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Dresden. Stadt der Skandale?

Wieder einmal hat es die Stadt Dresden in die Schlagzeilen geschafft. Man erinnert sich noch an Berichte über Straßenschlachten zwischen Neonazis und linksautonomen Gegendemonstranten rund um den Bahnhof Neustadt sowie den stillen Protest gegen Rechts und die Debatte um die Historikerkomission zur Ermittlung der Opferzahlen von Bombenkrieg und Feuersturm. Überaus emotionale Diskussionen verursachte auch die Rekonstruktion der Frauenkirche (vgl. etwa das Projekt „Auf den Spuren Canalettos. Stadtansichten mit der Camera Obscura“). Erst kürzlich sorgten der Bau der Waldschlösschenbrücke und die damit verbundene Aberkennung des UNESCO-Weltkulturerbestatus für internationale Aufmerksamkeit. Zu denken ist aber auch an Fernseh- und Filmproduktionen, die sich der Vergangenheit Dresdens aus einer zeitgeschichtlichen Infotainment-Perspektive angenähert haben. Und nun Glücksgas!?

 

Bellotto-Rahmen auf der Brühlschen Terrasse - Photo von Martin Höppl 

 

Der Gasanbieter mit dem durchaus sonderbaren Namen Glücksgas wurde jüngst auserkoren, als Namensgeber für das gerade fertiggestellte Dynamo-Stadion (vormals Rudolf-Harbig-Stadion) von „Beyer + Partner Architekten“ aus Rostock herzuhalten. Das Stadion am Dresdner Volkspark liegt nur etwa 2 km Luftline von der Waldschlösschenbrücke entfernt. Der unmittelbar neben dem, nach dem jüdischen Arzt und Bankier benannte Georg-Arnhold-Bades gelegene Millionenbau soll einem zeitweise mit der Insolvenz kämpfenden Fußballclub als Spielstätte dienen. Zudem hatte der Verein in den letzten Jahrzehnten zu Recht mit einem durchaus zweifelhaften Ruf zu kämpfen. Geradezu albtraumhaft erlebte etwa auch ich eine Zugfahrt von der Lausitz in die sächsische Landeshauptstadt vor ein paar Jahren: Der Zug war voll besetzt mit alkoholisierten, agressiven Schlachtenbummlern, die nicht davor zurückscheuten antisemitisches und rassistisches Liedgut zum Besten zu geben… Wie tiefgreifend die jüngsten Maßnahmen von Fanprojekten waren bleibt abzuwarten. Da der Verein nicht der Besitzer des Stadions ist, hatte er wohl kaum Mitspracherechte bei der Umbenennung des Stadions.

 

Mittlerweile ist die Praxis Sportstadien und Stadthallen nach Sponsoren zu benennen allgemein etabliert. Während noch vor wenigen Jahren lediglich verdienten Persönlichkeiten wie Fritz Walter die Ehre zu Teil wurde ein Bestandteil des kollektiven Namensgedächtnisses zu werden, genügt kulturelles und soziales Kapital heute offensichtlich nicht mehr für eine prominente Widmung. So wurde etwa das ehrwürdige Westfahlenstadion in Signal Iduna Park umbenannt (wohl gemerkt ohne Bindestriche), oder die Sportarena auf Schalke erhielt den Namen des Bierproduzenten Veltins. Das Hamburger Volksparkstadion heißt derzeit Imtech Arena und hat seit 2001 bereits viermal den Namen gewechselt. Bekanntheit erreichte auch die Kröver Nacktarschhalle, benannt nach einer Moselweinsorte. Können manche Namen noch assoziativ mit einem Sinn gefüllt werden, so etwa bei dem verhältnismäßig kleinen Playmobilstadion in Fürth (mittlerweile Trolli Arena), oder der FCB/1860-Spielstätte Allianz-Arena von Herzog & de Meuron, müsste der Otto Normalverbraucher die meisten neuen Namen erst googlen (vgl. die größten Fußballstadien in Deutschland). Im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stehen offensichtlich nicht mehr hohes Renommée und Verdienste um die Allgemeinheit, sondern Fragen der Wertsteigerung und Finazoptimierung. Manche Unternehmen versuchen somit ihr Branding zu unterstützen, d. h. ihre Markenpositionierung zu optimieren.

 

Es bleibt festzuhalten, dass die Umbenennung in Glücksgas-Stadion nicht von übermäßigem Fingerspitzengefühl zeugt. Die ambivalente und missverständliche Bedeutung des Wortes „Gas“ in einem historischen Kontext, dürfte man meinen, sollte eigentlich jedermann bekannt sein. So wurden umgangsprachliche Redewendung, wie etwa „Üben bis zur Vergasung“ glücklicherweise seit längerem in den verbalen Giftschrank verbannt und auch die Formulierung „innerer Reichsparteitag“ bricht sich nurmehr mit unfreiwilliger Komik Bahn (vgl. Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn auf youtube). Was es über unsere Erinnerungskultur und das Geschichtsbewußtsein aussagt, dass Teile des allgemeinen Gedächtnisses von häufig nichtssagenden Konzernnamen geprägt sind, werden zukünftige Generationen neuerlich beurteilen. Was der internationale Umbenennungsboom noch bringen wird bleibt abzuwarten: Auch die Umbenennung des Münchner Hauptbahnhofs (vormals Centralbahnhof) in Munich Re Central Station (vormals Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft) wäre vielleicht denkbar. Oder wie wäre es damit, das Brandenburger Tor in Berliner Pilsner Gate umbzubenennen? Vielleicht ließe sich auch der Hamburger Michel als Holsten Tower vermarkten.

 

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