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Heidelberg talkte über Cranach

Dass Heidelberg der richtige Ort für die wissenschaftliche Disputation neuer Ideen ist, hat Cranachs Freund Martin Luther bei seinem öffentlichen Auftritt im April 1518 in der Artistenfakultät unweit der Heidelberger Universitätsbibliothek gezeigt.


Der erste Heidelberger cranach.talk am 22. und 23. September 2014 rückte die Möglichkeiten der Interaktion und des unmittelbaren wissenschaftlichen Diskurses im Internet in den Mittelpunkt. Trotz erstmaliger Veranstaltung fanden sich für die als Gesprächsrunde konzipierte Tagung mehr als 40 Teilnehmer aus ganz Deutschland und Frankreich in der Universitätsbibliothek Heidelberg ein. Am Ende zeigten sich die Teilnehmer mit den Referenten einig darüber, dass die für den Wissenschaftsbetrieb einmalige Chance besteht, erfolgreich den Schritt von der analogen zur digitalen Kunstgeschichte zu gehen, um den Erkenntnisgewinn deutlich zu beschleunigen.


Nils Büttner aus Stuttgart führte an beiden Tagen durch das Programm und moderierte die angeregten Diskussionen.


Als Gastgeberin eröffnete Maria Effinger die Gesprächsrunde. Mit einer Einführung in die Arbeit von arthistoricum.net und die darin angebotenen Themenportale wurde deutlich, welches Potenzial in der Kooperation mit cranach.net steckt.


Anschließend umriss Andreas Tacke aus Trier anhand von Diagrammen, die aus cranach.net generiert waren, anschaulich Cranachs Marktstrategien, mit denen dieser im Gegensatz zu vielen Malerkollegen auch während der Reformation ein durchaus einträgliches Auskommen fand. 


Michael Hofbauer und Peter Schmelzle aus Heidelberg führten online anhand unterschiedlicher Fallbeispiele in die Möglichkeiten von cranach.net ein und konnten so eindrucksvoll die Möglichkeiten des seit 2009 bestehenden „digitalen Instituts“ und der interaktiven Datenbank cranach.net demonstrieren. Dass entgegen tradierter Meinung das als Inbegriff reformatorischen Bildgutes gehandelte Thema "Gesetz und Gnade" quantitativ gesehen eine eher marginale Rolle im Oeuvre Cranachs spielte, war nur eine der Neuheiten, die Michael Hofbauer mithilfe der Datenbank offerierte.


Den zweiten Tag leitete der Heidelberger Kunstrechtsexperte Nicolai B. Kemle mit einem Vortrag über die Rechtesituation bei Fotografien von Kunstwerken ein. Die rege Beteiligung des Auditoriums mit zahlreichen Fragen zeigte deutlich, welche Bedeutung dem Thema Schutzrechte sowohl in den Kunstwissenschaften als auch in der Praxis heute zukommt.


Die vergessenen Frauen des Frankfurter Sippenaltars spielten im Referat der Bonner Kunsthistorikerin Mila Horký die zentrale Rolle. Mit ihrer interessanten These zur dynastischen Familienpolitik der Ernestiner und der Identifizierung der abgebildeten Frauen anhand ihrer Attribute konnte sie eine lebhafte Diskussionsrunde einläuten.


Mit einem ebenso spannenden wie vielversprechenden Forschungsansatz machte Anja Ottilie Ilg aus Trier die Zuhörerschaft vertraut. Anhand von Literaturquellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert konnte sie eingefahrene Denkmuster in Bezug auf Cranach d. Ä. kritisch in Frage stellen. Mithilfe von cranach.net und der umfangreichen digitalen Cranach-Bibliographie von arthistoricum.net sind hier völlig neue wissenschaftsgeschichtliche Perspektiven möglich.


Claus Grimm aus München wies mit einer eindrucksvollen Gegenüberstellung übereinstimmender Bilddetails auf einen wichtige Aspekte bei der Werkstatt-Organisation hin und zeigte sich überzeugt davon, dass die vorgestellte Datenbanklösung bislang ungeahnte Möglichkeiten zur Bildanalyse bereithalte. 


„Wer under euch an sund ist der werffe den ersten stein auff si“, 
so überschrieb Katharina Frank aus Stuttgart ihr Referat, das Teil ihrer Dissertation über die Ehebrecherin vor Christus und andere Motivgruppen aus der Cranach-Werkstatt ist. Wie bei Anja Ottilie Ilg so ermöglicht die Nutzung von cranach.net  auch für die in Serien hergestellten Motivgruppen grundlegend neue Recherchemöglichkeiten. 


Inwiefern das Motiv der "Charitas" ein Wittenberger Thema ist, erläuterte Michael Wiemers aus Halle/Wittenberg unter Auswertung des neuen Werkverzeichnisses CORPUS CRANACH, das auf cranach.net zur Verfügung gestellt wird und zeigte dabei Bilddetails auf, die der Wissenschaft bislang entgangen waren.


Am Ende stand für alle Teilnehmer fest: Es muss ein 2. Heidelberger cranach.talk im kommenden Jahr folgen. 

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