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Kunsterhalt versus kommerzielle Interessen

Gastbeitrag von Susanne Easterbrook

Italiens Umgang mit außergewöhnlichen Kunstschätzen: ein Fallbeispiel aus Padua.
Wissenschaftler diskutierten Risiken für kostbare Giotto Fresken aus dem 14. Jh. in der Scrovegni Kapelle durch Bauprojekte der Stadt Padua


Das Kunsthistorische Institut in Florenz (Khi) des Max Planck Instituts war Gastgeber eines ganztägigen wissenschaftlichen Symposiums zum Thema „Probleme und offene Fragen zur Scrovegni Kapelle und Krypta in Padua“ und hatte dazu im Februar sieben Experten, darunter Kunsthistoriker, Archäologen, Architekten, Ingenieure und den Vertreter einer Umweltschutzorganisation, in den ehrwürdigen Palazzo Grifoni Budini Gattai aus dem 16. Jh. nach Florenz eingeladen. Unter der Leitung der Historikerin Chiara Frugoni, des Institutsleiters Alessandro Nova und des Archäologen und Geschichtswissenschaftlers Salvatore Settis ging es um eine Bestandsaufnahme von ungelösten und die Fachwelt beunruhigenden Fragen im Zusammenhang mit ehrgeizigen Plänen der Stadt Padua, in unmittelbarer Nähe zur Scrovegni Kapelle ein modernes Auditorium für 2000 Besucher, sowie zwei Wohn- und Bürotürme zu realisieren. Diese Projekte stießen von Anfang an in der Kulturszene und bei Denkmalschützern in Italien und auch außerhalb des Landes auf erheblichen Widerstand, dokumentiert u.a. durch 5000 Neinstimmen einer Unterschriftenaktion im Internet. Man befürchtet bei ihrer Realisierung Schäden an der fragilen Bausubstanz der Kapelle, vor allem aber an den vom italienischen Maler Giotto di Bondone Anfang des 14. Jahrhunderts stammenden Wandfresken.

Diese fast 700 Jahre alten Fresken stellen in einem sich über drei Wände erstreckenden Zyklus Episoden aus den Lebensgeschichten des Hl. Joachim, der Hl. Anna, der Muttergottes und dem Leben Jesu dar.Eine vierte Wand ist mit einer Darstellung des Jüngsten Gerichts freskiert. Das Tonnengewölbe ziert ein tiefblauer mit goldenen Sternen bestückter Himmel. Erbaut wurde die Kapelle von Enrico degli Scrovegni, einem reichen Bankier und Geldverleiher in Padua, der sie zwischen 1302-05 an seinen Wohnpalast anbauen ließ und Giotto mit ihrer Ausschmückung beauftragte. Dessen 1317 -1329 entstandene Fresken sind weltweit einmalig und zählen zum Kostbarsten, was die italienische Frührenaissance hervorgebracht hat. Sie ziehen jährlich Tausende Besucher aus aller Welt an, die Einlass in die Kapelle begehren, um Giottos Fresken dort zu bewundern. Ihnen wird der Zutritt zum klimatisierten Innenraum nur nach vorheriger Anmeldung gruppenweise für jeweils zwölf Minuten gestattet. Man will die empfindlichen Werke nicht zu stark in Mitleidenschaft ziehen. Auf Grund ihrer überragenden künstlerischen Bedeutung hat der Stadtrat von Padua 2010 die Aufnahme der Scrovegni Kapelle mit ihren Fresken in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes beantragt. Eine Entscheidung darüber steht allerdings noch aus.

Was könnte die Stadtväter also bewogen haben, in weniger als 200 Meter Entfernung zu diesem Kleinod den Bau eines großen Auditoriums zu erwägen? Bodenspekulation und Profite durch Immobiliengewinne für die leere Stadtkasse? Paduas Bürgermeister Flavio Zanonato sagte seine Teilnahme am Symposium in Florenz wegen wichtiger Dienstgeschäfte ab. Er ließ sich auch nicht durch einen Fachmann seiner Administration vertreten. Den Warnungen der Projektkritiker vor den massiven Tiefbauarbeiten für die Fundamentierung des Auditoriums, hält er entgegen, es seien alle notwenigen Untersuchungen zu Bodenbeschaffenheit, Gesteinsschichten und Wasseradern auf dem Gelände erfolgt, sowie alle Sicherungsmaßnahmen für die Kapelle selbstverständlich getroffen. Das Auditorium könne „vollkommen risikofrei“ erstellt werden. Gleiches gälte für die zwei Türme, je 80 und 100 m hoch, die einen einmaligen Blick auf die nahe Scrovegni Kapelle gestatteten. Kein Wunder, dass die Privatinvestoren dieses „Turmbaus zu Padua“ bereits mit dem famosen „Blick auf Giotto“ aus den dort geplanten Luxusapartments werben. 

