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Zukunft der Geisteswissenschaften

Die englische Regierung hat beschlossen, die Förderung der Geisteswissenschaften an den Universitäten radikal zu beschränken, nein, eigentlich abzuschaffen und nur dort weiter zuzuschießen, wo sie ihre Effizienzkriterien erfüllt sieht – also im wesentlichen in den Ingenieur- und Naturwissenschaften. Die amerikanischen Republikaner wollen den National Endowment for the Arts and Humanities austrocknen. Neoliberal orientierte Regierungen greifen jetzt zu noch vor kurzem unvorstellbaren Mitteln, um die überbordenden Schulden abzubauen, obwohl speziell an dieser Stelle nicht gerade viel zu holen ist. Um so mehr sollte die Entscheidung zu denken geben, weil sie zeigt, auf welch niedriger Stufe die Geisteswissenschaften insgesamt  angesiedelt sind. Für den Fall der Fälle: Sind wir vor solchen Entwicklungen in Deutschland geschützt? Machen wir uns nichts vor, die Verschuldung ist ähnlich hoch, also sind grundsätzlich auch ähnliche Perspektiven denkbar. Klar, die CDU ist keine im Kern neoliberale Partei, und hier läuft ja vieles über die Länderhoheit. Aber sollen wir als Geisteswissenschaftler vielleicht auf die SPD hoffen? Oder gar die Grünen? Sinnvoller erschiene es mir, jetzt nicht gleich wieder in das übliche Lamento zu verfallen, sondern die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz erneut und anders als in den 70ern zu stellen: Auch die verstiegensten (und daher auch in meinen Augen lohnenden) Fragestellungen werden weiter ihre Existenzberechtigung haben, wenn wir grundsätzlich eine positive Vorstellung von der Bedeutung der Geisteswissenschaften in der Moderne haben. Dafür dürfte es nicht reichen, in ihnen einen Kompensationsfaktor für die Zumutungen des Fortschritts zu sehen. Warum nicht auch einmal ein engerer Anschluss an die Naturwissenschaften und deren Methoden? Oder mal mit quantitativen Methoden experimentieren? Oder sich aus den Höhen des wissenschaftlichen Olymps in die Niederungen eines – aber doch qualifizierten – Tourismus begeben, wie das bei pausanio passiert?

12 Kommentar(e)

  • Ioana Herbert
    03.02.2011 00:14

    Ich glaube auch, dass das Bild teuer war. Der Mann ist ja be-tucht und war es wohl auch im übertragenen Sinn. Liebe?! Im 15. Jahrhundert?! Da muss ich noch einiges lesen! Danke für den Tipp! :)

  • C.M.
    02.02.2011 20:00

    Der Blick passt aber nicht zum Idealbild von Ehe. Dann müsste er wohl eher strahlen und sich freuen, wenn man die heutigen Bilder zu Liebesheiraten betrachtet. Er sieht melancholisch, traurig aus, als ob er irgendetwas aufgeben müsste. Das würde zu dem sozialhistorischen Hintergrund passen: "Die Liebe spielte in den meisten Ehen des Mittelalters nur eine untergeordnete Rolle - den Partner wählten Lehnsherren, Dorfpfarrer oder Eltern aus. Für viele Frauen begann mit der Hochzeit ein jahrelanges Martyrium." http://www.burg-assum.de/articles.php?article_id=44. Die Farbe blau könnte hier auch Aufschluss geben: "Im fünfzehnten Jahrhundert trug Maria auf niederländischen Gemälden meistens Rot, weil roter Stoff der teuerste war." Finley S. 330. Aber welcher Stand? Mathematik und van Eyck könnte schwer werden... Niederlande, Jan van Eyck (* um 1390 in Maaseik; † 1441 in Brügge). Geschichte der Mathematik? Wie weit war sie damals? Und wer hängt sich das Bild auf und warum? Die Herstellung des Bildes war bestimmt teuer.

  • Ioana Herbert
    02.02.2011 13:46

    Danke! Über Jan van Eyck weiß man leider sehr wenig. Andererseits erscheint mir das Gemälde auch nicht so rätselhaft (kryptisch), als dass ich über die Zeichenlehre versuchen würde, es zu "entschlüsseln". Im Gegenteil: es scheint mir eine ziemlich offene Darstellung zu sein. Die blaue Sendelbinde umrahmt das junge Gesicht eines Mannes mit leicht melancholischem Blick, der ansonsten recht unauffällig gekleidet ist. In der Hand hält er aber einen goldenen Ring. In Anbetracht der harmonischen Farbgebung sowie der Zeichnung würde ich eher - wenn ich es können täte (wo bleiben die Naturwissenschaftler?) - auf Mathematik zurückgreifen und der Harmonielehre von den Zahlen oder den messbaren Einheiten. Ich glaube, der Mann auf dem Bild (oder der Maler?) hatte eine, aus heutiger Sicht ziemlich ideale (harmonische) Vorstellung von der Ehe... :)

