereits schon länger aus der „Berliner Leben“ bekannte Zeichner Josef Fenneker. Der ULK wurde ab diesem Zeitpunkt eine Art Zwitter aus Witzen, wenigen Satiren und eindeutigen Frivolitäten, ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Wandels mit einem Publikum, das die Nachwirkungen des 1. Weltkriegs überwunden zu haben schien und dass sich – wenn es zu den zahlungskräftigen gehörte – angemessen vergnügen konnte.

Der weite Verbreitungskreis des ULK ließ auch seinen Chefredakteur mit den Jahren zunehmend populärer werden, er trat er im Rundfunk mit „humoristischen Plaudereien“ auf, sein Roman „Warenhausmädchen“ wurde 1925 unter dem Titel „Die Kleine aus der Konfektion (Großstadtkavaliere)“ mit den damaligen Stummfilmstars Evi Eva und Reinhold Schünzel verfilmt, seine Verse wurden als Kunstpostkarten als Sets von zehn oder 20 Stück kommerziell vermarktet. Doch lange konnte Josef Wiener-Braunsberg seinen späten Ruhm nicht mehr genießen, am 8.6.1928 verstarb er im 62. Lebensjahr im Schöneberger Auguste-Viktoria-Krankenhaus an den Folgen eines Hirnschlags, den er vier Tage zuvor erlitten hatte. Er hinterließ seine zweite Ehefrau (mit einer ersten Ehefrau Anna Pauline Alder war er von 1895 bis 1913 verheiratet) Wanda geb. Hildebrandt (verwitwete Küch, Tochter des Schriftstellers und Redakteurs Martin Hildebrand, der u.a. die Zeitschrift „Recht der Feder“ herausgab) und zwei Stiefkinder, die sie aus ihrer ersten Ehe mitgebracht hatte. Kontrastierend zu seiner jüdischen Herkunft, ließ er sich im Krematorium Wilmersdorf einäschern und wurde auf dem Wilmersdorfer Friedhof in einem Urnengrab bestattet, das heute nicht mehr existiert. Seine Eltern und seine Schwester liegen auf dem jüdischen Friedhof Weißensee begraben. Die Leser des ULKs erfuhren, so es sich noch nicht bis zu ihnen herumgesprochen hatte, von seinem Tod in der Ausgabe Nr. 24 – als Reminiszenz an den Meister der humoristischen Verse – ebenfalls in Reimform durch den verantwortlichen Redakteur des Textteils Hans Flemming (Pseudonym: Fl.). Etliche Zeitungen im In- und Ausland meldeten den Tod des damals offensichtlich sehr beliebten Humoristen, Schriftstellers und Redakteurs. Doch schon bald geriet er in Vergessenheit, zumal 1935 seine beiden Romane „Warenhausmädchen“ und „Die Venus von der Tauentzien“ von den Nationalsozialisten als „verbotene Literatur“ eingestuft worden waren, die „das nationalsozialistische Kulturwollen gefährden“. Somit durften sie weder durch öffentlich zugängliche Büchereien oder durch den Buchhandel verbreitet werden. Diese und andere seiner Werke harren bis heute einer Neuauflage. Allenfalls Menschen ostpreußischer Herkunft kennen heute noch seine Verssammlung „Mein Vater ist ein kleines Mannchen“.

Ein längerer Bericht über Josef Wiener-Braunsberg wird zu einem noch unbekannten Zeitpunkt in einer der Reihen des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen erscheinen (Arbeitstitel: Der Schriftsteller und Redakteur Josef Wiener-Braunsberg –  Biographische Fragmente, Familie und Werke –)  

Zeitschrift ULK – Seite der Universität zu Heidelberg, mit Digitalisaten:
www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/ulkhd.html

Textauszüge von Josef Wiener-Braunsberg:
www.portal-ostpreussen.de/Members/Bettina/josef-wiener-braunsberg-1866-1928-schriftsteller-redakteur-und-kritiker/

 
Bibliographie (Auswahl)

• Trude Schneider. Roman aus dem Berliner Leben, Leipzig 1891, 3. veränderte Auflage, 1894
• Alma’s Ende (Fortsetzung von Hermann Sudermanns Schauspiel „Die Ehre“), Berlin 1892, 4. Aufl. 1902, 12. Auflage 1911
• Aber - - Herr Sudermann! Offener Brief an den Verfasser der „Verrohung in der Theaterkritik“ von einem Theaterbesucher. Broschüre, Berlin 1903
• Die wandernde Hand: ein Nachtstück. Nach den hinterlassenen Tagebuchblättern Iwan Petrowskis (Collection Geister- und Gespenster-Romane, Bd. 4), Berlin 1904
• Mein Vater ist ein kleines Mannchen. Ostpreußische und andere Vortragsgedichte (Eduard Blochs Original-Deklamatorium Nr. 51), Berlin 1904, 2. Aufl. 1909, 3. Aufl. 1919
• Nach den Gewittern. Ein Eheroman (Bibliothek zeitgenössischer Erzähler, Weichert-Verlag, 31), Berlin 1905
• Die letzte Instanz. Eine Kriminal- und Liebesgeschichte aus den Tiroler Bergen (Kürschners Bücherschatz, eine Sammlung illustrierter Romane und Novellen, 587), Berlin 1907
• Die Erziehung zur Bestie. Die Geschichte eines zerstörten Lebens, Berlin 1909
• Schnurriges und Knurriges. Lustige Vortragsstücke in Vers und Prosa (Amboß-Vortragsbücher Nr. 2), Stendal 1922, 2. Aufl. 1924
• Warenhausmädchen: Roman aus d. Berlin d. Gegenwart, Berlin 1922
• Die Venus von der Tauentzien: Sittenbild aus dem Berlin von heute, Berlin 1923
• Die Brett’lgräfin, Berlin 1924
• Mensch, det jiebt et doch bloß in Berlin und andere Vortragsstücke in Vers und Prosa (Amboß-Vortragsbücher Nr. 3), Leipzig 1924
• Mensch, ärgere Dich nicht! Und andere Vortragsstücke in Vers und Prosa (Amboß-Vortragsbücher Nr. 4), Leipzig 1924

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