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Fetisch peer review?

Eine kleine Untersuchung nach oben

Dass ein wissenschaftlicher Beitrag ein strenges peer review Verfahren durchlaufen habe, gehört inzwischen zu den geläufigsten Behautptungen in der akademischen Welt. Dabei frage ich mich manchmal, ob die Leute, die so etwas behaupten, überhaupt wissen, wovon sie sprechen. Gemeint ist gewöhnlich, dass ein Beitrag vor Veröffentlichung von einem oder mehreren "peers", also Gutachtern aus dem gleichen Forschungsgebiet, beurteilt und zur Veröffentlichung empfohlen wird - oder auch nicht. Dabei kann es - wichtig vor allem bei digitalen Veröffentlichungen - durchaus auch peer review nach der Veröffentlichung geben. Üblicherweise aber soll das vorgeschaltete Verfahren "double blind" durchgeführt werden, also weder weiß der Verfasser, wer sein Gutachter, noch der Gutachter, wer der Verfasser ist.

In der Kunstgeschichte habe ich den Eindruck, dass ein solches "double blind" Verfahren eher eine marginale Rolle spielt. Sammelbände gehen meistens auf Tagungen zurück, zu denen man eingeladen wurde. Es dürfte eher die Ausnahme sein, dass die Verschriftlichung dann nicht angenommen wird. Hier also schon mal Fehlanzeige.  Bei Ausstellungskatalogen wird man gewöhnlich zum Beitrag eingeladen und muss sich dann einigermaßen dämlich anstellen, seinen Text nicht gedruckt zu bekommen. Es bleiben Bücher und Zeitschriften. Da ist es schon schwieriger, aber wohl auch disparater. Wer zu einem Buchprojekt eingeladen wird, dürfte ebenfalls keine große Angst vor hinzugezogenen Gutachtern haben, ansonsten schon. Bei Dissertationen geben Verlage an, dass sie diese nur bei guten Noten nehmen. Ob das bei den gängigen Druckkostenzuschüssen, die hier winken, auch noch stimmt, lasse ich mal dahingestellt. Andererseits weiß man vor allem auch von amerikanischen Verlagen, dass hier strenge, von Gutachtern bestätigte Maßstäbe einzuhalten sind. Und dann die Zeitschriften: In diesem wird man am ehesten fündig, obwohl echtes double blind auch hier nicht der Regelfall sein dürfte. Und wird heute überhaupt noch viel in Zeitschriften veröffentlicht? Haben nicht die allgegenwärtigen Sammelbände hier längst obsiegt, über die auch Wolfgang Kemp sich schon mal lustig gemacht hat?

Ich habe mal eine kleine, methodisch wahrscheinlich völlig unzureichende Statistik gemacht. Im kubikat habe ich drei Suchwörter zugrunde gelegt - Kreuzigung, Picasso und Renaissance - und jeweils 50 Publikationen aus den Jahren 2009-2014 ausgewertet (nur Vorkommen im Titel). Dabei ergab sich folgendes Bild

Buch (mit Diss)  30

Zeitschrift (auch Rezensionen) 40

Sammelband 30

Kongressakten 2

Ausstellungs/Verkaufskatalog 47

Künstlerbuch 1

Im Einzelnen sind deutliche Unterschiede zu beobachten (die allerdings auch mit der methodischen Mangelhaftigkeit der Untersuchung zu tun haben könnten). So sind bei "Renaissance" mehr als doppelt so viele Bücher erschienen wie in den beiden anderen Kategorien. Bei "Expressionismus" gibt es relativ wenige Zeitschriftenaufsätze, "Picasso" taucht sehr selten in Sammelbänden auf, "Renaissance" dafür wenig in Ausstellungskatalogen.

Dass insgesamt immer noch mehr in Zeitschriften als in Sammelbänden erschienen ist, hat mich zwar überrascht, aber wenn man hier die vielen Rezensionen abzieht, liegt wiederum der Sammelband vorne. In jedem Fall sind mit "Buch" und "Zeitschrift" insgesamt nur knapp die Hälfte aller Publikationsformen vertreten, die überhaupt in den Verdacht geraten peer gereviewed zu sein. Jetzt müsste man eigentlich hingehen und bei den einzelnen Zeitschriften nachsehen, wie sie es mit den Begutachtungen halten. Vielleicht später mal.

"Fetisch peer review" dürfte wohl übertrieben sein, aber ganz falsch nun auch wieder nicht!

4 Kommentar(e)

  • Hans Christian Hönes
    21.05.2014 13:16
    Peer Review und Plagiat

    Letzte Woche hat mir eine Kollegin (leider ohne Quellenangabe) von einer neuen Studie erzählt, die behauptet hat, dass die meisten Plagiate während und durch den Peer-Review-Prozess entstehen: Da man als Reviewer anonym ist sei es offenbar besonders verführerisch und naheliegend, aus dem zu begutachteten Text zu plagiieren...

    • Hubertus Kohle
      21.05.2014 15:34
      Louvre, Grand auditorium, 1989

      Superfeine Konferenz zu Jacques Louis David. Alles was Rang und Namen hat, ist da, außerdem 250 Zuhörer. Nach dem Vortrag eines berühmten englisch/amerikanischen Literaturwissenschaftlers, der ins Feld der Kunstgeschichte übergewechselt ist, meldet sich ein mutiger junger Franzose und fragt, warum der Vortragende aus einem propsal von ihm ohne Nachweis der Quelle ausführlich zitiert habe. Betretenes Schweigen im Publikum, der Beklagte musste sich die Einlassung erst mal übersetzen lassen. Eine ebenfalls berühmte amerikanische Kollegin springt in die Bresche und verteidigt den Beschuldigten damit, dass alle humanists doch gemeinsam arbeiten und sich gegenseitig anregen. Fand ich damals ziemlich schofelig. Auf jeden Fall bewundere ich bis heute den Mut des Anklägers

  • Lilian Landes
    20.05.2014 11:53
    Zweifel an Peer-Review-Verfahren

    Zum Zweifel an der Funktionsfähigkeit gängiger Peer-Review-Verfahren in den Geisteswissenschaften:
    Schuldt, Karsten: Peer Review – eine Entscheidungsfrage für kleine Zeitschriften. In: LIBREAS. Library Ideas, 06.06.2012, http://libreas.wordpress.com/2012/06/06/peer-review-eine-entscheidungsfrage-fur-kleine-zeitschriften/ oder auch Smith, Kevin L.: Just the Tip of the Iceberg. Peer to Peer Review. In: Library Journal 13.03.2014, http://lj.libraryjournal.com/2014/03/industry-news/just-the-tip-of-the-iceberg-peer-to-peer-review/#_

  • Antonie Wiedemann
    19.05.2014 11:10
    nicht nur die Kunstgeschichte

    Ich wage zu behaupten, dass das nicht nur ein "Problem" der Kunstgeschichte ist. Mir ist auch aus anderen - nebenbei bemerkt: nicht-geisteswissenschaftlichen - Fachbereichen bekannt, dass das Ziel der Review eigentlich doch das sei, den Autor dazu zu bringen, die eigenen Arbeiten zu zitieren und damit den eigenen Impact-Factor in die Höhe zu treiben.

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