Auf dem Symposium in Florenz wollte man die Beruhigungspillen des Bürgermeisters jedoch keineswegs einfach so ‚schlucken‘. Die versammelten Fachleute zählten die Risiken auf, denen die Scrovegni Kapelle bereits in der Vergangenheit immer wieder ausgesetzt war und, denen sie im Fall der Realisierung der Bauvorhaben, künftig ausgesetzt wäre. Dabei kristallisierten sich zwei Schwerpunkte heraus: man ist besorgt über das permanente Eindringen von Wasser in die Krypta und fürchtet statische Risiken für das Gebäudes im Erdbebenfall. Unter der Kapelle befindet sich eine etwa gleichgroße Krypta, deren Funktion bis heute nicht ganz geklärt ist. In dieses halbunterirdische ‚Zönobium‘ dringt nach starken Regenfällen, aber nicht nur dann, Wasser ein und sammelt sich auf dem Boden, wo es von zwei ständig laufenden Pumpen abgepumpt wird. Diese Feuchtigkeit greift nicht nur den Boden, sondern mit der Zeit auch die Wände der Krypta an und droht in die aus Tonziegeln gemauerten Seitenwände der Kapelle aufzusteigen. Genau dort, wo sich die Fresken befinden! Welche Gefahr durchfeuchtete Wände für diese darstellen, muss nicht näher erläutert werden. 

Unheil droht der Kapelle auch durch den nur 8o Meter entfernt vorbei fließenden Piovego Fluss, dessen Flussbett ungefähr auf dem Fußbodenniveau der Krypta liegt. Noch oberhalb seines Flusspegels verläuft in der Erde eine Wasser führende Schicht, die die effektive Entwässerung des Terrains um die Kapelle herum erschwert bzw. verhindert. Unterirdische Wasseradern und Flusswasser stehen darüber hinaus miteinander in Verbindung und in einem labilen Gleichgewicht, welches beim Ausheben der Baugrube zerstört werden könnte. Als Folge dessen könnte verstärkt Wasser in die Krypta einsickern. Heute schon führt die Präsenz von Wasser und Schlamm dort zu Verhältnissen, wie sie niemand in seinem Haus tolerieren würde, nicht einmal in der Garage oder im Keller. Eine mehr als bedenkliche Situation für ein 700 Jahre altes Gebäude mit einmaligen Fresken. Einer der Experten bezeichnete es so: Die Giotto Fresken sind gigantisch, stehen aber auf tönernen Füßen – und nassen obendrein, muss man ergänzen!

