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Anti-Hybris. Eine neue Studie analysiert die interdisziplinären Facetten des Beltracchi-Falls

Nun wissen wir also, wie leicht es sein kann, einen Leonardo zu fälschen, einen Rembrandt oder Vermeer aus dem Handgelenk zu schütteln oder Picasso wiederauferstehen zu lassen, wenn man nur über das entsprechende „Genie“ verfügt. „Ach, Picasso!“ lässt sich Wolfgang Beltracchi herab, der seit Anfang des Jahres wohl auch gleich Leonardo und Rembrandt mitmeint, wenn er einen Max Ernst nach dem anderen vor den staunenden Kamera-Augen der Öffentlichkeit malt und so praktisch zu demonstrieren scheint, was er dann auch noch in Worte fasst: die Anti-Genialität eines seiner Lieblingsprotagonisten, Max Ernst.

Wie eine derartige Verehrung überhaupt möglich ist, erklärt Henry Keazor in seinem jüngsten Blog-Beitrag auf arthistoricum.net vom 1.5.2014 „"(…) krumme und schmutzige Wege": Über das Verhältnis von Kunst, Fälschung und Kunsthandel in einigen Büchern und Filmen“ mit jenem kathartischen Moment des Kunstsystems, das Beltracchi „geradezu aufatmend“ „als „Hippie“ – mit einem offenbar sehr „flexiblen Rechtsempfinden“ und eben nicht als „echten Künstler“ ausweist und so die eigene Kunstsphäre „rein“ hält.

Nur wenig wissen wir jedoch darüber, welches Ausmaß die Fälschungen Beltracchis in der Kunstwelt genommen haben. Was ist von dem noch 2011 im Nachgrollen des Kölner Strafprozesses verkündeten Reformwillen einzelner Disziplinen und Bereiche geblieben? Welche etwaigen Veränderungen sind in den Kunst- und Naturwissenschaften, in der Gemälderestaurierung, Kriminologie und Jurisprudenz sowie im Bereich des Kunstmarktes spürbar geworden?

 

Die ab heute im Buchhandel erhältliche Studie „Der Fall Beltracchi und die Folgen. Interdisziplinäre Fälschungsforschung heute“ (De Gruyter 2014) greift jene Fragen auf und nimmt dabei die Fälschungen Beltracchis in den Blick eines Gesamtgefüges der sowohl direkt als auch indirekt betroffenen Disziplinen wie der über die oben genannten Disziplinen hinausgehenden Sozialpsychologie und Wahrnehmungstheorie. Dabei stellt sich heraus, dass Beltracchi zwar der Kunst nichts Neues hinzufügt, wenn er die Errungenschaften der Moderne, Farbe und Form gleichwertig zu behandeln, geradewegs zurückentwickelt, indem er jegliche Abstraktionsversuche vergegenständlicht [S. 45]. Dennoch zeugen insbesondere seine Fälschungen nach Heinrich Campendonk und Max Ernst von einem raffinierten Zitatenetzwerk, das schließlich auch die entsprechende Überzeugungskraft auf die jeweiligen Experten ausübte [S. 32-34]. Gleich der Verschränkung eines „Blickes von Außen“ und eines vertieften „Blickes von Innen“ [S. 4] werden diese Analysen ergänzt von den ausgiebigen Interviews, die der Sozialpsychologe Manfred Clemenz erstmals in derartiger Intimität mit Beltracchi führte. Die Ergebnisse, zu denen Clemenz in seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit Beltracchis gelangt, werfen dabei ein durchaus neues Licht sowohl auf die prinzipielle Frage, welche Konstellationen in einer Biografie sich dahingehend auswirken können, dass jemand zum Fälscher wird, als auch auf die Fälschungen Beltracchis an sich [S. 165-196].

Wendet man also den Blick vom „Meisterfälscher“ auf seine Objekte, jene Fälschungen, die über drei Jahrzehnte dem Kunstbetrieb als Originale erschienen, so ergibt sich ein multi-facettiertes Bild des gesamten Beltracchi-Falls – oder wie es Hans Zitko in seinem Beitrag „Höhlentheater. Anmerkungen zum öffentlichen Diskurs über Kunstfälschungen“ [S. 197-205] formuliert: „Tritt man ein Stück weit zurück und betrachtet die Prozesse der Originalitäts­prüfung und der begleitenden Diskurse aus einer gewissen Distanz, so zeigt sich ein deutlich verändertes Bild dieses Geschehens.“ [S. 197]. Jilleen Nadolny und Nicholas Eastaugh, die führenden Experten der Technical Art History, die maßgeblich zur Entlarvung der Fälschungen Beltracchis beigetragen haben, fundieren in ihren beiden Artikeln zur materialtechnischen Untersuchung der Fälschungen Beltracchis [S. 59-78 u. S. 79-92] jenes multi-facettierte Bild mit überraschenden Erkenntnissen. So offenbart der mikrotomscharfe Blick der beiden Naturwissenschaftler weitaus großflächigere Unterzeichnungen der Fälschungen, die zumindest für das vermeintliche Werk von Expressionisten fragwürdig erscheinen, als dies der Öffentlichkeit bis dato bekannt war.

 

Die medialen Kontroversen um den sogenannten ‚Deal’ des Strafprozesses und weitere juristische Aspekte greifen der Zivil- und Kunstrechtsspezialist Michael Anton und der Strafrechtsexperte Richard Klemmer auf [S. 93-132], die darüber hinaus der Frage nach der Bedeutung des Beltracchi-Falls für die eigene Disziplin nachgehen. Eng verzahnt sind damit die kritischen Ausführungen Kristian Grünings [S. 133-152], der aus kriminologischer Sicht die bereits zuvor von Anton und Klemmer diskutierte Frage nach einem eigenen Straftatbestand der Kunstfälschung im deutschen Recht weiterführt. In Form eines Statements aus der Perspektive des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler e.V. legt schließlich Birgit Maria Sturm dar, welche Rolle der Kunstmarkt im Beltracchi-Fall einnahm sowie ob und welche Maßnahmen zur Prävention vor Fälschungen getroffen wurden [S. 153-164].

