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Blick in die Stuttgarter Ausstellung – Teil 2: Was gibt’s Neues?

Bissige Satire – besonders jene mit politischem Anspruch – muss sitzen. Schnell, originell und treffend soll sie die Tagespolitik kommentieren. Wenn in täglich erscheinenden Zeitungen Cartoons die Frühstückslektüre aufheitern, sind wir zugleich tendenziös informiert. Ein erneuter Blick in die Stuttgarter Ausstellung fördert Karikaturen zu Tage, die sich mit den Folgen der Einschränkung der Meinungsfreiheit auseinandersetzten und dabei aktuelle Bezüge herzustellen vermochten. Wie Kurator PD Dr. Hans-Martin Kaulbach in seiner Einführung hervorhob, liegt die besondere Qualität aktueller Darstellungen darin, dass sie über das Ereignis hinaus ihre Aussagekraft behaupten können – und damit auch für uns heute noch verständlich bleiben. Denn Aktualität und spätere Rezeption schließen einander oft genug aus: Dargestellte Personen sind nach gewisser Zeit nicht mehr zu identifizieren oder die in den Karikaturen angesprochenen Ereignisse haben keine historische Aufarbeitung erfahren, weil ihre Bedeutung von extrem kurzer Dauer war. Karikaturisten wird oft nachgesagt, sie seien die wahren Analysten der Gegenwart. Sie spürten auf, was Politik und Gesellschaft gerade bewegt und stellten dies in ihren spitzfindigen Zeichnungen vor. Dabei stehen sie in der Tradition der gedruckten bunten Bilderbögen, die dem einst leseunkundigen Volk anschaulich vermitteln sollten, was vorgefallen war. Die großformatigen, meist arbeitsteilig aus später kolorierten Holzschnitten entstandenen Bilderbögen, stellten recht unreflektiert eine vermeintlich objektive Wiedergabe von Ereignissen vor. Das geschah bewusst unter Verzicht auf künstlerische Ansprüche. Es ging alleine um die bildhafte Vermittlung von Nachrichten. Dagegen brachten die spitzen Federn oder Lithokreiden der Karikaturisten Missstände subtil auf den Punkt.

Infolge der am 7. August 1830 erfolgten Thronbesteigung Louis-Philippes waren nicht nur die an die Julirevolution geknüpften Hoffnungen begraben worden – auch die Freiheit litt, wie eine im Januar 1831 in der Zeitschrift „La Caricature“ publizierte Karikatur von Alexandre-Gabriel Decamps (1803-1860) dies zeigt. Den aktuellen politischen Bezug paarte Decamps mit (kunst)historischen Bezügen. So erinnert die Situation am Pranger an die „Ecce Homo“-Darstellungen aus der christlichen Ikonografie. Bei allem Detailreichtum, den die Lithografie zu bieten hat, insbesondere mit ausführlichem Hinweis auf die gefangen gehaltene Françoise Liberté, ist nicht auszuschließen, dass auch sämtliche Herren, die sich in ihrer unmittelbaren Umgebung aufhalten, für damalige Rezipienten identifizierbar waren. Diese Zuschreibungen sind heute nur noch auf Basis von Vermutungen möglich. 

Anders verhält es sich mit dem Blatt, das im April 1850 in der Zeitschrift „Le Charivari“ erschien. Honoré Daumier (1808-1879) stellt an der Haartolle deutlich erkennbar den ehemaligen Verleger und Journalisten Adolphe Thiers (1797-1877) dar. Der einst glühende Verehrer Napoleon Bonapartes hatte 1830 Louis-Philippe auf den Thron geholfen und sich nach der Februarrevolution 1848 auf die konservative Seite geschlagen. Er verschaffte somit der katholischen Kirche den Zugang zum Bildungswesen, das zuvor im Staatsauftrag gelegen hatte. Zudem bereitete er ein Gesetz vor, das im Juli 1850 neue Zensurbestimmungen einführen sollte – Daumier spielt darauf mit dem dicken Holzknüppel an. Hohe Stempelsteuern, Kautionen und eine Vorzensur schränkten erneut die freie Meinungsäußerung ein. Daumier schuf in dieser Karikatur ein hochbrisantes Blatt, das nicht nur den Protagonisten Thiers erkennen lässt. Er greift sogar dem Ereignis vor, das wenige Wochen später weitere Karikaturen ähnlichen Inhalts verhindern sollte. Die Lichtgestalt der Presse, repräsentiert durch eine allegorische Erscheinung, geht derweil noch beflissen ihrer Tätigkeit nach. Doch die finstere Gewalt in Gestalt des Verräters der eigenen Zunft nähert sich ihr auf leisen Sohlen. Geholfen hat die Karikatur nicht wirklich. Es kam, wie vorgesehen zur strikten Vorzensur, ein wesentlicher Wegbereiter für den nächsten Streich – den Staatsstreich des dritten Napoleons am 2. Dezember 1851. „Actualités“ – eine Rubrik, unter der in der Zeitschrift „Le Charivari“ zahlreiche Karikaturen erschienen – sind und waren eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits verlang(t)en sie eine rasche Reaktion auf Tagesereignisse, deren spontane Umsetzung in eine griffige und bissige Bildsprache, die über die Aktualität hinaus lesbar bleibt. Andererseits waren diese Äußerungen immer auch von der Zensur bedroht und konnten schnell vom reißerischen Tiger zum schnurrenden Hauskätzchen werden. Mit welchen Mitteln es den französischen Karikaturisten dennoch gelang, zumindest Krallen zu zeigen, wird hier demnächst stehen. À bientôt!

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