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Wissensarchive

„In Zeiten der Digitalisierung und ständig sich erweiternder Informationssysteme stehen Museen, Bibliotheken und Archive vor zahlreichen neuen Aufgaben und Herausforderungen“: so wurde eine Tagung über "Wissensarchive" angekündigt, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der letzten Woche veranstaltete. Mein Part dabei war es, die Erwartungen der Nutzer an die Wissensarchive (das sind die Museen, Archive etc.) zu formulieren. Da habe ich natürlich keine falsche Bescheidenheit gezeigt und gesagt, am liebsten sei es dem Nutzer, er/sie könne mõglichst viel, am besten alles über Internet abrufen, noch dazu ohne großen Aufwand. In der Praxis würde das heißen, dass etwa die Museen massiv ihre Bestände ins Netz stellen müssten und diesen Prozess nicht unnötig durch allzu aufwändige eigene wissenschaftliche Erschließungen verlangsamen. Irgendwie kommen solche Forderungen bei den Museumsleuten nicht gut an. Sie glauben, zu reinen Serviceunternehmen zu verkommen, wenn sie so vorgehen.

Hinzu kommt eine gewisse verdeckte Angst, die Nutzer könnten mit diesen flach

erschlossenen Materialien eventuell Dinge anstellen, die nicht im Sinne der

anbietenden Institution sind. Auch der Hinweis darauf, dass zukünftig verstärkt

diejenigen Museen Erfolg haben werden, die umfangreich mit ihren Beständen im

Internet vertreten sind, ist wenig hilfreich. Als Unimensch hat man es mit den

Museumsleuten sowieso immer schwer. Sie insistieren auf ihrem eigenen

Forscheranspruch (den ich ihnen im übrigen natürlich überhaupt nicht abspreche), und fühlen sich permanent irgendwie ausgebeutet. Mein Ideal dagegen: Das Material ist umfangreich im Netz, und Wissenschaftler/innen aus Universität und Museum bemühen sich zusammen mit der Öffentlichkeit um dessen Deutung!

5 Kommentar(e)

  • Michael Hofbauer
    19.12.2010 11:19

    Wir können nicht die Ursachen des Problems der vermeintlichen "Datenhoheit" (insbesondere wenn es um nicht mehr mit Urheberrechten belegten Abbildungen geht) bekämpfen, indem man an soziale Kompetenz aller Beteiligten appelliert oder (wie in Ihrem Fall, Herr Graf) mit der Keule auf den Gegner eindrischt.
    Es bedarf dringend eindeutiger, für alle Beteiligten gültige rechtliche Auslegung gesetzlicher Vorgaben des UrhG. Nur diese könnten den Tanz ums goldene Kalb beenden, der übrigens nicht nur in Museumskreisen getanzt wird, sondern auch in Wissenschaftskreisen weit verbreitet ist. Allerorten herrscht ein Schachern mit Informationen jeglicher Art, die nur dem eigenen, karrieristischen Fortkommen dienen sollen und deshalb zurückgehalten werden...
    Hierbei wird eindeutig Forschung verhindert!
    Mein Vorschlag: Die Gerichte mit einer Flut von Klagen zum Grundrecht der freien Forschung konfrontieren. Nur eine eindeutige Rechtssprechung kann im Digitalzeitalter einen Informationsaustausch gewährleisten, der nicht von finanziellen Möglichkeiten oder Rechtsunsicherheiten beherrscht wird!
    Ich habe beschlossen, einen Musterprozess gegen einen Kollegen (!) sowie ein Museum zu führen, die für sich Rechte in Anspruch nehmen, die nach meiner Meinung nicht existieren.
    Ob der Spatz, der einer Krähe ein Auge auszuhacken versucht, dies überlebt, wird man sehen...(vielleicht kommen ihm andere Spatzen zu Hilfe?)

  • Klaus Graf
    17.12.2010 23:16

    Sollen wir den Tyrannen, die uns Tag für Tag erniedrigen, zum Dank auch noch die Füße lecken, Herr Kohle?

  • Hubertus Kohle
    15.12.2010 14:15

    Zu Klaus Graf: In der Sache ist das sicherlich richtig, ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man mit der Wortwahl nicht das Gegenteil dessen erreicht, was man anstrebt!

  • Klaus Graf
    14.12.2010 22:01

    Nun die Archive sind auch nicht besser; graduell besser sieht es aus bei vielen wichtigen Bibliotheken.

