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Gründerseminar für Kunsthistoriker

Ein Gastbeitrag von Annegret Fischer

Das Gründerseminar in Bonn Ende Oktober nehme ich zum Anlass, eine Initiative des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker für Freiberufler und Gründer vorzustellen.
Aus besonderem Interesse an einem bestimmten Vortrag von Frau Dr. Barbara Polaczek bin ich als Existenzgründerin 2013 zum Kunsthistorikertag gereist. Dort wurde Barbara Polaczek dann zur Vertreterin des VDK für die große Gruppe der freiberuflichen Kunsthistoriker gewählt. Seitdem nutze ich diesen Kontakt kontinuierlich und rege.

Wer als Selbständiger überleben will, muss eine wesentliche Voraussetzung erfüllen. BarbaraPolaczek benannte sie in Bonn: networking, networking, networking. Der Verband erleichtert diese Lebensgrundlage mit seiner Initiative. Das Gründerseminar am 23./24. Oktober in Bonn wurde von Barbara Polaczek (text-inhalt-form.de) zusammen Prof. Dr. Holger Simon, Kunsthistoriker undUnternehmer (pausanio.com; pausanio-akademie.de) geleitet und war als Basisveranstaltung für Interessenten und Gründer angeboten. Als Gründerin seit 2011 war dieses fachspezifische Treffenfür mich wegen der Kontakte noch wertvoller als Netzwerkertreffen ähnlicher oder anderer Initiativen (kultur-kreativ-wirtschaft.de; guide-muenchen.de). Sowohl in Greifswald 2013 wie auch diesmal in Bonn konnte ich gezielt meiner Spezies auf einem unspezifischen Berufsweg begegnen. Vermutlich stelle nicht nur ich mir die Frage, wie es dazu kommt, dass Kunsthistoriker  unternehmerisch werden? Ein Buch von Alexander Osterwalder wurde auf dem Gründerseminar in Bonn empfohlen und trägt den Titel "Business Model Generation. Ein Handbuch für Visionäre,Spielveränderer und Herausforderer". Wer sich fürs Kunstgeschichtsstudium entscheidet, definiert sich wohl kaum so.

Welche Persönlichkeiten trafen sich da also in Bonn? Diese Frage interessierte mich bei derAnreise; abgesehen davon, dass ich mich auf das Wiedersehen bestimmter Gesichter freute. Holger Simon beantwortete die Frage, aus welcher Motivation heraus gegründet wird, mit einer statistischen Graphik. Daraus ging hervor, dass hinter einer Gründung in der BRD eher die Angst vor Arbeitslosigkeit steht, wohingegen im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" den Ausschlagfür eine Gründung eine gute Idee gibt. Die Teilnehmer des Bonner Seminars selbst äußerten verschiedene Beweggründe wie Orientierung oder generelles Interesse an dieser Berufsform,Wunsch nach Veränderung (ggf. sogar initiativ nach jahrelangem festen Arbeitsplatz), bestehende oder drohende Arbeitslosigkeit, schließlich eine besondere Möglichkeit (z. B. eine bestimmte"location"). Bevorzugt wurde eine Kombination aus Festanstellung und Selbständigkeit angegeben. Im Verlauf des Seminars wurde deutlich, dass einige bereits Erfahrung mitbringen. Insgesamt machte die Vorstellungsrunde einen experimentellen Eindruck - bis auf die Seminarleiter.

Aufschlussreich wurde das Seminar am zweiten Tag an der Stelle, wo in konkreten Fallbeispielenvon Teilnehmerteams ca. fünf oder sechs Geschäftsideen im Plenum vorgestellt und erörtert wurden. Spätestens hier überzeugten beide Seminarleiter als Profis mit gezielten Fragen oderAnregungen an die "Gründer". Ergänzt wurden diese Einschätzungen durch sinnvolleÜberlegungen der weiteren Teilnehmer. Weder eine fachkundige Stellungnahme (ehemals bei Gründungszuschuss durch die Arbeitsagenturen) noch fachfremde Unternehmensberater können aufwiegen, was Insider hier beisteuern. Allein für diesen Seminarteil lohnte sich der Weg nach Bonn. Den einen mag er vielleicht aus seinen Träumen gerissen, andere zum Start ermutigt haben.

