blog.arthistoricum.net

Pollice verso?

Die Neubewertung der  Salonmalerei, welche Hans-Joachim Müller anlässlich der Münchener Gabriel von Max-Ausstellung in der Welt wortgewaltig in die Schranken weist, ist eigentlich schon länger im Schwange. Das Pariser Musée d'Orsay, einmal mit dem Anspruch angetreten, die Wirklichkeit der Malerei des 19. Jahrhunderts gegenüber der kunsthistorischen Konstruktion zu rehabilitieren, widmet jetzt dem Erz-Salonmaler Jean-Léon Gérôme eine große Ausstellung, die - wie wäre es in diesem Museum anders zu erwarten? - vom Publikum überrannt wird.

 

Konnte man bei von Max mit dem Hinweis auf seine Orientierung am Darwinismus eine Modernität im Gewande des scheinbar Traditionalistischen erkennen, so ist das übrigens bei Gérôme nicht anders. Gestartet als spätingristischer Bibelmaler, vertritt er danach mit dem Néo-Grec eine scheinbar klassizistische Richtung, die deren Geist in der archäologischen Genauigkeit eigentlich unterläuft, um in den späten 1850er Jahren mit dem Orientalismus sein Lebensthema zu entdecken, das sich im Gefolge und bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein mit sensationslüsternen und voyeuristischen Historienszenen vermischt. Modern ist der von der Avantgarde wie von den Akademikern - wenn auch mit unterschiedlichen Motivationen - verachtete Gérôme aus mehreren Gründen, die in Deutschland insbesondere von Wofgang Kemp und Stefan Germer herausgearbeitet wurden:

 

Kemp hat anhand der Ermordung des Generals Ney (1868) seine aus der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsästhetik adaptierte Idee der Leerstelle ausgeführt, Germer in einem seiner vielen genialischen Texte dessen quasi-photographische, klassische Formen der im fruchtbaren Moment mündenden Bilderzählung außer Kraft setzende Ästhetik des "taken on the spot" analysiert. Mit einer solchen  Ästhetik, die sich vor allem in den orientalisierenden Bildern mit einer zuweilen anzüglichen Häufung von pornographischen und ebenso lustvoll grausamen Motiven mischt, konnte Gérôme zum Vorläufer des Historienfilmes werden, der die populären Themen des 19. Jahrhunderts in seinen Beritt übernahm und der Avantgarde eine Nischenexistenz im Kennerambiente überließ.

 

Im Rahmen einer provisorischen Neuhängung präsentiert das Musée d'Orsay unmittelbar hinter dem Ausgang seine schönsten Bilder von Gauguin und aus der Schule von Pont Aven. Man kann es drehen und wenden wie man will: Der Anblick ist im Vergleich doch eine Erholung und ein Wunder für die Augen!

 

1 Kommentar(e)

  • Wenn man sich beispielsweise die "Bilder des Tages" auf sueddeutsche.de ansieht, kann man vielleicht besser verstehen, was die Museen und Galerien in die Arme der Akademiemalerei treibt. Als willkommener Kontrast zu der alltäglichen Überflutung mit Bildern aus den Medien, haben die alten Leinwände vielleicht eher Chancen von Besuchern besichtigt zu werden, als Arbeiten, die formal und inhaltlich leichter in Konkurrenz zu Fotos des Gegenwart treten. Sicher ist - kunsthistorisch betrachtet - ein Gauguin von aktuellen, farbenfrohen Aufnahmen aus New Delhi beispielsweise nicht zu übertreffen (http://www.sueddeutsche.de/leben/momentaufnahmen-bilder-des-tages-1.1030557-2), aber wer will heute noch ein Museum betreten, um Ähnliches zu sehen, was täglich über den Bildschirm läuft? Im Gegenzug dazu haben ein Gabriel von Max oder ein Jean-Léon Gérôme für den Bilderkonsumenten unvergleichlich mehr Reiz. Es fragt sich nur sicherlich, was die Kunstgeschichte mit den längst durchgekauten Namen und Gemälden heute noch anfangen soll? Wenn man die Bilder sieht und die Artikel in der Presse liest (erstaunlich wie viel sich darüber schreiben lässt! http://www.latribunedelart.com/jean-leon-gerome-article002842.html ), entwickelt man geradezu automatisch eine Vorliebe für die Moderne und man wird zu einem dezidierten Verfechter der Dada-Bewegung. Vielleicht hat dieser Trend darin gerade auch seine gute Seite, indem es bei manchen den Blick für den bildlichen (und inhaltlichen) Nonkonformismus und dem Potential des neuen Mediums Internet schärft. :)

Kommentar

Kontakt

Kommentar

Absenden