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Digitale Kunstgeschichte. Plädoyer für eine Normalisierung IV

Fortsetzung des Züricher Vortrages

Wie gesagt: Die Dinge hängen doch alle eng zusammen, so dass mein letzter Punkt, die

"Archive und Sammlungen" direkt an die big data anschließt. Also

 

Motto: Wer sich digital verdoppelt, überlebt, wer nicht, wird abgeschafft.

Die genannten Institutionen haben es - im Gegensatz zu den Bibliotheken, die vielleicht nicht zufällig Vorreiter bei der Digitalisierung sind - im wesentlichen mit Originalen zu tun, also mit etwas für meinen Geschmack zuweilen ein wenig übertrieben fetischisierten Einzigartigen. Demgegenüber eignet der Reproduktion immer etwas Defizientes, ja fast Verräterisches, obwohl 98% unseres Arbeitsalltages auf dem Umgang mit Reproduktionen beruht. Dementsprechend schwer tun sich Archive und vor allem Museen mit dem Digitalen und dem Internet. Als ich dem seit kurzem für die Warburg-Ausgabe mitzuständigen Ulrich Pfisterer einmal die vorbildliche Brief-Edition von Vincent van Gogh zeigte, war er begeistert. Es gibt nichts Großartigeres und Funktionaleres als diese Edition auf einem großen Panorama-Bildschirm zu betrachten, wahlweise mit dem gescannten Manuskript an erster Stelle, der originalsprachlichen Transkription daneben, der englischen Übersetzung und den Kunstwerken in Reproduktion, die in den jeweiligen Briefen erwähnt werden. Sein Vorschlag, so etwas auch mit Warburg zu machen, stieß bei den Mitherausgebern aber auf entschiedenen Widerspruch: Wie kann man einen der wichtigsten Vertreter der modernen Kunstgeschichtsschreibung in den Sündenpfuhl des Digitalen ziehen!? Wo doch dieser selber sich am Ende seines "Schlangerituals" von den Untiefen des Elektrizitätszeitalters distanziert hatte (letzteres phantasiere ich allerdings hinzu, aber ich kenne meine Kollegen). Ich muss es so polemisch ausdrücken, weil an sachlicher Begründung ansonsten normalerweise nichts kommt, zumal man ganz selbstverständlich aus der online-Edition auch ein völlig gängiges Buch generieren kann. Ähnliche Reaktionen, die meist immer noch auf das Wohlwollen einer pseudoinformierten Fachöffentlichkeit stoßen, schallen auch immer wieder aus den Museen (zuletzt allerdings weniger), wobei die Begründungen meistens auch hier nur aus Ressentiments bestehen. Die Leute sollen gefälligst ins Museum kommen, daran würden sie gehindert, wenn sie die Abbildungen schon im Internet sehen, heißt es da immer noch häufig. Oder: Wenn alles im Internet ist, können wir die Reproduktionen ja nicht mehr verkaufen. Ersteres ist wohl schlicht Quatsch. Andersherum wird ein Schuh daraus. Erst wenn die Öffentlichkeit von der Existenz eines Werkes weiß, wird sie auch kommen, um es am Originalort aufzusuchen. Und dafür kann das Internet sorgen. Und letzteres kann allenfalls aufgrund der erwähnten Vorspiegelung falscher Tatsachen funktionieren. Würden die Museen nur das berechnen, was sie der reine photographische Aufnahmevorgang kostet, dann bliebe ja nichts an Gewinn übrig, sondern nur noch der Verlust, der durch die Verwaltung entsteht.

Zugegeben, die angelsächsischen Museen und auch die holländischen sind hier viel weiter. Wahrscheinlich hat das auch mit einem dort geläufigen Pragmatismus, eventuell auch mit einer weniger tief verankerten gelehrig-gelehrten Bildungsbeflissenheit zu tun. Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass wir aus diesen Beispielen lernen und uns ganz allgemein klar machen, dass Modernisierung vor allem eines ist: Sie ist da, und niemand wird sich ihr ungestraft entziehen können.

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