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Was ein Kunsthistoriker wert ist

Die berechtigte Klage von Absolventen der Kunstgeschichte über nicht oder wenig bezahlte Jobs ist nicht neu. Selten ist aber, daß ein renommierter und etablierter Professor der Kunstgeschichte in seinem Blog die demütigende Erfahrung öffentlich macht, daß es ihm nicht wesentlich besser geht, sobald er außerhalb der Universität seine Dienste anbietet.

 

Martin Kemp, emeritierter Oxforder Professor und Spezialist für Leonardo da Vinci, wurde von der Londoner National Gallery beauftragt für die kürzlich beendete Leonardo Blockbuster Ausstellung einen Podcast zu gestalten, in dem er anatomische Zeichnungen erläutert. Für die Arbeit, die ihn vier Stunden Aufwand kostete, erhielt er die "top fee" von 100 Pfund. Mangelnde Organisation des Museums führte zu einem Termin, der eine gesonderte Anfahrt des Referenten nach London erforderte. Reisekosten wurden natürlich nicht vom Museum übernommen, so daß Martin Kemp als Nettoertrag vor Steuern 14,20 Pfund verblieben.

 

Er erinnerte zu Recht daran, daß man von keinem Buchhalter oder Rechtsanwalt erwarten könne, daß er zu solchen Stundensätzen für ein Museum tätig werde. Aber auch in seinem Fall scheint das Interesse, sich öffentlich zu einem spannenden Thema äussern zu können, gross genug gewesen zu sein, um diese Behandlung hinzunehmen und den Podcast zu realisieren.

 

P.S. Aufmerksam wurde ich auf diesen Eintrag in Martin Kemps Blog durch einen Hinweis von Bendor Grosvenor.

16 Kommentar(e)

  • Adrian
    07.09.2012 22:57
    Vorbild Schweiz?

    "Sie lernen dafür den Direktor kennen
    Wer in der Schweizer Kunstwelt Karriere machen will, muss sich mit einem Gehalt unter der Armutsgrenze begnügen. Nun regt sich Widerstand." (Zeit Online)

    Mehr dazu hier:
    http://www.zeit.de/2012/36/CH-Kunsthistoriker-Schweiz
    und
    http://www.20min.ch/ro/news/suisse/story/Dure-realite-pour-les-stagiaires-historiens-de-l-art-15248569
    und
    http://www.articulations.ch

  • Argos
    10.04.2012 21:06

    Ich finde es lobenswert und nebenbei auch mutig von Martin Kemp, dass
    er ein angejahrtes Tabu bricht und diese jämmerlichen Arbeitsbedingungen im freiberuflichen Feld
    öffentlich an einem konkreten Fall bekannt macht. Wenn ein weltberühmter Experte für da Vinci und die Renaissance derart "honoriert" wird, ist es um alle anderen nicht besser bestellt. Der Tradition zuliebe wurde jahrzehntelang auf die von anderen Fächern längst vorangetriebene juristische Absicherung beruflich organisierter Interessen verzichtet. Dieser an sich liberale Althumanismus des "Offenen" wird heute in einer überregulierten Umgebung de facto ausgenutzt. Da es alle in jeder Qualifikationsphase treffen kann - was wird erst die Vergreisung der Republik bedeuten ?- sollte der Abwertung geisteswissenschaftlicher Mehrwertschöpfung in allen Bereichen organisierter und entschiedener entgegen getreten werden als es bislang eher zahm geschah (z.B. durch Kritik im eigenen Kreise, wo kein Widerspruch zu erwarten ist, Verbandsinternes usw. ). Ein probates Mittel ist "to make things public": Aufrufe zum Boykott von Unternehmen schrecken letztere ja auch. Das praktische Problem ist, dass nur die Elite der akademischen Fachwelt hier eine Lanze brechen kann, weil nur die Festbesoldeten es sich erlauben können, solche Angebote zurückzuweisen statt sich klagend dreinzuschicken. Es ist ein bisschen wie in der Katholischen Kirche, dieses "Hoffen mit Geduld", nur unerlöster. Martin Kemps Anstoss sollte uns motivieren, es ihm nachzutun: Selbstausbeutung als Kleiner Ritterschlag der Gemeinde der Kunsthistoriker zu sehen ist eine sehr gefährliche Tradition, die leider das ganze System trägt. Es ist die idealistische Tradition der Kunstgeschichte, kein Traum der Vernunft, aber einer mit Ungeheuern.