  • C.M.
    02.02.2011 12:25

    Versuchen Sie es doch über die Semiotik und über das Leben von van Eyck herauszufinden. Die Frage lautet also: Was will er damit sagen. Hat er die Binde nur zum Spaß hingemalt? Farben? Kann es auf eine soziale Stellung hinweisen? Religion? Viel Spaß:)

  • Ioana Herbert
    02.02.2011 11:18

    Über Farben und Pigmente ist meines Wissens in der Kunsthistoriographie viel gearbeitet worden. Da scheint das Fach am ehesten Zugang zu den Naturwissenschaften (in diesem Fall Chemie) gefunden zu haben. Wobei ich mir unsicher bin, ob tatsächlich entscheidende Faktoren bei der Entstehung von Gemälden - wie beispielsweise die Vorstellungen von der Substantialität des Lichts, die bekanntlich bis Isaac Newton (1643-1727) vorgeherrscht haben - bei der Beurteilung des visuellen Effekts immer mitberücksichtigt wurden. Ich glaube schon, dass da von seiten der Kunstgeschichte und/oder -wissenschaft Nachholbedarf besteht. Vielleicht war tatsächlich die heute extravagant erscheinende Kopfbedeckung des Mannes mit der blauen Sendelbinde von Jan van Eyck mehr als nur ein Modeaccessoire...

  • C.M.
    02.02.2011 10:12

    Ich darf auf ein fabelhaftes Buch im Zusammenhang mit Farben aufmerksam machen: Victoria Finlay: "Das Geheimnis der Farben. Eine Kulturgeschichte." List, 2007. Dort wird unter anderem über Bleiweiß geschrieben, welches jahrelang verwendet wurde und eine sehr schädigende Wirkung auf die Atmung hat. "An der Stelle, an der Aktaion abgebildet ist, befindet sich eine Wolke aus Bleiweiß, die Tizian so oft übermalt hat, bis er mit der Darstellung des zerknirschten Voyeurs, der von seinen eigenen Hunden zerfleischt wird, zufrieden war." (S. 141)

  • Ioana Herbert
    01.02.2011 20:50

    Das denke ich auch! Ich denke, dass Jan van Eyck über die chemische Beschaffenheit seiner Pigmente und Bindemittel, über die Anatomie seines Modells und über die thermische Qualität der blauen Farbe besser Bescheid wusste, als man gemeinhin annehmen würde. Auch über Quantität (Dosierung) von kalten und warmen Farbtönen und über das Verhältnis von Formen und Flächen zueinander innerhalb eines begrenzten, bidimensionalen Rahmens wusste er Bescheid. Er hatte mit Sicherheit auch Relevanzkriterien, nach denen er in seinem Gemälde manches zeigte, anderes verbarg und sehr vieles weg ließ. Ich fürchte fast, dass man ohne Grundkenntnisse vieler Naturwissenschaften über dieses Gemälde kaum etwas Bestimmtes sagen kann...

  • Sebastain Jung
    01.02.2011 11:56

    Der Bruderschluss der Geisteswissenschaften mit den Naturwissenschaften scheint mir in bestimmten Bereichen unserer Disziplin durchaus sinnvoll. Da heute alle von Inter- oder Transdisziplinarität sprechen, wäre es nur folgerichtig die Naturwissenschaften dort zu befragen, wo sie die geisteswissenschaftlichen Ansätze ergänzen und sogar befruchten können.
    Komischerweise hat man auf der Gegenseite - wie weiter oben ja bereits erwähnt wurde - längst erkannt, das der Dialog der Disziplinen notwendig ist. Besonders produktiv geschieht das gerade bei der Schnittstelle zwischen Hirnforschung und Philosophie. Auch wenn man sich überwiegend streitet, versucht man dennoch, die Gegenpositionen zumindest ausgiebig zu diskutieren, was häufig eine interne Begriffsschärfung zur Folge hat.
    Für große Bereiche der Kunstgeschichte liegt ebenfalls eine Chance in den neuen Methoden der Neurowissenschaften. Andersherum zeigen Neurowissenschaftler bereits seit den 1990er Jahren großes Interesse an der Kunst und Ihren Wahrnehmungsregeln, mit häufig verblüffenden Erkenntnissen. (Vgl. Martin Dresler (Hg.): Neuroästhetik: Kunst - Gehirn - Wissenschaft. Leipzig 2009)
    Kunstgeschichte sollte also auf diesen Vorschlag zum Dialog eingehen, zumal die Naturwissenschaften ja auch immer schon eine anregende und produktive Quelle für die Künstler selbst waren und sind.

