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KZ – Kampf – Kunst Boris Lurie: No!Art

Wenn am 1. Oktober die große Kölner Ausstellung 'Ludwig goes Pop' eröffnet, wird mancher vielleicht schon die Gelegenheit genutzt haben, die beeindruckende Übersicht von Werken des 2008 verstorbenen Amerikaners Boris Lurie im ca. einem Kilometer entfernten ELDE-Haus zu besuchen: der 1924 in Leningrad Geborene gilt als Begründer der No!Art-Bewegung am Ende der 50er Jahre. Um ihn als spirtitus rector formierte sich eine offene Künstlergemeinschaft – zur der zeitweise auch Wolf Vostell gehörte – als Gegenströmung zu aus ihrer Sicht politisch indifferenten Pop Art. "Nein heißt erst einmal, nicht alles anzunehmen, was dir offeriert wird und dann auch ein Ausdruck der Unzufriedenheit" (Lurie). 

Der ungewöhnliche Ort für eine monografische Kunst-Ausstellung ist Programm: Er verweist auf Luries Schicksal und seinen biografischen Hintergrund bzw. auf einen wesentlichen Impuls für seine künstlerischen Interpretationen. Das NS-Dokumentationszentrum im ELDE-Haus hat in Zusammenarbeit mit der in New York beheimateten Boris Lurie Art Foundation (BLAF - www.borislurieart.org) 10 Themenkomplexe unterteilte, überzeugende Schau konzipiert, die gleichermaßen sowohl im Medium der Zeichnung, der Malerei, der Skulptur wie der Collage den Schrecken menschlicher Abgründe nicht nur angesichts des Holocausts in seltener Beklemmung spürbar macht.

Im November 1941 kam bei einem Massaker im Großen Ghetto von Riga nahezu Luries ganze Familie und seine Jugendliebe um. 1946 emigrierte er mit seinem überlebenden Vater nach Amerika und verarbeitete schon bald sein Trauma zunächst in den "War Series": mal zart anrührende, mal in expressiv hartem Dukus gehaltene Pastell- und Tuschezeichnungen sowie Gouachen, die das Leben und Sterben im Ghetto zum Gegenstand haben. Schreiend bunt, mit Buchstaben, Zeichen (wie dem Judenstern) und Zetteln überklebte Koffer (der Deportierten) sowie Assemblagen markieren einen anderen Schwerpunkt seiner Ausdrucksformen.

Der Einfluß der Pariser Affichisten, vorallem aber die intensive Auseinandersetzung mit der Pop Art, zeigt sich in Luries Hinwendung zu deren wesentlichem Stilmittel: dem Ende der 50er Jahre aufkommenden Collage und der Formulierung einer eigenen, überaus bemerkenswerten Ikonografie. Dabei ging es nicht nur darum, Pop Art, aus Sicht der propagierten No!Art, als scheinheilige Konsumkritik zu entlarven, waren die Töne der Gruppierung auch nicht als Einstimmung in den Chor der typischen politischen Aktionisten jener Tage zu verstehen: Es ging darum, mit damals populären Mitteln, die latente Verquickung von Politik und Pornographie, von Macht und Lust ins Bild zu setzen. Im Sinne Luries bedeutet das: die Katastrophe der Shoa mit 'Pin ups' in eins zu denken und zu betrachten. Das ist die Provokation, die bis heute anscheinend nichts von ihrer Wirkmächtigkeit eingebüßt hat.

Schon in frühen Arbeiten, wie "Amerique / Lumumba is dead...", die sich auf die mutmaßliche, durch westliche Mächte erfolgte Ermordung des 1. gewählten Ministerpräsidenten des Kongo bezieht, bildet das Hakenkreuz (immer wiederkehrendes Symbol des Teuflischen) gleichsam das Zentrum eines Strudels lasziv dahin gestreckter Nudes; oder in den sogenannten "Saturation paintings", einem weiteren Bildkomplex in der Kölner Ausstellung, wo sich etwa in "Buchenwald" von 1963 auf einem zugekleisterten Bildträger, in vergilbten Fotografien befreite KZ-Häftlinge und Pin Ups nebeneinander befinden. Viele seiner, Luries, persönlicher Erinnerungen mögen in die unterste Schicht dieses Palimpsests abgesunken sein – in die der vielfach verdrängten kollektiven Erinnerung ist sie es ja zumeist - doch manche Assoziationen und Bilder bleiben, wenn der Blick nur darauf gelenkt wird und sich nicht entzieht, erkennbar an der Oberfläche. 

Gegenwärtige Ereignisse sekundieren Lurie in seiner radikalen Sichtweise, stellt man aktuell mit religiösem Fanatismus verbrämte Macht(ausübung) und Lust gegenüber: So schrieb am 25.9.14 Peter von Becker über die sadistisch ausgelebten "Potenzfantasien" der ISIS-Terroristen im Berliner Tagesspiegel: "Anders als bei anderen Gewaltregimes wird nichts versteckt und verbrämt, sondern exhibitionistisch ausgestellt. Die ISler sind so die ersten 'porn warriors' des digitalen Zeitalters."

 

Boris Lurie hat zu Lebzeiten nicht resigniert angesichts seines Schicksal und all der Opfer der Shoa: in den verneinenden Statements seiner Kunst und deren Unterminierung 'angesagter' Strömungen wird dies deutlich. In Wort und Bild vermittelt sich sein Überleben aber auch als Kampfansage an das einstige und an all die potentiell wieder erstarkenden politische(n) Regime(s). Und doch bleiben natürlich bei aller formulierter Radikalität und Kunstmarktdiskonformität Widersprüchlichkeit nicht aus: zwar verzichtete Lurie zeitlebens darauf, seine Bilder zu verkaufen – eine der No!Art Parolen lautet: "No!Art ist gegen die Anhäufung von Kunst-Weltmarkt-Investment-Mode-Dekorationen. Solche Dekorationsspiele sind Schlafmittel für die Kultur. Sie sind gegen die 'Fantasie' im Dienste des Kunstmarktes" –, dennoch machte er sich das kapitalistische System effektiv zu Nutze, in dem er sehr erfolgreich an der Börse spekulierte. In einem seiner Gespräche (in Deutsch!) greift Lurie bisweilen auf die Maus als Metapher zurück: So spricht er einmal davon, dass er nie so ängstlich wie ein 'Mäuschen' gewesen sei, bemerkt an anderer Stelle dann jedoch selbstironisch: "Meine Sympathie ist mit der Maus, doch füttere ich die Katze". http://www.borislurie-derfilm.de/

 

P.S. Repräsentiert und dokumentiert von dem deutschen Künstler Dietmar Kirves lebt die No!Art-Bewegung übrigens bis heute fort und führt auf einer beeindruckend informativen website u.a. vor, dass sie die Vertreter der 'reinen Lehre' seien und nicht die "manipulative", angeblich nach Profit schielende, Luries Nachlass verwaltende BLAF:  

http://www.no-art.info/_news/info_de.html


Ausstellung im Kölner ELDE-Haus, bis 2. November, www.boris-lurie.de

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