  • Adrian
    01.03.2012 10:20

    @ih
    Einzel-Leistungen (mit jeweiliger Leistungsbeschreibung) der möglichen kunstgeschichtlichen Arbeiten zu benennen und diesen realistische Vergütungen zuzuordnen sowie einen allgemeinen Stundensatz zu definieren und diese dann an eindrucksvollem Ort zu veröffentlichen, halte ich für einen richtigen ersten Schritt.
    Für evtl. Auftraggeber/innen bedeutet dies eine Verbesserung der Kalkulation: So können sie die Leistungen der Kunsthistoriker von Anfang an im Kostenplan geltend machen, was vielleicht auch zu einer Erweiterung oder Umschichtung von Mitteln führt.
    Die Kunsthistoriker/innen bekommen einen Anhaltspunkt an dem sie sich bei "Preisverhandlungen" orientieren und auf den sie verweisen können. Was nicht zuletzt das Selbstbewusstsein und die Freude an der Arbeit erhöht

  • Franz Hefele
    29.02.2012 22:25

    @ Orkus
    Ich weiß nicht, wo sie ihr Kunstgeschichtsstudium absolvieren oder absolviert haben, aber ich muss zumindest für den Standort München eine Lanze brechen und sagen, dass man dort eine Reihe von relevanten "Schlüsselqualifikationen" vermittelt bekommt und dass vor allem auch die Möglichkeiten, sich mit Eigeninitiative weitere anzueignen, noch weitaus reichhaltiger sind. Primär wäre hier die Kompetenz zu nennen, mit komplexen (und leider manchmal auch nur komplizierten) Texten umzugehen, aber auch die Fähigkeit Kontakte zu knüpfen und ganz allgemein die Möglichkeit interdisziplinäres Forschen zu erleben. Das ist eine völlig beliebige Auswahl, deren einzige Systematik darin besteht, keine originär kunstgeschichtlichen Kompetenzen zu nennen (wobei: wieso soll ein Kunstgeschichtsstudium diese nicht vorrangig vermitteln?) Missstände gibt es überall und in allen Disziplinen, aber mein Gefühl und meine Erfahrung sagen mir, dass Lösungen nicht über Pauschalurteile wie das ihre herbeigeführt werden.
    Abgesehen davon entfernt sich diese Diskussion doch arg weit vom eigentlichen Thema.

  • Orkus
    29.02.2012 14:54

    @ np auf Feb 29, 2012

    Liebe/r np,
    Kirchen an ihren Grundrissen erkennen zu können ist natürlich auch eine Prachtqualifikation, die voll zu Buche schlägt.
    Mir ist nicht fremd geblieben, dass es sich hier um ein Fachforum für wissenschaftliche Kunsthistoriker handelt, deren „Berufswelt“ nicht in Frage steht. Dann bleibt aber das Universitätsstudium Kunstgeschichte weiterhin ein Orchideenfach, in dem Kunsthistoriker die nächste Generation an Kunsthistorikern ausbildet und all die bekannten Fragen nur weiter tradiert werden oder etwa auch solche, die schon in der Thematik für Normalbürger völlig „ab vom Schuss“ liegen. Finanziert wird das abgesichert von Steuergeldern.
    Anwendungsbezogen bleibt da nur die Weiterbildung (akademisch, eigentlich aber Umschulung) zu Kulturmanagern, in der man z.B. das Durchkalkulieren einer Ausstellung oder die medienrechtliche Grundlagen lernt. Dazu freilich muss man einen akademischen Abschluss haben, den man nur erwerben kann, indem man zu Prüfungszwecken Bilddatierungen und Kirchengrundrisse kurzfristig verinnerlicht hat.
    A propos Lehre: eine Kunstgeschichte-Studienfreundin mit M.A. hat einen bezahlten Job ergattert, weil sie auch eine Buchhändlerlehre vor dem Kunstgeschichtestudium und Buchwissenschaft als Aufbaustudium danach durchgezogen hat. Die Anstellung war in einem Antiquariat mit angeschlossener Galerie, dessen vermögender Eigentümer sein Geld auch woanders gemacht hat. Und eine andere Kunstgeschichte-Magister-Absolventin (ohne weitere Berufsqualifikationen) verkauft als Minijobberin Marmorbäder in einer bekannten Münchner Luxusbadausstattung. Das ist eben die „normale Berufswelt“ jenseits von arthistoricum.de aber diesseits von Kunstgeschichte-M.A.

