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AKL in der Krise?

Am 19. Januar gab der Berliner Wissenschaftsverlag De Gruyter in einer  Presseerklärung im bestem Werbesprech die redaktionelle Neuaufstellung des Allgemeinen Künstlerlexikons (AKL) bekannt, „um es attraktiver an den Nutzerbedürfnissen im 21. Jahrhundert auszurichten“. Ziel der geplanten Kooperation mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München (ZI) ist der Ausbau der Onlineversion des AKL zu einer offenen Plattform, auf der sich alle Interessierten interaktiv austauschen können „um das aktuelle Forschungsinteresse und den aktuellen Wissensstand der Kunstgeschichte abzubilden“. In der FAZ und der SZ war am 11. Februar zu lesen, dass das zwölfköpfige Redaktionsteam des AKL in Leipzig, das über viele Jahre mit seiner herausragenden Arbeit für die wissenschaftliche Seriosität und die lexikalische Qualität des AKL sorgte, im Sommer entlassen wird, weil große Redaktionen laut De Gruyter angeblich nicht mehr zeitgemäß sind. Die Qualitätskontrolle des AKL soll künftig ein Herausgeberkreis am ZI garantieren, unterstützt durch ein internationales Expertenteam.

 

Das wichtigste Langzeitprojekt der deutschen Kunstgeschichte ist in schweres Fahrwasser geraten und man fragt sich, worüber man sich mehr wundern soll: über die Chuzpe, mit der eine Sparmaßnahme von De Gruyter als Innovation deklariert wird, oder über die Sprachlosigkeit der Fachgemeinschaft angesichts einer Entwicklung, die möglicherweise zum völligen Aus für das AKL führen könnte. Für die Basisarbeit bei der Objektdokumentation und bei der Literaturerschließung ist das AKL das wichtigste Werkzeug und nicht wegzudenken. Wenn die These stimmt, dass lexikalische Dinosaurier mit Erscheinungsverläufen über Jahrzehnte aus der Zeit gefallen sind und angesichts der heutigen Nutzererwartungen keine Akzeptanz und keinen Markt mehr haben, dann müsste die Kunstwissenschaft ein starkes Interesse daran haben, zeitgemäße Publikationsformen für das AKL zu diskutieren. Oder ist der fachliche Common Sense bereits so brüchig, dass künstlerbiografische Forschung, die bekanntlich seit Vasari der Grundpfeiler der Kunstgeschichte als Wissenschaft gewesen ist, heute keine zentrale Rolle für das Fach mehr spielt?

 

Die Krise des AKL zeigt exemplarisch die Entfremdung zwischen Wissenschaft und Verlagswesen. Verlage entledigen sich unter dem Diktat betriebswirtschaftlicher Rentabilitätskriterien zunehmend ihrer eigentlichen Aufgabe der Qualitätssicherung im Wissenschaftsbetrieb. Gleichzeitig möchten sie jedoch vom „Content“ profitieren, den andere unentgeltlich produzieren und weiterhin Abos teuer an Bibliotheken verkaufen. Glaubt De Gruyter ernsthaft, dass sich das AKL auf der Seite der Beiträger als offenes Wiki betreiben lässt und auf der Seite der Rezipienten als kostenpflichtiges Portal auf der Verlagsplattform „Reference Global“? Social media als williger Helfer bei der Profitmaximierung funktioniert bei Facebook – funktioniert es auch in Fachverlagen?

 

Das ZI sollte sich bald zu seiner Rolle bei der Fortführung des AKL äußern. Wenn es als „Weißer Ritter“ zur Rettung des AKL antritt, dann braucht es ein tragfähiges Konzept und kompetente und engagierte Mitstreiter. Die von FAZ und SZ berichteten Planungen eines ehrenamtlich tätigen Herausgeberkreises am ZI, der die Arbeit der freien Autoren koordiniert und redaktionell begleitet, wirken jedenfalls noch unausgegoren und geben Anlass zur Sorge. Bei der anstehenden Neuausrichtung des AKL sollte in jedem Falle auf die Expertise der bisherigen Redaktion zurückgegriffen werden und es sollten die vielen Beiträger, die mit großem Idealismus und Engagement über viele Jahre an diesem großartigen Projekt mitgearbeitet haben, in die Planung einbezogen werden. Nur mit dem Einsatz dieser Community hat das AKL eine Zukunft. Auf Verlage kann man dagegen angesichts der heutigen Publikationsmöglichkeiten im Web getrost verzichten.

4 Kommentar(e)

  • p.s.
    Oder wird die bei dieser Datenmenge anzunehmende Datenbankerweiterung bereits in China besorgt?

  • Wird man als Nutzer der Bibliothek des ZI vielleicht in Zukunft freien Zugang zu der Zeitschriftendatenbank von De Gruyter haben? Die Frühmittelalterlichen Studien, die Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, das Romanistische Jahrbuch aber auch die Romanische Bibliographie, die Zeitschrift für antikes Christentum oder die Wittgenstein Studien, um nur einige zu nennen, wären für Kunsthistoriker durchaus von Interesse. Auch einzelne Monographien würden eigentlich für kunsthistorische Arbeit ertragreich sein. Oder darf man dafür weiterhin zahlen, während man sich auf der "offenen Plattform interaktiv austauscht"? Warum wird auch das zu entlassende Redaktionsteam des AKL, das ja nicht mehr zeitgemäß ist, nicht in weiterführende und für die Geisteswissenschaften sinnvolle Datenbank-Erweiterung eingebunden? Vielfache Verknüpfungen zu den naturwissenschaftlichen Publikationen wären beispielsweise nicht nur möglich, sondern auch dringend nötig für das Fach. Ich kann mir gut denken, dass da auch mehr als nur zwölf Arbeitsplätze frei wären. Kurz, wenn man fragen darf: Was gibt es denn für Vorteile im Gegenzug zur ehrenamtlichen oder freien Mitarbeit an das AKL? Immerhin geht es um den größten wissenschaftlichen Verlag auf dem europäischen Festland und der sollte durchaus auch etwas zu bieten haben. Oder etwa nicht?

  • >Social media als williger Helfer bei der Profitmaximierung funktioniert bei Facebook – funktioniert es auch in Fachverlagen?

    Nein!

  • Klaus Graf
    21.03.2011 18:25

    Ich stimme dem Kommentar zu. Ein laufend aktualisiertes Open-Access-Wiki mit Künstlerbiographien, das mit anderen biographischen Nachschlagewerken z.B. via PND vernetzt ist, ist jedem gedruckten Künstlernachschlagewerk vorzuziehen. In einem solchen Wiki könnten Einzelnachweise gegeben werden und Werklisten auch einmal ausführlicher dokumentiert werden.

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