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The king’s many bodies: Weiter zur Bilderfrage im Nahen Osten

Gastkommentar von Wolfgang Kemp

Wir hatten neulich Gelegenheit, im Rahmen eines Gastkommentars an dieser Stelle westlichen und nahöstlichen, katholischen und islamischen  Bildergebrauch miteinander zu vergleichen. Anlass war der Besuch des Staatspräsidenten Rohani bei seinen römischen Kollegen Renzi und Franziskus I. Heute wollen wir einmal näher betrachten, wie Staatsbesuch im Nahen Osten selbst geht und welche Rolle die Bilder in der bilderfeindlichen Welt der Wahhabiten spielen.

Ich beziehe mich zuerst auf das offizielle Foto, das den Besuch von Scheich Tamin, dem Oberhaupt Katars, bei König Abdullah, dem Herrscher über Saudi-Arabien, im Oktober 2014 festhält. Der Ort ist die private Residenz des Königs in Dschidda.

 

Ganz kurz zum Hintergrund: Wenige Monate zuvor hatten in einer einzigartigen Aktion Saudi-Arabien, Bahrein und die Emirate ihre Botschafter aus Katar abgezogen. Katar hatte gleich mehrfach gegen das Agreement der Golfstaaten verstoßen: Es hatte zugelassen, dass auf seinem Gebiet Geld für den IS gesammelt wurde, dass auf ähnliche Weise die Muslim-Brüder unterstützt und hochrangige Mitglieder des Dschihad beherbergt wurden. Böse Zungen sprachen von Katar als vom Club Med des IS und der Muslim-Brüder. Und allgemein galt die Faustregel: Die Kämpfer des IS kommen aus Ägypten und Tunesien, das Geld aus Katar und die Waffen aus der Türkei. Gründe genug, um eine schwere diplomatische Krise auszulösen. Scheich Tamin, erst kurze Zeit im Amt, strengte sich an, die Lage wieder zu entspannen. Was ihm auch gelang, zu welchem Preis ist sehr umstritten. Die Stimmung im Palast von Dschidda jedenfalls scheint entspannt, so will es das offizielle Foto.  Der junge Emir verbeißt sich die entscheidende Frage: Wieso er und sein Land in Misskredit gerieten, wenn der Wahhabismus und seine Führungsmacht Saudi-Arabien jene fundamentalistische Version des Islam predigen, welche den IS und die Muslim-Brüder zu ihren Taten inspiriert? Und wie war das noch einmal mit 9/11? Bin Laden kam aus Saudi-Arabien und 15 der Täter ebenso. Die Untersuchung einer möglichen Finanzierung des Anschlags durch saudische Quellen wurde schließlich abgebrochen, um die Ölzufuhr nicht zu gefährden. Solche und ähnliche Fakten hätte der Emir ins Feld führen können – und hat er ja vielleicht auch getan.

Das Setting Staatsbesuch kennen wir aus dem Westen nicht anders: Gastgeber rechts, Besucher links, hier noch verstärkt durch die beiden Landesfahnen, dazwischen ein kleines Tischchen, der eine oder andere Dekor. Im arabisch-nordafrikanischen Raum ist der Stil des Mobiliars immer „französisch“: irgendeine Mixtur aus den Königsstilen und Empire. In Dschidda entschied man sich für ein stark verdruckeltes Empire, das wohl für Großherrschaft stehen soll. Rührend die Paraphernalia eines aufgeschlossenen Mittelalters: Telefon und Bildschirm. Was im ehemaligen und so enorm bilderfreudigen Westen aber unbekannt ist, ist die Hinterbauung der beiden Sitzenden durch je ein Konterfei eines arabischen Machthabers. Wer ist auf den großen und kostbar gerahmten Fotografien hinter unseren Staatsoberhäuptern dargestellt? Meine Vermutung ging zunächst dahin, dass die Bilder, beweglich wie sie sind, auf den Anlass bezogen waren.

   

 