  • Ioana Herbert
    31.01.2011 18:40

    Es ist so: Die alljährlich in Brüssel stattfindende, internationale Antiquitäten- und Kunstmesse Brafa (http://www.brafa.be/) wirbt seit mindestens zwei Jahren mit einer Reproduktion nach einem Gemälde von Jan van Eyck (vor 1395-1441), dem "Mann mit der blauen Sendelbinde", das sich seit bald fünf Jahren wieder an seinem angestammten Platz befindet, dort wo es schon vor 1948 zu sehen war, nämlich in dem Hermannstädter Brukenthal-Museum, dem Stadtpalast des ehemaligen Gouverneurs von Siebenbürgen, Samuel von Brukenthal (1721-1803). Kein Mensch auf der Welt (auch kein Kunsthistoriker) wird vermutlich jemals sagen können, wer der Mann auf dem Bild war. Aber (!) anders als die meisten Menschen auf der Welt wird ein(e) Kunsthistoriker(in) sagen können, wie es zu diesem Gemälde kam, das heute - mehr als 500 Jahre danach - ein so hohes Ansehen genießt. Das mag einerseits kompliziert (obwohl der künstlerische Prozess mit der bekannten Selektion aus einer Fülle von Informationen aus der Realität der heutigen Datenverarbeitung nicht allzu entfernt und insofern leicht zu vermitteln sein dürfte) und andererseits nebensächlich erscheinen, ist es aber im Hinblick auf die Entstehung, Bewahrung und Vermittlung von Werten nicht. Man kann darauf verzichten mit dem voraussehbaren Ergebnis, dass in weiteren 500 Jahren niemand mehr, nicht einmal ein(e) Kunsthistoriker(in) wird wissen wollen, wer der Mann auf dem Gemälde war. So einfach ist es! :)

  • C.M.
    31.01.2011 09:54

    England ist aber nicht Bayern... Deutschland steht im Vergleich zu anderen europäischen Ländern finanziell sehr gut da. Und die Geisteswissenschaften per se gibt es nicht. Also ganz so dramatisch sehe ich die Sachlage nicht. Ich darf auf einen Artikel in der SZ hinweisen: "Damals hatte die LMU den Elite-Uni-Status und Dutzende Millionen Euro für große Forschungsverbünde bekommen." http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/praesidentenwahl-an-der-lmu-highnoon-an-der-hochschule-1.946326-2. Weiter so!

  • Martin Warnke
    30.01.2011 22:04

    Als gelernter Naturwissenschaftler kann ich nur beisteuern: irgendwer muss verstehen, deuten, kritisieren und einschätzen können, was vorgeht. Und das sind NICHT die Naturwissenschaften. Das schützt allerdings vor garnichts, auch nicht vor der Abschaffung der Geisteswissenschaften.

  • C.M.
    30.01.2011 19:23

    Kurios. Erst neulich hatte ich eine ähnlich Debatte mit einem Studenten der Naturwissenschaften geführt, wobei dieser total von Geisteswissenschaften begeistert war. Es gibt zahlreiche Broschüren über so genannte "Soft Skills", auch bei Student und Arbeitmarkt etc. Was kann die Kunstgeschichte speziell vermitteln? Sehen lernen, Dinge strukturieren, Phänomene von denen jeder umgeben ist, zu verstehen. Jeder erhält Besuch und ein fundiertes Hintergrundwissen bei einem Stadtrundgang kann sehr bereichernd sein. Ich selbst liebe die Gespräche über Gebäude mit Architekten und Statikern. Und die Wissenschaft? Ältere Gebäude und Bilder sind Geldanlagen. Vielleicht wäre eine Einbindung in Ökonomie sinnvoll. Es gibt zahlreiche Sammler von Bildern, die viel Geld investieren. Warum im Nebenfach relativ langweiliges BWL studieren? Die Kassen sind leer und warum? Die Antwort kennt jeder. So könnte man doch mehr über Zahlen und Ausgaben in Vorlesungen berichten um auf Zusammenhänge aufmerksam zu machen. Beispielsweise wie viel der Bau des Petersdomes gekostet hat usw. Auch unter einigen Königen waren die Kassen leer und dennoch wurde nicht an der Kunstförderung gespart. Dafür gab es Krieg...

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