Bei der Kommunikation der Geschäftsidee ist für Geisteswissenschaftler wesentlich, dass sie etwas Unsichtbares verkaufen, also kein Produkt im eigentlich Sinn. Vielfach ist die Rede von Werten. Wie überzeuge ich nun Interessenten bis Kunden von ihrem Nutzen bei Kauf meiner Idee? Welche Zielgruppe gibt es für eine bestimmte Idee? Und wie beschreibe ich prägnant, was ich da mache bzw. wie ich es mache oder was ist mein Alleinstellungsmerkmal, also warum bin gerade ich die
Richtige? Im Seminar wurden Gründungsideen mit Begriffen wie „Schlüsselaktivitäten“, „Werteangebote“, „Kundenbeziehungen“, „Einnahmequellen“ strukturiert (s. Business Model Canvas, Quelle: businessmodelgeneration.com). Ein derartiges Modell hilft zusätzlich, seine Vision so auszuarbeiten, dass sie für den Markteintritt reif wird. Als großes Plakat haben die Teilnehmer das Modell mitbekommen und damit immerhin schon mal was in der Tasche.

Abschließend melde ich zurück, dass ich die Vorstellung der Ideen im Plenum besonders hilfreich fand. Hier würde ich mir wünschen, dass derartige Seminarelemente mehr Raum bekommen und vielleicht sogar im Vorfeld des Seminars schon kommuniziert sind, sodass daran gemeinsam noch konkreter und konstruktiver auch von Seiten der Jungunternehmer gearbeitet werden kann. Hier
wäre vielleicht auch ein selbst initiierter „Stammtisch“ oder eine eigene Arbeitsgruppe sinnvoll. Der ganze betriebswirtschaftliche Teil braucht wohl – zumindest bei mir – besondere Aufmerksamkeit. Wie messe ich die Ergebnisse meiner Idee. Oder vorher: wie formuliere ich Ziele und zwar realistische? Wann kann ich damit rechnen, dass aus meinen Investitionen ein Gewinn erwächst.
Wie kalkuliere und vor allem wie verhandle ich meine Leistung? Wann kann ich sagen, dass ich erfolgreich bin oder lieber einpacke? Wann werde ich vom Visionär zum Mitspieler? Wodurch verändere ich die Spielregeln (um in Alexander Osterwalds Sprache zu bleiben)? Wie gehe ich damit um, als Herausforderer wahrgenommen zu werden, ohne an dieser Herausforderung zu zerbrechen (Stichworte: Ausdauer, Wirtschaftswachstum, „selbst und ständig“ pp.)? Brauche ich Zusatzqualifikationen, z. B. über die IHK? Welche Möglichkeiten habe ich bei oder statt der Steuer. Gründe ich eine GbR und wenn ja mit wem bzw. woher rekrutiere ich Mitgesellschafter? Wie sichere ich mein unternehmerisches Risiko ab? Diese und weitere Fragen gehen mir auch nach dem Seminar durch den Kopf. Gerne würde ich sie mit Kollegen weiterhin und regelmäßig bearbeiten.

Die Zusammenkunft verschiedener Lebensentwürfe, Berufswege, Persönlichkeiten und Potentiale beeindruckte mich und weckte meine Zuversicht in Reichtümer der besonderen Art. Der anerkennende wie auch respektvolle Umgang der Teilnehmer widersprach jeglicher Erfahrung von Konkurrenzkampf, der im Kulturbereich gelegentlich ausbricht. Im Kanon mit Barbara Polaczeks Realitätssinn wickelte Holger Simon den Leitfaden des zweitägigen Seminars derart inspiriert ab, dass ich zunehmend sowohl ein Bewusstsein wie auch Verantwortungsgefühl entwickle darüber und dafür, dass mein Weg vom Wagnis zum Unternehmen wachsen kann, dass meine Freiberuflichkeit keine Notlösung ist, sondern eine Chance, die gefördert wird und mit der ich wirken kann.

Mit der Initiative des VDK wird eine Berufsform ernst genommen und die Menschen, deren Ideen, Entscheidungen oder Fragen dahinter auch. Die Initiative des VDK bestärkt mich darin, dass Geisteswissenschaftler auch unternehmerische Denker sein können, ein Berufsstand im Wandel ist, individuelle Berufswege möglich sind und sich Freiberufler als Wirtschaftsfaktor etablieren können.
Darum: herzlichen Dank dem Verband und den Veranstaltern sowie allen Netzwerkern/Seminarteilnehmern für diese wichtige Begegnung in Bonn!

Mit der Bekanntgabe folgender Termine freue ich mich auf die Treffen im nächsten Jahr:

15./16. April 2016:
Gründerseminar Grundlagen / Business Model Canvas - max 20-25 Teilnehmer 280/210 EUR (Verbandsmitglieder/Nichtmitglieder)

22./23. April 2016:
Gründerseminar Fortgeschritten / Eigenes Geschäftsmodell schärfen - max. 7-10 TeilnehmerInnen 580/510 EUR

21./22. Oktober 2016:
Gründerseminar Grundlagen / Business Model Canvas - max 20-25
Teilnehmer 280/210 EUR

28./29. Oktober 2016:
Gründerseminar Fortgeschritten / Eigenes Geschäftsmodell schärfen - max. 7-10 TeilnehmerInnen 580/510 EUR

5 Kommentar(e)

  • Verband Deutscher Kunsthistoriker e.V. (BP)
    15.12.2015 12:52
    ..., aber ...