Dann fand ich ein Pressefoto des gleichen Settings mit dem amerikanischen Außenminister, was den Schluss zulässt, dass wir ein Standardarrangement ansprechen. Der Blick in die Bildarchive ergibt: Links ist in effigie Abd al-Aziz zu sehen, der Vater Abdullahs und der Begründer der Dynastie der Al-Saud. Sie regiert den 1932 neugeschaffenen Staat Saudi-Arabien, den man früher viel korrekter Saud-Arabien hieß, das Land der Familie Saud. Die Bildrückwand rechts ist ein Porträt des Vorgängers von Abdullah mit Namen Faud. Wir müssen wohl auf den Unterschied zwischen den beiden Ghutras achten, dem weißen Kopftuch, das der König im Bild rechts trägt, und der weiß-rot karierten Ghutra links  (zu der es ein böses deutsches Wort gibt). Letztere trägt man normalerweise in der Wüste, erstere bei so hohen Anlässen wie einem Staatsbesuch. Ist das der Gegensatz zwischen dem Beduinen, dem Stammesführer links und dem etablierten König rechts? Oder sind da feine Unterschiede in der Nationaltracht zu berücksichtigen? Die Art, wie der Agaal, die zwei schwarzen Halteschnüre, welche die Ghutra fixieren, eingesetzt wird, unterscheidet sich in Saudi-Arabien und in Katar. Tief und konform wie beim realen König oder sehr hoch und der höhere Ring leicht verschoben plus schnurähnliche Verlängerung wie beim Scheich neben ihm, das sind Nationalstile. Aber der dunkelblaue und der gelb-goldene Bisht, das vornehme Obergewand? Wir werden darauf noch einmal zurückkommen.

Es bleibt das Problem der Bildhinterbauung. Einerseits ist der Ad-hoc-Charakter, das Akzidentielle auffällig. Es sind mobile Bildträger, die keinen festen Platz zu haben scheinen. Sie könnten einer Kultur des Nomadischen zugeordnet werden. Man stelle sie sich links und rechts an einem Transport Kamel befestigt vor, schaukelnd ihren Weg zur nächsten Lagerstätte nehmend. Andererseits ist auffällig, dass die beiden Großfotografien wie Rücklehnen funktionieren. Das ist mehr als Reverenz, als Berufung auf: das ist gestützt werden durch.

 

 

Um kurz in einen anderen Problem- und Ölstaat (eine Tautologie) hinüberzublicken, zu Venezuela und seinem Präsidenten Nicolás Maduro: Es gibt kaum ein amtliches Foto Maduros, auf dem er ohne den ikonischen Beistand von Simón Bolivar auskommt. Bolivar verdankt das Land seine Unabhängigkeit, aber die Selbstverpflichtung Maduros reicht weiter. Seit Maduros Vorgänger Chávez sieht sich die „Vereinigte Sozialistische Partei“ Venezuelas als Motor einer „Bolivarischen Revolution“, die soziale Gerechtigkeit, Unabhängigkeit vom Norden des Kontinents und eine größere Einheit Südamerikas anstrebt. Ihr Umgang mit Slogans, Symbolen, Paraden, Gedenktagen und Bildern wäre ein eigenes Thema: Nach dem Ausfall des Ostblocks und der Erstarrung Kubas lässt sich sozialistische politische Ikonographie  am besten in Venezuela studieren. Bei einer Militärparade schreiten Soldaten im Stechschritt voran und stemmen in kampfbetonter Diagonale rote Fahnen voran. Auf ihnen ist als Motto zu lesen: „Chávez lebt“ und „Der Kampf geht weiter“. Dazwischen die wachsamen Augen des Big Brother.

 

 

 

Die Staatsporträts des (noch) amtierenden Präsidenten Maduro sind wie gesagt ohne das Konterfei des Vaters der Nation nicht zu haben. Das hier abgebildete hat ihrer gleich drei: ein farbiges und zwei schwarz-weiße. Bei letzteren fällt auf, dass sie aus leicht verschobener Perspektive „aufgenommen“ sind. Nun starb der Libertador vor Erfindung der Fotografie. Was wir hier zweimal sehen sind Versionen eines 3D-Bildes  des Antlitzes, des „rostro“, wie es in Venezuela heißt, das Chávez 2012 inaugurierte und mit dem er sich gerne ablichten ließ. Das „Antlitz“ wurde mit dem Verfahren der Visuellen Forensik (Methode Philippe Froesch) aus dem CT-Skan entwickelt, der dem Schädel des Libertador abgenommen wurde – im Auftrag der Regierung: Mumifizierung 2.0.

 

 

 

