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Radikale Übergriffe – und ein schmunzelnder Hecker

Charles Vernier (1813-1892) Le charivari, 17.1848, Avril (No. 92-121), S. 423. L'Empereur d'Autriche et le roi de prusse se disputant l'Allemagne. La République - Battez vous mes ġaillards...vous ne l‘aurez ni l'un ni l'autre!...

Nur wenige Wochen nach Ausbruch der Februarrevolte in Paris im Jahr 1848 lenkte der in der Seine-Metropole tätige Künstler Charles Vernier (1813-1892) geschickt den Blick ins benachbarte Ausland. Statt sich mit der Eskalation der Situation rund um die Flucht Louis-Philippes zu befassen und sich mit den Zensurbehörden herumzuschlagen, wählte Vernier einen gedanklichen Umweg. Er entschied sich für die Weiterführung der Revolution auf deutschem Terrain mit „gemischtem“ Personal.

Da streiten sich König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und Kaiser Ferdinand von Österreich um die Vorherrschaft im Deutschen Bund. Friedrich Wilhelm hat den Fehdehandschuh geworfen und greift seinen Widersacher tätlich an. Dieser versucht sich eher hilflos zu wehren. Schließlich ist sein wichtigster Helfer und Staatskanzler Fürst von Metternich nicht zur Steller. Dieser musste am 13. März 1848 abtreten und floh nach London, wo er auf Louis-Philippe traf.

Im Hintergrund warten Friedrich Hecker und die mit der französischen Jakobinermütze ausgestattete Personifikation der Freiheit auf den Ausgang des sinnlosen Kampfes. Beide wissen bereits, dass weder der eine noch der andere über das geeinigte Deutschland herrschen wird – es soll die auf freiheitlichen Gedanken basierte Republik sein. Dass dies auch in Frankreich Ziel der Vertreibung von Louis-Philippe nach London war, spart die Karikatur aus.

Die Karikatur erschien am 15. April 1848, also eine Woche vor der eilig anberaumten Wahl zur Nationalversammlung, aus der die zweite Republik mit neuen Volksvertretern hervorgehen sollte. Umso erstaunlicher ist die Tagesaktualität, mit der Vernier die Nachrichten aus Deutschland aufnimmt und treffsicher in eine Karikatur überführt. Denn: Friedrich Hecker (1811-1881) nahm die Februarrevolution in Frankreich zum Anlass, am 12. März 1848 eine Petition an den Badischen Landtag einzureichen. Eine wirtschaftliche Krise, die zu einer erstmaligen staatlichen Unterstützung von drei in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Fabriken führte, brachte die unter der Armut leidende Bevölkerung auf die Seite der radikalen Demokraten. Aus Enttäuschung, im Parlament nichts ausrichten zu können, beschloss Friedrich Hecker, am 13. April von Konstanz aus einen revolutionären aufstand anzuzetteln und von dort aus in Richtung Frankfurt zu marschieren. Bei Kandern im Südschwarzwald endete der Marsch bereits wieder, da die Bundestruppen eingegriffen hatten.

Vernier war also bestens informiert und Hecker sehr früh auch in Frankreich ein Begriff. Das ist erstaunlich, hatten doch französische wie auch deutsche Republikaner schon mit der eigenen Situation zu kämpfen. Wie kommt es also, dass sie auch noch die Auseinandersetzungen diesseits und jenseits der Rheingrenze in Karikaturen kommentierten? Sie mussten über Informationen von großer Aktualität verfügt haben, diese interpretieren und in Bildern umsetzen. Darin ist die französische Karikatur des „Charivari“ unter Charles Philipon unübertroffen in jener Zeit. Es stimmt keineswegs, die Zeitschrift hätte nach 1835 (Attentat auf Louis-Philippe) an Biss verloren. Die Überzahl an Karikaturen, die ab 1835 in der Zeitschrift „Le Charivari“ erschien, befasst sich mit sozialen Typen wie „Ratapoil“, „Robert Macaire“ oder „Joseph Prudhomme“. Das war ein hervorragendes Ablenkungsmanöver für die Zensoren, die dann nicht mehr so genau hinschauten.

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