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Gesellschaftliche Relevanz von Forschung

In England tobt ein Krieg um die Finanzierung der Wissenschaft. Die konservativ-liberale Regierung will ihr Geld (das des Steuerzahlers natürlich) nur in solche Bereiche geben, die gesellschaftliche Relevanz nachweisen können. Hier kommt natürlich alles auf die Definition des Begriffes an. Heißt gesellschaftlich relevant, dass es industriell unmittelbar umsetzbar sein soll? Dann wären die Geisteswissenschaften am Ende. Ist gesellschaftlich relevant auch das, was Reflexion über die und Erfahrungsmöglichkeiten in der modernen Lebensform anregt? Dann könnten sie aufatmen. Aber dass auch die Geisteswissenschaften sich grundsätzlich die Frage stellen sollten, scheint mir schon angebracht. Die Behauptung, dass inbesondere die Geisteswissenschaften zumindestens

auch Dinge tun sollten, die sich in irgendein Verhältnis zur Öffentlichkeit stellen, sollte nicht immer gleich als Populismus weggeputzt werden. Und wie wäre es mit den Möglichkeiten des Internet? Z.B. open access publizieren, damit die Gesellschaft, die die Wissenschaften finanziert, deren Produkte nicht auch noch bezahlen muss? Oder wie wäre es mit einem Blog wie diesem, in dem eine ganze Universität der Öffentlichkeit erklärt, was sie so alles tut? Ich habe das in meiner eigenen Universität mal vorgeschlagen. Viel Resonanz habe ich nicht bekommen.

9 Kommentar(e)

  • Forschung kann aber vor allem im Anschluss an gesellschaftliche Ereignisse relevant sein. War da http://nuitblanche.paris.fr/ jemand, der freundlicherweise in ein paar Sätzen berichten könnte? :)

  • Caroline Gabbert
    30.09.2011 15:14

    Die Differenz zwischen Theorie und nicht-akademischer Berufspraxis zu überbrücken, ohne die kritische Haltung der Forschung aufzugeben, ist nicht einfach, aber schaffbar - meine persönlichen "Helden", auch wenn es komisch klingen mag, sind in dieser Hinsicht Horst Bredekamp oder Hans Belting.

  • Danke für die zusätzlichen Infos zu diesem wie es aussieht nicht auf England begrenztes Unterfangen. Es sieht aus der Ferne kurios aus, kann aber durchaus spannend werden. Den Kreis der Diskussionsteilnehmer (digital oder nicht-digital) zu erweitern, war auch noch nie verkehrt und wie es im Volksmund heißt: "Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt..." :)

  • Sebastian Jung
    30.09.2011 11:04

    Kneipenvorträge können durchaus einen Mehrwert haben und trotzdem für eine nette Abendunterhaltung sorgen. Das heißt dann Neudeutsch "Science Slam" und findet mittlerweile in recht vielen Städten Deutschlands statt.

    Siehe hier:
    http://www.scienceslam.de/

    und hier:
    http://www.scienceslam.org/

    Komischerweise tummeln sich da vermehrt Naturwissenschaftler, deren Forschungsfelder sich zunächst so gar nicht für diese Form der Präsentation zu eignen scheinen.

    Es wäre also durchaus mal eine Herausforderung für uns Geisteswissenschaftler, unsere kreativen Themen auch mal kreativ zu verpacken. Und ich glaube, dass so eine Veranstaltung durchaus auch einen Wert für die eigene Forschung haben kann, da man sich zum einen zwingen muss Begriffe viel klarer zu definieren und verständlich zu machen und zum anderen ganz andere Fragen aus dem Publikum gestellt bekommt, als es in einer Fachrunde der Fall wäre.

  • ... andererseits hat die Sache aber solche Dimensionen angenommen, dass man darüber nur noch lachen kann. Lösen wird man so das Problem sicherlich nicht. Aber es hat groteske Züge angenommen, dass muss man zugeben!

  • Hubertus Kohle
    28.09.2011 07:22

    Ich bezweifele, dass man das Problem durch Ironisierung aus der Welt bringt! Obwohl ... so ein Kneipenvortrag ...

  • Ivy PhD
    28.09.2011 06:17

    Here's one response of the British art historical community to politicians' demands for making research relevant to the general public:

    http://enfilade18thc.wordpress.com/2011/09/19/hannah-williams-art-history-in-the-pub-26-sept/

    So was könnte man auch in Deutschland prima umsetzten: Wie wär's mit ein paar Kneipen-Vorträge??!?