  • Es gibt doch für Gutachten feste (oder halbwegs eingebürgerte) Preise, oder? Zeitaufwand für Recherche, Textformulierung, Begutachtung... Es gibt auch Seitenzahlen, Zeilen- und Zeichennummern wie bei Schreibarbeiten oder Übersetzungen. Wenn man sich allein danach richtet, kommt man auf keine so schlechte Summe, denke ich. Das Problem sind eher die Aufträge denke ich... und die Tatsache, dass die Auftraggeber nicht wissen, was so etwas überhaupt kosten kann, bevor sie ein nicht tragfähiges Angebot machen. Vielleicht müsste man nur einfach mehr verbreiten, wie viel eine Seite Gutachten kostet. Ein mittel gut bezahlter Steuerberater rechnet für eine Stunde Beratung zwischen 70 € und 90 € plus MwSt. Wie wäre es damit?

  • Ja, das was Martin Kemp erlebt hat, musste ich auch mehrfach erfahren. Manchmal muss man noch Geld mitbringen! Für Freiberufler eine Katastrophe. Ich nenne es Selbstausbeutung oder Umsonstkultur. Inzwischen sage ich solche Angebote ab und empfehle es den Kollegen ebenfalls. Dazu gehören auch unterbezahlte Lehraufträge. Hier ist die Solidarität der Kollegen gefordert!!

    Wir brauchen unbedingt einen Gebührensatz, wie ihn die Rechtsanwälte und Notare haben. Für zwei kurze Texte/Briefe und ein Telefongespräch 700 Euro verlangen, ja, das wäre ein Traum ...

  • lieber orkus,
    dann dürften die tatsächlichen kompetenzen, die das kunstgeschichtsstudium jenseits bilddatierung vermittelt, an Ihnen vorübergegangen sein.
    vielleicht definieren Sie "normale berufswelt" einmal für sich und machen Sie am besten eine lehre, die ist anwendungsbezogen und Sie wissen auch gleich, was Sie damit machen können nach der prüfung, für die Sie gelernt haben.

  • Adrian
    29.02.2012 08:52

    Lieber Orkus, was fehlt denn genau im Studium der Kunstgeschichte und sollte unterrichtet werden?

  • Orkus
    28.02.2012 12:35

    Es ist doch eigentlich ganz leicht erkennbar, dass das, was man in einem Kunstgeschichtestudium an Wissen erwirbt, in der normalen Berufswelt überhaupt nicht gefragt ist. All der Prüfungsstoff ist danach einfach nur zum Vergessen.

  • ich denke, das fach hat sich insofern gewandelt, als die zeit der ohnehin familiär begüterten kunsthistoriker nahezu vorüber sind. allerdings führt sich ein problem fort, das aus diesen zeiten stammt: solange man geradezu damit kokettiert, sich der kunst widmen zu dürfen (und da kenne ich nach wie vor nicht wenige, die damit spielen) und damit genug entlohnt zu sein, denn eigentlich ist es ja mehr ein hobby als ein beruf, dem man da nachgeht, bleibt der zustand erhalten. Kunstgeschichte ist ein job. punktum. ein schöner job, aber ein JOB. und ich sehe ein, dass ich für das privileg, mich mit leonardo beschäftigen zu dürfen und in großem maße für mich selbst aktiv zu sein, nämlich meinen geist füttern darf, einen preis bezahlen muss. aber es muss ein mittelweg existieren, denn sonst gewinnt -wieder einmal- die wirtschaft. und macht die guten leute abspenstig, ähnlich wie in der politik.
    immerhin - die diskussion um die erhöhung der professorengehälter ist ja mal ein löblicher beginn... jetzt wäre es angezeigt, in anderen sparten mehr zu fordern. nehmen wir beispielsweise die peinliche volontariatsvergütung in museen. promoviert sollen sie sein, flexibel sollen sie sein, sie sind nicht selten 33 jahre alt und verdienen 1000 euro. in urlaub fahren sie zu freunden nach berlin couchsurfen, um geld zu sparen und die neue retrospektive zu sehen. job/hobby, wer weiß das schon.
    ihre eltern hatten mit 33 jahren 14 monatsgehälter, ein vorstadthaus, einen großen passat und 3 kinder. urlaub regelmäßig in der ferienwohnung auf sylt. dass sie mit 33 dieses volontariat überhaupt machen können, liegt gern mal daran, dass mami und papi aus dem vorstadthaus noch die versicherungen von ihnen zahlen.

