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Blick in eine Ausstellung: „Karikatur – Presse – Freiheit“ in der Staatsgalerie Stuttgart (bis 20. September 2015)

Dass eine spontane Entscheidung aus gegebenem Anlass kein Schnellschuss sein muss, beweist die oben erwähnte und im Gastbeitrag von PD Dr. Hans-Martin Kaulbach beschriebene Ausstellung, die am vergangenen Sonntag eröffnet wurde. Aus dem umfangreichen Bestand der Staatsgalerie wählten die Kuratoren mit Bedacht jene Karikaturen, die sich mit der französischen Situation rund um die Einschränkung der Meinungsfreiheit der Jahre 1830 bis 1870 befassen. Innerhalb dieses Zeitraums von 40 Jahren durchlitt Frankreich mehrere Umbruchphasen mit immer absurder scheinenden Pressegesetzen. Allen Bemühungen des Staates zum Trotz, die Oberhoheit über die Verbreitung von Wort und Bild zu halten, erlebte die Karikatur eine Zeit der Blüte – eine Herausforderung an jene Künstler, die sich der Zensur stellten, damit erfolgreich waren, wenn es auch bedeuteten konnte, dafür vor Gericht zu stehen oder gar im Gefängnis einzusitzen.

Erstaunlich offen und sehr direkt thematisierten Karikaturisten der frühen 1830er Jahre das Dilemma der Zensur mit selbstreflexiven Darstellungen. Sie entwickelten hierfür einfache Symbole, für jeden verständlich – auch für den Zensor, dem allerdings die Hände gebunden waren. Es gab zwar strikte Anweisungen hinsichtlich politischer Äußerungen, doch nicht, wie mit der Medienreflexion umzugehen sei. Das Medium Zeitschrift („Presse“) übte nun als Gegenstand („Presse“) genau jenen Druck aus, den es selbst erfuhr. Eine sehr frühe und noch detailliert ausgearbeitete Lithografie Honoré Daumiers thematisiert diesen Druck, von dem auch die Zeitschrift „La Caricature“ nicht verschont blieb. Der junge Drucker, der den Tiegel der Maschine betätigt, nimmt König Louis-Philippe persönlich in die Mangel. Seinen obligatorischen Schirm hat er verloren, sein Zylinder samt Kokarde droht im nächsten Augenblick zerquetscht zu werden. Einem so radikal-liberalen Blatt wie der Zeitung „Le National“ – die Kopfbedeckung des Arbeiters ist so bezeichnet – schwebte eine konstitutionelle Monarchie vor, die der Bürgerkönig nicht ausfüllte. So wandte sie sich gegen die strenger gewordenen Zensurbestimmungen, denen zu folge immer höhere Stempelsteuern an den Staat zu entrichten waren. Derweil sollte das Motiv der Presse in die Ikonografie der Karikatur eingehen und den Druck auf das Printgewerbe veranschaulichen.

Eine weitere scharfe Waffe der Zensur war die Schere. Sie symbolisierte den Einschnitt in die Freiheit. Mit ihrer Hilfe entstanden Lücken innerhalb der Vielfalt an Informationen. Durch den schnellen Schnitt waren Inhalte entfernt und Informationen nur noch fragmentarisch vorhanden. Zensoren als Schnitter versinnbildlichten den journalistischen Tod – damals wie heute. In der Ausstellung zeigt eine Anfang Januar 1831 gemeinschaftlich von Grandville und Forest geschaffene Lithografie aus der Zeitschrift „La Caricature“ die „Wiederauferstehung der Zensur“ nach der Julirevolution (1830). Wenn nach dem in der Unterzeile zitierten Lukas Evangelium der Heiland zu erwarten ist, der am dritten Tag nach seinem Tod das Grab verlassen hat, so tritt in dieser Karikatur Comte d’Argout (1782-1858), seinerzeit Minister für Handel, Öffentlichkeitsarbeit, Schöne Künste sowie für die Zensurbehörde an dessen Stelle. Noch schlummern die Wache schiebenden Schreiberlinge, gekennzeichnet durch die übergroßen Federn und scheinen die neue Gefahr nicht zu erkennen. Der „Constituionnel“ hat es sich auf dem Ohrensessel besonders bequem gemacht, angetan mit der Schlafmütze und gut gefüllten Geldsäcken. Ihn plagen keine Existenzängste, wie auch „La France“ zwar unbequem am Boden kauert, doch hat der tief Schlafende den Beutel fest im Griff. Die republikanisch ausgerichtete Zeitung „La Tribune“ ist dagegen erwacht und im Begriff, den mit langen Krallen versehenen Fuß des Zensors zu greifen. In hellwacher Aufregung dagegen befindet sich ein Vertreter der Presse hinter dem geöffneten Sargdeckel. Da hier die Zuordnung fehlt, können wir davon ausgehen, dass die Zeitschrift „La Caricature“ sich selbst darstellte. Derweil schwebt der Comte mit der überdimensional großen Schere gen Himmel empor – auch hier ein Motiv das in Karikaturen ikonografisch verarbeitet wurde. Entzückt, entrückt schmiegt er sich an das Werkzeug, das in dieser leicht geöffneten Stellung an das Andreas-Kreuz erinnert. Der Comte gerät zum Märtyrer über die – verordnete und von ihm zensierte – Wahrheit, allerdings in teuflischer Gestalt, bleibt doch der zweite Fuß im Leichentuch verborgen. Es ist zu vermuten, dass dieser bocksbeinig zu Tage treten wird. So gerät diese frühe Karikatur, die den Auftakt zur Ausstellung wie auch zu einer weiteren Folge von Beiträgen bildet, zu einem Warnruf an die Wachsamkeit der Presse. Es sollte noch schlimmer kommen, doch darüber später mehr.

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