  • Das was unser Fach am ehesten der Öffentlichkeit, den Menschen, näher bringt, ist die Vermittlung unseres Wissens. Die Museen habe es begriffen, das museumspädagogische Programm ist so vielfältig wie nie. Hier zahlt sich etwas aus, was sich anhand der Besucherzahlen, der verkauften Kataloge und Bücher niederschlägt, gleichwohl stimmt die Bezahlung hinten und vorne nicht, was letztendlich ein Zeichen mangelnder Wertschätzung ist.
    Die Kulturwirtschaft ist ein interessanter Faktor der Gesamtwirtschaft, das haben inzwischen auch Politiker erkannt. Doch die geisteswissenschl. Forschung bleibt ein Zuschussadressat, und so belächeln Befürworter einer neoliberalen Geldverteilung unsere Fächer als wirtschaftlich nicht relevant.
    Nach einem erfolgreichen Berufleben als für die Wirtschaft Tätiger, als Arzt/Ärztin, Rechtsanwalt/wältin oder Naturwissenschaftler/in, besuchen sie dann gerne als sog. "Seniorenstudenten" kunsthistor. Veranstaltungen, engagieren sich in kulturellen Freundeskreisen oder widmen sich der Lektüre von Kunstliteratur (sei es print oder online). Unter welchen Bedingungen Personen lehren, schreiben, kuratieren, führen, ist ihnen gleich. Wir alle sind aufgerufen, für unsere Fächer zu trommeln - und uns einzumischen, die Öffentlichkeit und Politik immer wieder darauf zu stoßen, dass es ohne Geist(eswissenschaften) nicht geht!

  • Meine Erfahrung ist, dass sich Geisteswissenschaftler aufgrund ihrer sozialen Kompetenz in Betrieben viel leichter als Absolventen anderer Fachrichtungen integrieren. Sicher sollte man nicht verallgemeinern, aber in der Regel können sie mit Menschen sehr gut umgehen. Außerdem können sie komplexe Zusammenhänge eines Unternehmens (auch mögliche Fehlstellen) erfassen und erörtern und tragen vielfach zur Öffnung des Kollektivs bei, weil sie meistens mehrsprachig sind.

    Darüber wurde und wird eigentlich immer wieder auch in der Presse berichtet (http://www.abendblatt.de/wirtschaft/karriere/article1919648/Womit-Geisteswissenschaftler-punkten-koennen.html) und nicht wenige Unternehmer, die diese Vorteile geisteswissenschaftlicher Mitarbeiter erkannt haben, setzen sie auch um. Leider bestimmt aber das Arbeitsleben auch Trägheit, Provinzialität und nicht selten Neid. Wenn dazu einige Fehlentscheidungen von ängstlichen und/oder von inkompetenten Finanzleuten schlecht beratenen Politikern kommen, ist die Katastrophe komplett.

    Ich glaube also nicht, dass die Geisteswissenschaften am Ende wären, weil ihre Ergebnisse industriell nicht unmittelbar umsetzbar sind. Doch, sie sind es! Hingegen glaube ich, dass die seit Jahrzehnten in die Defensive gedrängten Geisteswissenschaften sich schlecht oder gar nicht offensiv zu verteidigen wissen.

    Ähnlich ist es auch mit dem Internet oder mit dem Web 2.0, wobei die Angst vor der Öffnung (Überfremdung?) auf beiden Seiten stark vertreten sein dürfte. Aber will man denn diese Öffnung? Ich bezweifele das allmählich sehr! :(

    Jeder Kunsthistoriker beispielsweise, der ein Grundstudium absolviert hat, kann was über Bilder, auch über Denkbilder und also über Stereotypen (im weitesten Sinne des Wortes) erzählen und auch erklären, wie sie zustande kommen und wie sie aufgelöst werden können. Wieso interessiert das in der Gesellschaft niemanden oder fast niemanden?! Wieso gibt es keine Abnehmer dieser Spezialisten, die tatsächlich in vielen Bereichen Strukturen ändern und Erneuerungen herbeiführen könnten?! Oder ist dieser Gedankengang zu abgehoben und zu abstrakt? Die Ergebnisse wären es jedenfalls nicht. Sie wären nämlich sehr konkret greifbar.

    Und genau das, so glaube ich und so des öfteren auch meine Erfahrung, ist das Problem! Es ist sehr begrenzt und eigentlich oftmals gar nicht erwünscht. Nicht in den "unteren", nicht in den "mittleren" und nicht in den "oberen" Gesellschaftsschichten!

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