  • Christian M. Geyer
    25.02.2012 15:41

    Lieber Adrian, ich bin skeptisch, ob es sinnvoll ist, über Gebührenordnungen für Kunsthistoriker nachzudenken, solange nicht klar ist, wer denn dann welche Sanktionsmassnahmen gegen diejenigen verhängen sollte, die bereit sind, ihre Arbeit billiger oder umsonst anzubieten. Dahinter steckt wohl der "Künstlerkomplex" der Kunsthistoriker: sie sind - wie die Künstler - bereit, für grossen ewigen Ruhm (Publikationsliste) zu Lebzeiten auf materielle Entlohnung zu verzichten und darüber Schweigen zu bewahren, wodurch es als edler freiwilliger Verzicht erscheint.
    Deshalb finde ich es schon eine grosse Leistung von Martin Kemp, daß er dieses Schweigen brach. Vielleicht ist dies auch die effektivste Art, öffentlichen Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Immer wieder auf das Missverhältnis von Marktpreisen für Kunstwerke und Riesenbudgets für Ausstellungen einerseits und den Entlohnungen für die an der Basis arbeitenden Personen andererseits hinzuweisen.

  • Wenn er es nicht macht, wird es gar nicht gemacht. Macht es ein weniger renommierter Kunsthistoriker hagelt es Kritiken. "Wieso macht das X, er/sie hat doch keine Ahnung!" Also, wird es wieder gestrichen. Im Schweigen und Nicht-Handeln ist man sich dann einig, da gibt es Konsens. Nicht gepflegter Kulturgut? Keine visuelle Bildung? Ignoranz? Tant pis, es gibt Wichtigeres! Pieter Bruegel malte den "Blindensturz" 1568. Na und? Muss man nicht kennen, so einfach ist das.

  • Adrian
    25.02.2012 14:00

    Geist ist geil!

    ... für die anderen ist es der Geiz.

    Den Professor verstehe ich schon eine so reizvolle Aufgabe anzunehmen.

    Ich meine aber, dass generell die Kunsthistoriker, die „fest im Sattel sitzen“ und entscheidende Positionen einnehmen, hier besonders gefragt und gebeten sind gegen die schlechte Situation, der sie entronnen sind oder der sie nie existenziell ausgeliefert waren, etwas zu tun.

    Gebührenordnung für Ärzte, Juristen, Architekten und Kunsthistoriker?

    Wäre es beispielsweise sinnvoll über einen gestaffelten, nicht zu verhandelnden, festen Stundensatz nachzudenken, der je nach akademischer Qualifizierung (tariflich) festgelegt wird, sich nach Zeit bemisst und nicht der bei Auftraggebern beliebten ganz offen gezeigten Lohn-Dumping-Einstellung entspricht: "Die machen das ja auch umsonst, weil sie es so gerne tun oder um überhaupt etwas arbeiten zu können."

  • Karin
    25.02.2012 13:14

    Schockierend finde ich, dass er es gemacht hat. Wenn schon anerkannte und im Beruf gefestigte Leute um so eine Lächerlichkeit ihre Arbeit anbieten, wie sollen dann Berufseinsteiger jemals die Möglichkeit finden von ihrem Job leben zu können?

  • Adrian
    25.02.2012 11:01

    ... und wie ist eine angemessene Vergütung für Kunsthistoriker/innen zu erreichen?

    Um dem nachzuspüren, möchte ich gerne eine Diskussion anregen, die vielleicht zu praktischen Auswirkungen führen könnte und zwei spontane Fragen stellen:

    Ist es sinnvoll am Anfang zu beginnen und die Frage nach dem Wert der Arbeit eines Studenten der Kunstgeschichte in seiner Funktion als unbezahlter Praktikant in einer Galerie im Vergleich zu einem – in der Regel bezahlten Praktikums eines Jura- oder BWL-Studenten – zu stellen?
    Wieso ist schon an der Wurzel der beruflichen Karriere eines Kunsthistorikers eine so offensichtlich geduldete und geförderte, finanzielle Nicht- oder Unterversorgung zu erkennen, die sich dann – bis auf ganz wenige Ausnahmen – durch das gesamte Berufsleben zieht?*

    Und nach dem Studium: Wie haben es Juristen oder Architekten u.a. geschafft ein Regelwerk zu erstellen, das Ihnen „üppige“ Vergütungen sichert, die von allen akzeptiert werden und juristisch einfach durchgesetzt werden können – warum schaffen das Kunsthistoriker nicht auch?

    *Wäre es z.B. sinnvoll seitens der Universität einen Kriterienkatalog zu erarbeiten, der eindeutig festlegt, welche Vorgaben ein Unternehmen erfüllen muss, um einen Studenten der Kunstgeschichte überhaupt aufnehmen zu dürfen und so evtl. Ausbeutung vorzubeugen?

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