 

Die durchaus kontroversen Positionen der jeweiligen WissenschaftlerInnen gehen dabei aus einer Tagung im Dezember 2011 und einem Workshop im Oktober 2012 an der Goethe-Universität Frankfurt hervor, über dessen Grenzen hinaus auch Fragen etwa nach der Transparenz in der Kommunikation von Forschungsergebnissen innerhalb der Studie zum Beltracchi-Fall diskutiert werden [S. 4-7]. Folglich dient die Studie auch einem Entgegenwirken zu dem bedauerlicherweise immer noch praktizierten Totschweigen der Beltracchi-Fälschungen in jüngeren kunsthistorischen Publikationen zu Beltracchis favorisierten Künstlern wie Heinrich Campendonk und Max Ernst, deren beider Werk allerdings massiv verwässert wurde. Es bleibt zu wünschen, dass der mit der Studie angeregte Diskurs nun in einer breiteren Öffentlichkeit weitergeführt wird und nicht zuletzt ein Bewusstsein für die Bedeutung und Entlarvung von Fälschungen schafft.

 

Keazor, Henry und Tina Öcal (Hrsg.): Der Fall Beltracchi und die Folgen. Interdisziplinäre Fälschungsforschung heute, Berlin/Boston: De Gruyter Verlag 2014, ISBN: 978-3-11-031589-9, € [D] 49,95.

3 Kommentar(e)

  • Ref. Jur.
    16.05.2014 14:27
    Endlich mal was Sinnvolles!

    Vielen Dank für den Hinweis auf die neue, endlich einmal wissenschaftlich differenzierte Publikation zu den Fälschungen Beltracchis! Die Ankündigung macht neugierig auf die Lektüre der Studie, zumal ich als Jurist schon gespannt auf die Ergebnisse der rechtswissenschaftlichen und kriminologischen Artikel bin und denke, dass wir alle von einem solchen interdisziplinären Austausch nur profitieren können.

  • Hummel
    13.05.2014 11:53
    M.A.

    Es ist ja erfreulich, dass hier im Blog in letzter Zeit mehr passiert. Etwas befremdlich mutet es dann doch an, wenn zwei der Autoren die eigene Forschungsarbeit in den Mittelpunkt ihrer Blogbeiträge rücken (z.T. in Aufsatzlänge) und zudem noch ausführlich ihre eigenen Buchpublikationen und Filmprojekte hier vorstellen. In Heidelberg besteht ja die wunderbare Möglichkeit eigene Online-Zeitschriften mit Hilfe der UB Heidelberg an den Start zu bringen. Ein Blog ist zudem keine Zeitschrift. Der Merkur unter Leitung von Christian Demand macht ja seit einiger Zeit vor, wie man auch als wissenschaftliche Zeitschrift samt Blog das Internet rocken kann. Warum gelingt das den Kunsthistorikern nicht? Ich wünsche mir kurze und pointierte Beiträge zu aktuellen kunsthistorischen Themen. Ein Kunsthistoriker, Harald Klinke, hat auf der #rp14 gesprochen. Der Vortrag ist inzwischen als Video im Netz. Das wäre doch mal einen (vielleicht auch kritischen) Beitrag Wert.

    • Henry Keazor
      21.05.2014 17:07
      Zur Form des Blogs

      Vielen Dank für den kritischen Kommentar! Hier eine (kurze) Stellungnahme, da wir ja angesprochen wurden: Zum einen frage ich mich, wer sagt, dass Blogeinträge immer "kurz" sein müssen. Gerade im angloamerikanischen Bereich stoße ich – ganz im Gegenteil – immer wieder auf (auch kunsthistorische) Blogeinträge, die z.T. Aufsatzlänge haben, ohne, dass das jemanden stört: Dies ist ja gerade die freie Form des Blogs, dass es hier keine Vorgaben hinsichtlich der Länge und der Form gibt. Und wenn man für die Behandlung eines Themas einen gewissen Umfang braucht, dann kann man sich diesen nehmen - pointierte Darstellungen lassen sich nicht mit jedem Thema vereinbaren. Zum anderen teile ich auch die Auffassung nicht, dass man alles ordentlich wegsortieren muss (dies in den Blog und jenes in eine Zeitschrift), denn auch hier sehe ich gerade die Freiheit der Form, die das Internet bzw. ein Blog ermöglicht. Demgegenüber dann gleich eine eigene Online-Zeitschrift an den Start zu bringen, um hier (s)eine Plattform zu haben, halte ich jedenfalls für wenig empfehlenswert, zumal eine solche Zeitschrift ganz andere Zwecke erfüllen und damit auch ganz andere Bedürfnisse und Voraussetzungen haben sollte (insofern finde ich auch den vergleichenden Verweis auf den Demand’schen "Merkur" nicht schlüssig). Und in Bezug auf den Vorwurf der Selbstreklame: Die Blogbeiträge beziehen sich nicht nur auf unser Buchprojekt und sie sind zudem im Kontext der "Fake"-Bibliographie (https://www.arthistoricum.net/themen/portale/fake/ ) zu sehen, wo wir unter "News" sowie "AV-Medien" generell auf zum Thema passende Unternehmungen (Ausstellungen etc.) verweisen. Und zu dem Vortrag von Harald Klinke etwas zu schreiben, steht m.E. jedem frei!

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