    Ich brauche dringend eine DVD mit einer umfangreichen handschriftlichen Chronik aus dem NÖ Landesarchiv. Nichts wäre einfacher, als sie für private Studienzwecke gegen eine angemessene Schutzgebühr sagen wir mal 30 Euro mir zuzuschicken. Brennen und fertig. Aber nein, ich soll 50 Cent je Aufnahme zahlen und das kann ich mir für die ganze Handschrift nicht leisten. Und für die Höhe der Kosten wird dann das Versehen aller Abbildungen mit einem Wasserzeichen bemüht, was aber nach deutschem Gebührenrecht unzulässig ist, da ein (von mir bekanntlich verabscheutes) Wasserzeichen ausschließlich im öffentlichen (fiskalischen) Interesse in die Digitalisate gemüllt wird.

    Bei den Museen gibt es genügend Beispiele (z.B. DHM), bei denen unbrauchbare briefmarkengroße Abbildungen ins Netz gestellt werden.

    Hier kommt zweierlei zusammen:

    1. der Wunsch nach Abzocke der Benutzer (es ist egal ob da nennenswerte Einnahmen erzielt werden, man behandelt kulturelles Allgemeingut als kommerzielle Ware, die man vermarkten möchte)

    2. die Zwingherrenmentalität, die eine Kontrolle der Benutzung und verwertung anstrebt. dass dies rechtswidrig ist, kümmert nicht. Man versteht sich als HERRSCHER, nicht als Treuhänder von Kulturgut, man will Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit vorschreiben, was und wie veröffentlicht werden darf, man gängelt die Forschung, weil man im Grunde eine miese kleine Lampe in einem großen Laden ist, die es zu nichts mehr als zu einem Kurator = Zerberus = Gatekeeper = Türsteher gebracht hat. Das einzigartige Machtgefühl, Wissenschaftler 10 Euro für eine einzige digitale Fotokopie zahlen zu lassen (Veste Coburg) oder ihnen Knebel-Verpflichtungsscheine abzuverlangen, entschädigt diese Winzlinge für die alltäglichen Demütigungen ihres Behördenalltags.

  • C.M.
    14.12.2010 17:19

    Sehr geehrter Herr Kohle,

    irgendwie verstehe ich die ganze Debatte nicht. Ich muss Ihnen recht geben, wenn Sie die Sachlage kommentieren mit : "Da habe ich natürlich keine falsche Bescheidenheit gezeigt und gesagt, am liebsten sei es dem Nutzer, er/sie könne mõglichst viel, am besten alles über Internet abrufen, noch dazu ohne großen Aufwand." Ist so.
    Was ich nicht verstehe ist die Angst der Museen, "die Nutzer könnten mit diesen flach
    erschlossenen Materialien eventuell Dinge anstellen, die nicht im Sinne der
    anbietenden Institution sind." Frage: Wenn ich einen von den Museen zusammengestellten Ausstellungskatalog kaufe, weil ich die Bilder daheim in großartiger Qualität kommentiert besitzen will und meistens sehr viel Geld bezahle, kann ich damit nicht auch machen was ich will? Ich kann die besten Bilder rausreißen, mit Edding bemalen, die schlechten verbrennen, Papierflieger basteln, einscannen, hochladen etc. Also geht es hier wohl eher um Geld.
    Der entscheidene Punkt ist folgender: "Das Material ist umfangreich im Netz, und Wissenschaftler/innen aus Universität und Museum bemühen sich zusammen mit der Öffentlichkeit um dessen Deutung!" Richtig! Geht es hier um Macht? Geld? Status? Fakt ist doch folgender: Kein Internet der Welt und keine virtuelle Welt, sei sie noch so gut, kann das Gefühl der Realität ersetzen. Das Gefühl, wenn ich in ein Museum gehe, der Parkett knarzt unter meine Schritten, es ist Stille und ich sehe das Original, die kleinsten Pinselstriche, gehe nah an das Bild, gehe weiter weg, höre andere Personen sich unterhalten, atme den speziellen Geruch ein etc. Das kann man nicht ersetzen! Ich kann mich virtuell in Seminare und Vorlesungen setzen, aber keines kommt dem gleichen Genuss nach, wie mich in eine exzellent vorbereitete Vorlesung zu setzen mit Situationskomik und es live erlebe. Die Museen brauchen keine Angst zu haben, weil der Mensch auch sinnlich ist und nicht nur funktional. Und hier liegt deren Potenzial, Kunden für Ihre Sache zu gewinnen. Kunst und Museen sind auch emotionale Angelegenheiten! Und wenn die Museen "nur" auf ihrem eigenen Forscheranspruch setzen, dann gibt es bald nur noch superintelligente Wesen, ohne Herz und wir lesen still und heimlich daheim Sonette und singen Weihnachtslieder, lesen Balzac und schimpfen über unsere Mitmenschen weil alle gefrustet sind und gehen in Herzensangelegenheiten zum Therapeuten oder werden Alkoholiker. Traurig!

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