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Propaganda für die Wirklichkeit

Auch wenn dieser Titel der aktuellen Ausstellung des Museum Morsbroich in Leverkusen die Kurzform einer Sentenz von Oswald Wiener ist, die da lautet "kunst ist propaganda für die Wirklichkeit und wird daher verboten", so geht es hier doch weniger um die manipulatorische Kraft von Kunst als um ihre Wirkkraft mit der sie den Spalt zwischen Wirklichkeit und Anschein überhaupt erst aufstößt – Propaganda klingt da allzu pejorativ und mißversändlich, verleitet kurzzeitig gar zur Überlegung, welchen 'very proper gander' im Thurberschen Sinn man als vermeintlichen Verräter aus dem Bewußtsein verbannen soll: die Kunst oder die Wirklichkeit.

Darüber, wie man sowohl der einen wie der anderen beikommen kann, ist wahrlich schon viel nachgedacht und (nicht zuletzt) künstlerische Eneregie investiert worden. Etliches ist dazu gesagt und mindestens ebenso viel ins Bild gefaßt worden. Wo liegt also der Reiz? 24 internationale Künstler offenbaren ihn: mit luziden Arbeiten unterschiedlichster Medien, aus einem Zeitraum von 30 Jahren bis zur Gegenwart anhand derer die Kuratorin Stefanie Kreuzer einen konzentrierten Bogen gespannt hat: von Marcel Broodthaers über Robert Gober bis Rodney Graham und Bethan Huws. 

Schauen wird explizit als Erkenntnisvorgang spürbar, in dem sich immer wieder die Frage aufdrängt: Was sehe ich eigentlich (wirklich) und inwieweit kann ich dem 1. Blick vertrauen? Im Ausstellungsparcours erweist sich Wirklichkeit und ihre Repräsentationen als eine immer wieder gerade noch oder knapp nicht mehr greifbare Größenordnung. Wie vergeblich die Annäherungsversuche der Betrachter sind bzw. wie trickreich die Kunst zumindest die Möglichkeiten vagen Erkennens aufscheinen lässt, beweist etwa der belgische Künstler Francis Alỹs in seinem Video Paradox of Praxis 1 (Sometimes making Something Leads to Nothing, 1997), wenn er mit krummem Rücken einen Eisblock so lange durch die Mittagshitze von Mexico City schiebt, bis er ihn zu einen Bällchen geschmolzen vor sich hin kicken kann. Die Wirklichkeit als Zeitfaktor spielt auch in Morgan Fishers Phi Phenomenon von 1968 eine Rolle anhand von Impulsen eines sich nur scheinbar bewegenden Uhrenzeigers. Welchen Bezug zu meinem Erfahrungsschatz hat Thomas Ruffs fotografisches bearbeitetes Motiv aus der ma.r.s-Serie von 2013? Wie also ist Wirklichkeit denn überhaupt zu erkennen, wenn ein Referenzsystem fehlt?

Bedarf es dennoch, so ist grundsätzlich einzuwenden, eines solch explizit formulierten Ausstellungsthemas, um die Differenz zwischen Wirklichkeit und ihrer Repräsentation durch die Kunst transparent zu machem, oder sind Besucher nicht ohnedies in solche Prozesse mit Betreten des herausgehobenen Ortes (Kunst-)'Museum' involviert? Die in diesem Kontext gestifteten Verwirrungen lassen jedoch schnell vermuten, dass die Wahrnehmung ein offenkundig doch zu selten herausgefordertes Instrument ist, das es zu schärfen gilt: Nicht nur hinsichtlich der Fotografie vor deren "gefährlichsten Möglichkeiten der Täuschung" als einer ihrer Pioniere August Sander bereits vor knapp100 Jahren warnte und die amerikanische Künstlerin Barbara Bloom in Morsbroich mit Vermeer Copy Copy (s. Abb. unten) als schier unendliche Fortsetzung der Wirklichkeit aufgreift, "indem ihre Fotografie den signifikanten Moment des Bildermachens zeigt" (S. Kreuzer, Katalog S. 26) – es betrifft sämtliche Medien, denen wir tagtäglich aber in zunehmender Bandbreite eben auch im Museum begegnen: In der Ausstellung ist denn mit zunehmender Verunsicherung zu betrachten, wie Künstler sich dieser Variabilität für ihre Zuspitzungen bedienen und gewohnt subjektive Betrachterstandpunkte unterlaufen.

Welche Wirklichkeit verbirgt sich etwa hinter dem fotografischen Motiv eines Tellers mit einer Art Holzmarmorierung und einem darauf applizierten Quellcode? Jedenfalls ist weder ein rein retinales Erfassen des 'Dings' noch ein Entziffern des 'Sachverhalts' möglich ("A note on the Bereitschaftspotential", 2013, Cieslik und Schenk). Als Ausdruck einer konkreten Realitätsebene setzt sich demgegenüber stanley brouwns Objekt 1000 mm (1977) aus 1000 Karteikarten zu jener Maßeinheit zusammen, während die wiederholt aus Puzzlen bestehenden Maps von Art & Language ihren eigentlichen orientierenden Sinn verloren haben: als kartografische Koordinatensysteme sind sie obsolet, bilden weder reale noch konsensuell als real akzeptierte Verhältnisse ab.

Offen spielerisch ist der Umgang mit der Wahrnehmung dank einiger in einer langen kunsthistorischen und (kunst-)philosophischen Tradition stehendenTrompe l'œils, wie die Skulptur Parallelwelt der Nachwuchskünstlerin Alicja Kwade, in der zwei unterschiedlich farbige Kaiser-Idell-Lampen und ein Spiegel die Hauptrollen spielen..

In der Renaissance und im Barock hat man sich allmählich abwendend von der transzendenten der irdischen Wirklichkeit zugewandt und ihrer Zusammenschau in Kunst- und Wunderkammern entsprechende Bühnen bereitet. Raffinierte künstlerisch gestaltete Augentäuschungen gab es auch dort – sie trainierten das genaue Hinschauen, so auch auf weitere Artefakte und Naturalia wie zum Beispiel goldgefasste Kokosnüsse und Nautilusmuscheln oder ausgestopfte, an der Decke hängende Krokodile – bis dahin auf dem europäischen Kontinent völlig unbekannt. All dies entstammte einer 'anderen' Wirklichkeit, einem anderen Bezugssystem.

Bis heute sind wir mit solchen 'Wundern' konfrontiert und davon fasziniert. Dinge u.A. verwandeln sich in solche, wenn sie ihrem angestammten Kontext oder der natürlichen Umgebung entnommen und (künstlerisch) verändert oder nur gefiltert, einem neuen (musealen) einverleibt und so zu Semiophoren, Zeichenträgern im Pomianschen Sinne werden. Was ist Duchamps 'Fountain' anderes? Oder um nach Morsbroich und ins Begriffliche transponiert zurückzukehren: die Wahrnehmung selbst. So kann jedenfalls Omer Fast mit seinem Video Talkshow verstanden werden, in dem er ein scheinbar individuelles Erlebnis von Talkshow-Gästen im TV-Format durch eine Art Rollentausch wieder und wieder erzählen lässt. Das Subjekt der Erzählung bleibt erhalten in einem sich verschiebenden Kontext wechselnder Personen und Erzählstrukturen – und wird so immer befremdlicher.

Kunst bildet nicht ab, sondern überführt uns, in dem sie unsere Erwartungshaltungen hinterfragt/offenlegt oder sogar bricht: So ist es, oder doch nicht?

TURNED AS THE WORLD TURNS (Lawrence Weiner)

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