    ... die richtig dargestellten Probleme des Arbeitsmarktes sind eine andere Baustelle. Um die kümmert sich der Verband Deutscher Kunsthistoriker e.V. separat, beispielsweise öffentlich durch unsere Aktivitäten im Deutschen Kulturrat oder hinter den Kulissen, wenn manche Stellenanzeigen z.B. nicht geschaltet werden können, weil sie eindeutig scheinselbständig sind (eben weil der Träger Anstellungen sparen möchte) oder fast sittenwidrig schlecht eingestuft werden. Da versuchen wir in der Regel, die Träger aufzuklären und auf sie einzuwirken.
    Abgesehen davon riefen wir das Gründerseminar ins Leben, weil wir durch Beratungsgespräche etc. einen gestiegenen Bedarf feststellten. Wir wollen Gründern nicht nur das Entwicklen einer tollten Geschäftsidee vermitteln, sondern auch realsitisches Kalkulieren (u.A.) - damit nämlich niemand mehr für 8 Euro die Stunde arbeitet. Dafür brauchen wir auch Solidarität untereinander und müssen stetig am Selbstverständnis als Freiberufler arbeiten.

  • Isa Bickmann
    14.12.2015 18:23
    Begrüßenswert, aber ...

    Danke für den Beitrag. Es ist sehr zu begrüßen, dass inzwischen so viele Hilfestellungen für Starter in die Freiberuflichkeit geboten werden. Dennoch sollte aufmerksam beobachtet werden, wohin der Zug rollt. Wenn aus ursprünglich versicherungspflichtigen Stellen schlecht bezahlte Werkverträge oder temporäre Aufträge werden, dann leistet die breite Verfügbarkeit und Not hochqualifizierter Auftragsuchender diesem beginnenden Prozess noch Vorschub. Es kommt ja vor, dass für 8 Euro und weniger die Stunde gearbeitet wird. Brutto wohlgemerkt. Das betrifft sicher weniger die mit einer guten Geschäftsidee als die vielen, vielen Redner, Schreiber und Vermittler.

    • Holger Simon
      19.12.2015 15:10
      Gründen meint auch sozialversicherungspflichtige Stellen schaffen ...

      Mit den Gründerseminaren verfolgen wir zwei Ziele: Unterstützung der Gründer auf dem Weg in Ihre Selbständigkeit und Freiberuflichkeit und Stärkung der wirtschaftlichen Kompetenz in den Museen und Kultureinrichtungen. Beides wird von den Universitäten sträflich vernachlässigt, obwohl Transfer neben Forschung und Lehre die dritte Säule der Universitäten ist. Das führt dazu, dass kulturspezifische Geschäftsmodell in Deutschland sehr rar sind und kulturunwissende Betriebswirte in den Verwaltungen kreative wirtschaftliche Ideen verhindern. Und hier geht es nicht um prekäre Stellen. Alleine in meinen Gründungen, wie z.B. Pausanio und Prometheus sind 16 Personen in sozialversicherungspflichtigen Stellen und keiner davon unter 8,50 EUR. Das sind nicht viele, aber ein erster Beginn.

  • Hubertus Kohle
    08.12.2015 19:45
    Tlle Initiative

    Ich finde, der Verband tut gut daran, derartige Veranstaltungen verstärkt zu fördern. Es hilft ja nichts: Kultur wird in Zukunft verstärkt auch privatwirtschaftlich organisiert.

    • Holger Simon
      19.12.2015 15:34
      Kultur ist Wirtschaft ...

      Lieber Hubertus, ja, wir brauchen hier auch noch viel mehr Aktive. Und zwar nicht weil Kultur erst in Zukunft mehr privatwirtschaftlich organisiert ist, sondern wir die Kulturwirtschaft einer mit der stärksten Wirtschaftssektoren in Deutschland ist. Ein Grossteil der Kultur (Musik, Buch, Medien, Software etc.) ist wirtschaftlich organisiert.
      Kultur ist Wirtschaft! Nur der deutsche Idealismus hat hier eine folgenschwere Trennung zwischen Kultur und Geld erzeugt. Das führt zu einem unglaublichen Subventionskultur in der sogenannte Hochkultur. Ich bin fest überzeugt, dass man diese Subventionen vervielfältigen könnte, wenn man die für Kultur typischen Bereiche - stattliche Unterstützung, zivilgesellschaftliches Engagement und unternehmerisches Handeln - zu Geschäftsmodellen zusammenbinden würde.

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