Das Bild ist von erschreckend veristischer Prägnanz; insofern verwundert es, dass Maduro von so unscharfen Versionen umgeben ist. Aber dann erkennt man, dass das „rostro“ nicht nur ein Geschöpf des Computers ist, sondern obendrein nicht sehr sorgfältig in das Präsidentenbild einmontiert wurde, genauso wie der „gemalte“ und farbige Bolivar. Das heißt, hinter dem Präsidenten war nur die leere hölzerne Wand. Es sei noch darauf hingewiesen, dass das 3D-Bild auf das prächtige Rot-Gold der Uniform verzichtet, die Bolivar normalerweise trägt. Der Forensiker ersetzte durch die Herabtönung auf Blau-Schwarz-Weiß gewissermaßen die fehlenden Originalfotografie, die Simon Bolivar nie gegönnt war. Diese Simulacra, die dem Präsidenten zugeordnet sind, haben also einen langen Anlauf genommen, nicht eine Bildstrecke, sondern einen Medienparcours absolviert, und wohl deswegen sind sie gleich in völlig unnötiger Vielzahl und in so schwacher Qualität gegeben: der vorfotografische Bolivar, Bolivar  im Gemälde, Bolivars Schädel als CT-Scan, forensischer Aufbau des „Antlitzes“ unter Hinzuziehung der gemalten Bildtradition, der dreidimensionale Bolivar, seine lieblosen Repros. Auch das hat etwas Nomadisches an sich und ist noch unsteter und noch weniger nachhaltig als die Großfotos auf ihren Stativen hinter König und Emir.

Zurück zur Hofbildberichterstattung in Saudi-Arabien. Die beiden, die hier sitzen, sind zwei von sechs Oberhäuptern echter Monarchien auf der Welt. Und die Art, wie die Saudis ihre Thronfolge gestalten, dürfte einzigartig sein – auch im historischen Vergleich. Der erste König und Gründer des Staates war wie gesagt Abd al-Aziz. Alle folgenden Herrscher waren Söhne des Stammvaters, der für diesen Zweck den anhaltenden Vorrat von 42 Söhnen gezeugt hatte. Dazu gehört auch der aktuelle König Salman, der letzte der 42. Mit anderen Worten: Die Thronfolge geht seit 1953 von Bruder zu Bruder und nicht von Vater zu Sohn oder Tochter. Das wirkt wie ein fast verzweifeltes Sich-Festklammern an der kürzesten Blutlinie. Sie wird bis zum letzten Tropfen ausgekostet – „single source“, einmal ganz anders verstanden. So bilden die Großfotos zusammen mit dem lebenden Dritten das Gesetz der Saudischen Deszendenz in kürzester Form ab: Vater – Sohn – Bruder und geben zugleich zu erkennen, dass diese Linie ein Ende haben muss. In öffentlichen Bauten wie etwa der Islamischen Universität in Rhiyad begegnet man immer wieder dieser monarchischen Trinität: the King’s three bodies, wenn man will. Man beachte aber auch hier das Beweglich-Provisorische der Aufstellung, dieser „Familienaufstellung“, welche bei  größtmöglicher Schließung des Bildprogramms doch auch Unsicherheit verrät – die erwartbare Unsicherheit eines Stammes, der die Macht und ein riesiges Territorium usurpierte, indem er sich mit den Wahhabiten verbündete, ein Bündnis, das bis heute anhält und täglich neu ausgehandelt werden muss. Und Öl ist nicht nur ein Schmiermittel.

 

Der Dreifrontenkrieg, den Saudi-Arabien im Moment führt, gegen Syrien, gegen Jemen und gegen die anderen ölproduzierenden Staaten (auf der Ebene der Preisgestaltung) könnte nach Meinung von Beobachtern dazu führen, dass der letzte Sohn von Abd al-Aziz auch der letzte König von Saudi-Arabien sein wird. Das Regime Maduro und der Sozialismus, der sich nur hielt, solange die Ölpreise hoch waren, wird auf jeden Fall zusammenbrechen und ein kaputtes Land hinterlassen. Ein Reporter des „Stern“, der gerade den täglichen Kampf der Bevölkerung  um Grundnahrungsmittel verfolgt hat, schreibt über den Mann an der Spitze, der sich mittlerweile nur noch in Bildern und nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigt: „Auf der Rangliste der absurden Potentaten liegt er irgendwo zwischen Robert Mugabe und Kim Jong-un.“

 

Ich möchte zum Motiv der Hinterbauung noch einen kleinen Ausflug in die gebaute Realität Saudi-Arabiens machen. Die ökonomische raison d’etre  des künstlichen Staatsgebildes ist das Öl, die geistige die Kaaba in Mekka und das Grab des Propheten in Medina. Das offizielle Foto zeigt den schwarzen Kubus umquirlt von den Strömen der Pilger, die die Kaaba siebenmal umkreisen müssen. Das wird konzentriert am besten aus schräger Aufsicht ins Bild gesetzt.

