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Blick in die Stuttgarter Ausstellung – Teil 4: Hinter Gittern
Wenn schon nicht alles publiziert werden durfte, was zum Widerspruch anregte, reizte dies Karikaturisten umso mehr, Grenzen auszuloten und sie auch beherzt zu überschreiten. Es gab die Idee zu verteidigen, ganz gleich, welche Folgen dies nach sich zog. Wählen heute selbsternannte Zensoren so drastische Mittel wie Morddrohungen, um die Deutungshoheit über Satire zu wahren, führten die amtlich bestellten Gutachter des frühen 19. Jahrhunderts missliebige Karikaturisten direkt der Justiz zu.
So geschah dies auch, als Honoré Daumier gleich zu Beginn seiner Karikaturistenlaufbahn im Dezember 1831 in der Zeitschrift „La Caricature“ eine Romanfigur von François Rabelais umwidmete und in der Zeichnung „Gargantua“ den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllte. Die Karikatur durfte nicht veröffentlicht werden – man behalf sich mit einer rein verbalen Schilderung in einer später herausgegebenen Ausgabe der Zeitschrift. In der veröffentlichten Gerichtsakte vom 23. Februar 1832 wird die betreffende Karikatur genau beschrieben: „…sie stellt einen Mann dar, in dessen riesigem Mund der obere Teil einer bis zur Erde hinabreichenden Leiter lehnt. Auf allen Sprossen stehen Diener, die damit beschäftigt sind, in Gargantuas Schlund Säcke voller Taler zu karren, die von einer zerlumpten, ausgemergelten Menschenmenge zu seinen Füßen herbeigeschleppt werden. Rund um ihn sieht man andere Personen, die sich gierig auf alles stürzen, das [sic!] von den Karren unter die Leiter fällt. Schließlich drängt sich eine große Zahl feingekleideter Leute um Gargantuas Sessel und applaudiert begeistert.“ (zitiert nach Roger Passeron: Honoré Daumier und seine Zeit. Fribourg 1979, S. 68)
Neben Daumier als Urheber wurden auch Aubert als Verleger und Delaporte als Drucker der Karikatur zu je sechs Monaten Gefängnis und 500 Francs Strafe verurteilt. Treffender als der Gerichtsschreiber hätte man die Darstellung kaum schildern können, inklusive vielsagender und wertender Adjektive, die sich in die Beschreibung eingeschlichen haben. Zwar mussten die drei Verurteilten ihre Haftstrafe nicht antreten, dennoch gelangte Daumier im darauf folgenden Jahr im Gefängnis von Sainte-Pélagie in Paris. Die Vermutung, eine solch drastische Drohgebärde würde die Satiriker wieder auf den rechten Weg bringen können, war reichlich naiv. Sie spornte eher zu neuen Herausforderungen an.
Auslöser der Verhaftung im August 1832 war eine neuerliche politische Karikatur, die zwar nicht den König Louis-Philippe in der Darstellung beleidigte, jedoch dessen Handlanger, die bei der Einschränkung von freien Meinungsäußerungen ganze Arbeit leisteten. Die farbig gestaltete Karikatur „Les Blanchisseurs – die Weißwäscher“ zeigt den Oberstaatsanwalt Jean Persil, den Kriegsminister Nicolas Jean-de-Dieu Soult und den Innenminister Antoine, comte d'Argout beim Versuch, die Fahne der Trikolore reinzuwaschen. Die kommentierende Bildunterschrift in Kombination mit den dargestellten Personen hielt den Zensurbestimmungen nicht stand: „Das Blau geht zwar raus, aber dieses teuflische Rot klebt wie Blut“. Die Freiheit – symbolisiert durch die Farbe Blau – war demgemäß bereits weggespült, die Farbe Weiß, stellvertretend für die Gleichheit, nur zum Schein dominierend, wobei die Farbe Rot als brüderliche Liebe sowohl mit dem Teufel als auch mit dem Blut gleichgesetzt wurde. Die Farbe Weiß war jedoch mehrdeutig, nahmen auch die Parteigänger der Royalisten das Blütenweiße für sich in Anspruch. Jene Protagonisten, die für blutig niedergeschlagene Aufstände (u.a. im November 1831 in Lyon) und Repressionen verantwortlich waren, konnten weder die republikanische Gesinnung aus den Köpfen bannen noch eine weiße Unschuld heucheln. An ihnen klebte das rote Blut.
Nach 72 Tagen Gefängnisaufenthalt in Sainte-Pélagie und 77 Tagen erleichterten Haftbedingungen kam Daumier wieder frei. Der Verleger Charles Philipon hatte, während er zeitgleich seine nunmehr dritte Haftstrafe absaß, die Idee zu einer neuen Karikaturzeitschrift geboren. Die Zeitschrift erschien mit ersten Exemplaren noch vom Gefängnis aus dirigiert und hatte den Anspruch, jeden Tag mit neuen Karikaturen aufzuwarten. „Le Charivari“ hatte zwar politisch an Biss bald eingebüßt wegen der immer strenger werdenden Zensurbestimmungen, konnte jedoch im weiteren Verlauf der Publikationsgeschichte ein Zeitbild vermitteln von einer Gesellschaft, die versuchte, sich mit dem Gegebenheiten zu arrangieren, jedenfalls zunächst – bis zur nächsten Revolution.
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1 Kommentar(e)
Ein Glück---
--- das wir heute in einer Welt Leben, in der Gutachter nicht mehr ausschließlich dem Staate dienen, sondern von jedermann angeheuert werden können...und noch viel besser ist natürlich die politische Freiheit die wir heute (zumindest Europaweit) genießen dürfen. Aber das es damals schon Gutachter gab ist das eigentlich überraschende für mich. Hatte eigentlich damit gerechnet, dass Gutachter eine neuerliche Erfindung der neu-modernen kapitalistischen Gesellschaft sind in der wir leben. Ein Glück das heutige Gutachter für Ihre Kunden und nicht für Ihre Majestät arbeiten :O !! Interessanter Beitrag, danke dafür :)
Beste Grüße
Roland