Ein zweites, nicht geringeres Risiko stellen Erschütterungen durch Erdbeben dar, die schon in der Vergangenheit immer wieder Risse an den freskierten Wänden verursachten. Glücklicherweise verschonte das jüngste Beben im Mai 2012 die Scrovegni Kapelle. Doch darf man sich auf sein Glück verlassen? Schon beim nächsten Erdstoß könnte es ganz anders kommen. Denn die als Erdbebenschutz 1961-62 durchgeführten Sanierungsmaßnahmen könnten sich als fatal erweisen. Damals wurde über die Gesamtlänge der Kapelle unter dem Dach ein Träger aus Stahlbeton eingezogen und die Seitenwände des Kirchenschiffs mit vier Stahlseilen quer verspannt. Maßnahmen, die den Baukörper nun zwar wie in einem Korsett stabilisieren, aber auch ein gewisses Nachgeben der Wände bei seismologischer Belastung verhindern könnten. Stürzten diese unter solchen Spannungskräften ein, wären Giottos Fresken für immer verloren.  Leider wurden alle Hinweise auf die seismologischen Risiken bei den letzten Restaurierungsarbeiten an der Kapelle 2001-2002 in den Wind geschlagen. Zu allem Übel weiß man bis heute nicht einmal genau, wie es mit der Fundamentierung der Kapelle aussieht. Das Kirchenschiff stützt sich auf der Decke der Krypta ab und man vermutet, diese wiederum teilweise auf den Fundamentsteinen des darunterliegenden römischen Amphitheaters. Eine später angebaute Apsis liegt jedoch direkt auf dem Erdboden auf. Was heißt das für die beiden Baukörper Apsis und Schiff bei plötzlichen Erschütterungen der Kapelle? Es wurde kritisiert, dass eine wissenschaftliche Langzeitüberwachung aller Parameter durch entsprechende Messinstrumente fehle, welche gesicherte Daten über den statischen Befund liefern könnte. Wenn sich in der Vergangenheit Risse in den Wänden zeigten, wie nach dem Erdbeben 1976 in der Region Friaul, wurden diese stets repariert. Aber um die Kapelle statisch ganz erdbebensicher zu machen, sind weitere Studien, Untersuchungen, vielleicht auch Sondierungsgrabungen dringend nötig. Und zwar am besten durch internationale Fachleute, nicht nur durch lokale Ingenieure aus Padua und der Region Venezien, wie es die Stadtverwaltung von Padua bevorzugt. Immerhin hat der Stadtrat nun 100 000 Euro dafür bewilligt. Vielleicht aufgeschreckt durch die Bilanz einer dreiköpfigen, von der Stadt selbst beauftragten Expertengruppe, die die sensible Situation bestätigte, zu größter Vorsicht bei Baumaßnahmen in der Nähe der Kapelle riet und in einer Zone von mehreren Hundert Metern Entfernung den gänzlichen Verzicht auf Baumaßnahmen empfahl.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, um mit Hölderlin zu sprechen. So haben schwierige Zeiten manchmal auch ihr Gutes und verhindern Schlimmeres, wenn italienische Behörden mit den ihnen anvertrauten Kulturgütern leichtfertig umgehen, obwohl diese oft weit über ihre lokale und nationale Bedeutung hinaus von universellem Wert sind. Wie im Fall der Scrovegni Kapelle. Die anhaltende Wirtschaftskrise Italiens hat die Realisierung des Auditoriums und der Türme vorerst gestoppt, aber die Pläne sind noch nicht vom Tisch. Immerhin gibt es nun eine Pause, vielleicht sogar eine Denkpause. Von den sieben Firmen, die sich beim Bau der kommerziellen Wohn- und Bürotürme engagieren wollten, sind nämlich einige inzwischen insolvent geworden, andere stecken in großen Finanznöten. Paduas Bürgermeister Zanonato hält an seinen Zielen fest, denn er will sich damit ein städtebauliches Denkmal setzen. Auch eine international besetzte Expertenkommission, wie sie die Projektgegner für weitere Studien fordern, lehnt er ab und lässt manchen Brief seiner Kritiker einfach unbeantwortet. „Wir kriegen das alles alleine hin“, lautet seine Aussage. Er musste jedoch inzwischen einsehen, dass das Auditoriums nicht nur hohe Baukosten, sondern auch erhebliche Folgekosten für die Instandhaltung verursacht. Das ist teuer und Kapital äußerst knapp. So haben die Projektgegner vielleicht einen Teilerfolg erzielt, aber den Kampf noch nicht endgültig gewonnen. Denn auch ein ‚abgespeckter‘ Bebauungsplan, der an gleicher Stelle Wohnhäuser mit Tiefgaragen vorsähe, wäre für die Scrovegni Kapelle kein Segen. Die beste Lösung hieße, die vorhandene Grünzone um die Kapelle herum zu erweitern und alle öffentlichen Gelder für einen effektiven Denkmal- und Erdbebenschutz zum dauerhaften Erhalt der Giottos Fresken zu verwenden. Das wäre endlich einmal ein schöner Sieg der Vernunft, Kultur und Denkmalpflege über kommunale Immobilienspekulation und kurzfristiges Profitdenken. Und den Italienern, wie uns allen, zu wünschen. Wie diese Sache ausgeht ist offen; seltsamerweise hat dazu die Behörde für die Erhaltung und Verwaltung von Kulturgütern (im Fall der Kapelle sind das gleich drei Instanzen und zwar für Kunst, Geschichte und Architektur) bisher geschwiegen, obwohl es doch per Gesetz deren vordringlichste Aufgabe ist, Italiens weltweit einzigartigen Kulturbestand vor Verfall und Risiken jeder Art zu schützen.  Professor Settis, der das Schlussresümee sprach, hielt mit seiner Kritik an der Kulturpolitik des Landes denn auch nicht zurück: „Wir haben die großartigsten Kunstschätze auf unserem Boden und lassen es zu den schlimmsten kulturellen Katastrophen kommen.“

E-Mail der Autorin: s.easterbrook (at) gmx.de
Bildmaterial:Giuliano Pisani, Padua
 

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