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Inflationärer Michelangelo

Nachdem nun am 5. Juli bei Christie's ein angeblicher Michelangelo versteigert werden sollte (taxiert auf ca. 5 Mio Pfund, vgl. SZ vom 16.6.11: http://www.sueddeutsche.de/kultur/angeblicher-michelangelo-bei-christies-grosser-nacken-kleiner-po-1.1109040

und die FAZ vom 15.6.11: http://www.faz.net/artikel/C31278/rueckenakt-von-michelangelo-einer-aus-der-schlacht-von-cascina-30436892.html ) nun das hier:

http://www.bbc.co.uk/news/uk-england-oxfordshire-14105645

 

Immer neue Meisterwerke des Genies sprießen wie Pilze aus dem Boden oder tauchen in irgendwelchen alten Gemäuern wieder auf, wo sie einen Dornröschen Schlaf schlummerten und fälschlicherweise anderen unbedeutenderen Künstlern - etwa Marcello Venusti - zugeschrieben wurden.

Alles Michelangelo, oder hat unsere Kollegen hier wieder die Zuschreibungswut gepackt?

7 Kommentar(e)

  • Da haben Sie vermutlich recht! Geschichte ändert sich dauernd und gewiss wird in diesem Fall die "inflationäre Zuschreibungspraxis" auch Zeichen von Änderungen in der Forschung sein. Ob sich allerdings die Perspektive auf den Künstler dadurch maßgeblich ändert, da habe ich meine Zweifel. Dafür müssten m.E. die Ergebnisse auch mittels der neuen Medien viel mehr an die Öffentlichkeit getragen und diskutiert werden. Heute sehe ich "Geschichte bei der Arbeit" eher in Blogs als in den traditionellen Forschungseinrichtungen passieren. :)

  • Caroline Gabbert
    15.07.2011 07:16

    Benjamins Überlegungen zum Verlust der Aura des Kunstwerks in der Moderne steht in den Geistes- und Geschichtswissenschaften der Glaube an das, sagen wir mal "historisch Echte", das Original gegenüber, bei treiben sich gegenseitig an. Dass diese Überzeugung, Objektivität und auch Authentizität zu re-kreieren, letztlich eine subjektive Interpretation ist, ist spätestens seit der Kritik des Strukturalismus (Intertextualität, der Leser als Autor) bekannt. Deshalb erforscht die Wissenschaftsgeschichte u.a. Wissenschaftlernetzwerke. Wie Kunsthistoriker und Restauratoren ihre eigene, zeitgebundene Perspektive sozusagen in das Werk eines Künstlers einschreiben, hat Imorde 2009 bspw. in "Michelangelo deutsch!" gezeigt, anderes Beispiele für die Einschreibung von Kunstgeschichte in ein Kunstwerk bietet die Geschichte der Restaurierung antiker Kunstwerke seit der Renaissance. Die "inflationäre Zuschreibungspraxis" ist zwar auch Vermarktungsstrategie und gerade bei Michelangelo kommt die pseudo-religiöse Verehrung eines Künstlergenies zum Tragen. Dennoch zeigen die Zuschreibungen, dass sich im Bereich der Michelangelo-Forschung etwas verändert - und damit unsere gegenwärtige historische Perspektive auf den Künstler. D. h. wir sehen die "Geschichte bei der Arbeit".

  • Georg Hohmann
    14.07.2011 07:35

    Und wieder ist ein "Meisterwerk" aufgetaucht:

    "Der New Yorker Kunsthändler Robert Simon ist auf ein Ölgemälde gestoßen, das nicht nur er, sondern auch maßgebliche Kunsthistoriker für ein eigenhändiges Werk Leonardo da Vincis halten."

    http://www.zeit.de/2011/29/Da-Vinci-Gemaelde

  • Na ja..., den Glauben an das Magische in der Kunst sollte man nicht unterschätzen. Als ich vor Jahren während meines Studiums "das einzige Kreuz mit Beinen der Kunstgeschichte" sah, habe ich verstanden, was die Angst eines Wucherers bedeuten kann. Ich weiß nicht, wie es anderen ergangen ist, aber mir hat Giottos Denkbild in der Cappella Scrovegni (mehr als beispielsweise die Ausführungen von E.H. Gombrich in "Die Geschichte der Kunst" oder von H. Belting in "Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst") vergegenwärtigt, dass der Glaube an das Heilige in der Kunst sehr unbedingt und sehr stark sein kann. Wer mag sich dagegen wehren, wenn man ein Stück von der Cappella Sistina (und damit die Eintrittskarte in das Paradies) zu Hause im Schrank oder an der Wand haben will? Ich fürchte, da hilft nicht viel Aufklärung...

  • Caroline Gabbert
    13.07.2011 17:40

    This drawing, attributed to Michelangelo first by Konrad Oberhuber in 1992, was definitely not hidden in "irgendwelchen alten Gemäuern", as it was in the Collection of Harvard University for the last twenty years. When it was shown in the exhibtion in Vienna 2010/2011 there was the chance for (and surely there was) a discussion among the many connaisseurs who had gathered there for the colloquium at this time. Oberhuber's attribution, that was publicly accepted during a Michelangelo-Symposium in 1988, was probably confirmed in Vienna (although not during the colloquium, I think). So, what I find more questionable than attributions and "branding", is how (surprisingly) close scientific networks and the art market are (still) working together.

  • Stadler
    13.07.2011 09:28

    Oh, I didn't think about it, but indeed - it is comparable. Careers or market. It is much easier to sell a well known brand. A drawing by Giulio Clovio [as proposed in the SZ article] wouldn't generate as much profit as a Michelangelo drawing. So the same goes for publishings... good point.

  • Ivy PhD
    11.07.2011 19:55

    Compare the glut of recent Sistine Chapel publications discussed a month ago in The Art History Newsletter:

    http://arthistorynewsletter.com/blog/?p=5090

    Or popular assumptions among the general public (and perhaps some scholars?) that finding a lost Michelangelo should guarantee your career:

    http://www.blitzquotidiano.it/cronaca-italia/vitale-zanchettin-michelangelo-architettura-romatr-622032/

    Art historians are bemused by the 5 million pounds at Christie's, but their own Michelangelo market is just as speculative--the currency, however, is not pounds, dollars, or euros, but careers. It would be much more difficult find a publisher for any book on Marcello Venusti than for the sixth book in a decade on the Sistine Chapel.

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