 

 

 

Selten wird gezeigt, dass die Kaaba mittlerweile durch zwei viele hundert Meter höhere Hochhauskomplexe  in den Schatten gestellt wird. Auf der Nachtaufnahme sieht man im Hintergrund die Baukräne, mit deren Hilfe zwei der größten Bauprojekte aller Zeiten entstehen: al-Shamiya heißt das eine, das noch nicht fertig ist und im ersten Abschnitt mit 10 Milliarden Dollar veranschlagt wurde. Es liegt nördlich der Kaaba. Abraj al-Bait heißt das 15 Milliarden teure und 2012 fertiggestellte Ensemble, das in der Mitte zum zweithöchsten Wolkenkratzer und weltweit höchstem Uhrturm aufwächst. Würde der Prophet noch einmal das zentrale Heiligtum seines Glaubens besuchen, hätte er etwa diesen Blick und müsste auf der Stelle eingestehen, nicht alles vorhergesehen zu haben.

 

 

Die Assoziation Big Ben ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht: Die arabische Welt hat hier den 600 Meter hohen Anspruch erhoben, ihre Zeitzone Mekka-Zeit zu nennen, ohne freilich etwas daran ändern zu können, dass die Weltnormalzeit nach wie vor vom Big Ben-nahen Greenwich aus gerechnet wird. Aber weil die Gebetszeiten der Muslime jeden Tag wechseln, hat eine auf sieben Kilometer hin sichtbare Uhr und ein auf dieselbe Entfernung hin hörbarer Aufruf zum Gebet durchaus einen praktischen Sinn. (Die Uhr mit ihrem 23 Meter messenden Minutenzeiger wurde von einer schwäbischen Firma geliefert. Es gibt einen deutschen Dokumentarfilm zur Herstellung und Anbringung dieser Uhr, der in so vielen Superlativen schwelgt, dass er den Gedanken „hypertroph“ total zu übertönen versucht). Der Turm als ganzer entstand nach dem Entwurf des deutschen Architekten Mamoud Bodo Rasch, der wie die Architekten der kleineren Türme um den Riesen herum den Stil der frühen US-amerikanischen Wolkenkratzer imitierte. Im Grunde ist es die bekannte dreiteilige Struktur mit monumentalem Sockel, mit vertikal beschleunigtem Schaft und mit der Bremse eines stark plastisch ausgebildetem Dachabschluss, das mit gotischen oder islamischen Spitzen aufwartet. Ein wenig Woolworth Building, ziemlich viel Empire State, ein Schuss Chicago vor 1900 und ein Big Ben-Topping – das Design könnte der Computer nach den entsprechenden Befehlen sich selbst erarbeitet haben, während der zum Islam konvertierte Architekt seinen Gebetsverpflichtungen nachging. Ziemlich verwirrend ist das Ganze, weil Rasch ja eigentlich ein Pionier des Leichtbaus war und mit einer Dissertation über die Zeltstädte der Mekka-Pilger hervortrat. Was hier in Konkurrenz zum  „Haus Gottes“ die Himmelsrichtung usurpiert, erinnert mich entfernt an das berühmte Kreuz, das die Sonne auf die silberne Turmkuppel des Fernsehturms am Alexanderplatz zeichnet. Da strengt man sich zu einer architektonischen Machtdemonstration ersten Ranges an - und endet im falschen Symbolregister. Wobei der Unterschied darin besteht, dass die Baumeister des Berliner Turms für das christliche Signet, die „Rache des Papstes“ genannt, nichts konnten, während der Turm zu Mekka schon so gewollt war und sicherlich von höchster Stelle abgenommen wurde – Computer hin oder her. Jetzt aber triumphiert die Architektursprache des großen Feindes (bzw. engsten Verbündeten) über das zentrale Heiligtum des Islam und seine in jeder Hinsicht monolithische Struktur.

Man kann das aber auch ganz anders sehen. Bauen im Bestand ist nicht die Maxime der Wahhabiten. Sie haben 85 Prozent des alten Mekka abreißen lassen. Für den Bau von Abraj al-Bait wurde nicht nur die Festung Mekkas, sondern auch der Berg, auf dem sie stand, beseitigt. Wo einmal das Haus von Mohammeds Sohn war, erhebt sich heute das neue Königsschloss, Abu Bakrs Haus, das Haus eines engen Begleiters von Mohamed, musste dem Hilton weichen, und an der Stelle des Hauses von Mohammeds Frau findet man heute eine öffentliche Bedürfnisanstalt. Die Behörden haben auch die Gräber der Familienangehörigen Mohammeds und der frühen islamischen Märtyrer unzugänglich gemacht. Es ist im Grunde ein Wunder, dass die Kaaba geblieben ist, die ja nur auf das Jahr 1630 (und von da aus allerdings bis zu Adam) zurückgeht. Die Zerstörung geschieht planmäßige; sie hat nur wenig mit der Bauwut und der Verwandlung der Stadt in eine Art Las Vegas mit religiösem Themenpark zu tun. Die Wahhabiten fürchten außer den Ungläubigen nichts mehr als den Hang der Gläubigen zur Idolatrie. Die Stadt ist übersäht mit Verbotsschildern. Als Piktogramme mit resolutem X oder als Aufschriften  in Arabisch, Urdu und Englisch halten sie den Pilgrim davon ab, Bauten zu berühren und zu küssen, Erde mitzunehmen usw. Wenn er (oder sie, nur in Mekka dürfen die Geschlechter ungetrennt die Moscheen und Malls frequentieren) am zweiten Tag des Haddsch den „Gnadenberg“ besteigt, von dem aus Mohamed seine letzte Predigt gehalten haben soll, sieht er dort einen großen weißen Pfeiler, der die Stelle markiert: Auf ihm steht auf blauem Grund geschrieben so etwas wie „Anbeten verboten“. Das Ideologem, Mekka stehe für die Einheit des Islam, wird hier praktisch widerlegt: Die Staatsreligion einer Diktatur setzt ihre Auffassung von Theological Correctness durch, mit Schildern und mit Religionspolizei. Fausal Devji, der die Stadt im letzten August besuchte, schreibt über das durchkontrollierte Mekka, das er eine „Stadt im Belagerungszustand“ nennt: “In effect, the signs speak of a city under occupation, apparent prescriptions for order imposed from above by a foreign ruler. The Saudi royal family and its Wahhabi form of Islam, after all, took the holy cities by force only in the 20th century, in the wake of the First World War.”[1] Damit sind wir wieder bei unserem Thema: der tiefsitzenden Unsicherheit eines Regimes, das seit 1932 seine Alleinherrscher aus einem Vater und sechs seiner Söhnen rekrutiert hat und sich nur durch die religiös motivierte Unterdrückung von Menschenrechten an der Macht hält. In den Negativlisten von Open Doors, Amnesty International, Reporter ohne Grenzen rangiert Saudi-Arabien immer ziemlich nahe der untersten Position. Es starb ja vor kurzem Muhammed Ali, in den Nachrufen ruhmvoll erinnerter Boxer und enger Verbündeter Saudi-Arabiens (Haddsch 1972). Es scheint ihm, dem Afro-Amerikaner, wenig ausgemacht zu haben, dass in seiner geistigen Heimat die Sklaverei erst 1962 abgeschafft wurde.

 

 

 

Zum Schluss noch das ganze Bild, der erweiterte Blick auf den Besuch des Emirs von Katar in Dschidda. Ein Soldat und sieben staatstragende Herren, davon zwei nur in effigie, aber weil größer irgendwie noch präsenter. Fünf Beobachtungen, was das textile Regime angeht, die Textrin, wie Gottfried Semper so etwas nannte, vielleicht übersetzbar mit: doktrinäre Textilität. Das Zelt ersetzt der Beduine durch Stoffwände und buhlerische Draperien. Die oben aufgestellte Zuordnung von weißer und rotweißkarierter Ghutra zu Indoors bzw. Outdoors muss zurückgenommen werden, hier wird wohl nach Rang unterschieden: der Herr in Weiß ist der höchste der Kronprinzen, der heutige König Salman, die anderen sind nur normale Kronprinzen der Familie Saud. Vier identisch dunkelblaue und ein weißer Bisht, klare Rangunterscheidung, aber was steckt hinter der Identität der blauen Seidenübergewänder, wer kommt da wem entgegen? Der Emir trägt Socken in Sandalen, was wir nicht gutheißen, ganz im Gegensatz zu diesem gloriosem Teppich. Ihn sollte man nicht so einfach als Abbild des nahöstlichen Wirrwarrs interpretieren, das ist ein Teppich, der ein geradezu  ozeanisches Gefühl auslöst - man stelle sich nur vor, der junge Proust wäre auf diesem Teppich groß geworden! Dieses Teppichmeer ist kein „Perser“ (Iran gleich Erzfeind) oder irgendein anderer orientalischer Teppichtypus. Er ist zuallererst Auslegeware und markiert damit den Übergang des wandernden Beduinen in den ortsfesten Palast. Ich bin mir weiterhin sicher, dass nur die Franzosen so etwas herstellen können. Dann wäre erwiesen: „Wir“ haben die „Unterlagen“ geliefert, das Geld für das Öl und den Teppich und sein Muster für die Grundordnung, die märchenhafte. Frage ist nur, warum „sie“ „uns“ so wenig mögen?

 

 


[1] Faisal Devji, Against Muslim Unity, in: Aeon 12. Juli 2016: aeon.co/essays/the-idea-of-unifying-islam-is-a-recent-invention-and-a-bad-one

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