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'Oublier l’Italie' - Antrittsvorlesung von Andreas Beyer in Paris am 29.10.2009

Gastkommentar von Dominik Brabant, Paris

 

‚Oublier l’Italie – Karl Friedrich Schinkel à Paris‘ – der Titel der Antrittsvorlesung von Professor Andreas Beyer, dem seit 2009 amtierenden Direktor des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris, war bestechend gewählt und durchaus auch programmatisch zu verstehen. Die Vorlesung fand gestern Abend im gut gefüllten, von französischen und internationalen Gästen besuchten Auditorium des unmittelbar zum DFK benachbarten Institut National d’Histoire de l’Art statt.

Nach einleitenden Grußworten des Deutschen Botschafters, Reinhard Schäfers, der Direktorin des INHA, Prof. Antoinette Le Normand-Romain und des Vorsitzenden des Stiftungsrates der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, Prof. Heinz Duchhardt, sprach Prof. Beyer über eine bislang von der Forschung kaum beachtete Leerstelle in Schinkels architektonischer Entwicklung: seine beiden in biographischer und vor allem architektonischer Hinsicht einschneidenden Reisen nach Paris von 1804 und 1826. Während Schinkel noch heute in erster Linie als begeisterter Philhellene und Italienliebhaber gilt, fand der Einfluss französischer Architektur auf seine Werke bislang wissenschaftlich wenig Beachtung. Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass Schinkels erste Begegnung mit Paris noch deutlich von kritischer Distanz gegenüber einem sich radikal modernisierenden und von den geschichtlichen Ereignissen der ‚Sattelzeit‘ umgewandelten Umfeld geprägt war: Paris schien ihm in seiner historischen und politischen Verzeitlichung als unüberbietbarer Gegenentwurf zu dem vermeintlich zeitenthobenen, vom Geist der Antike durchtränkten Rom– kein Wunder, dass Schinkel zeitweise die ruhigen Säle des Louvre dem lärmenden Treiben auf den Pariser Straße vorzog. Doch spätestens mit dem seit 1822 geplanten und ab 1825 realisierten ‚Alten Museum‘ in Berlin zeigt sich deutlich in Schinkels architektonischer Formensprache – so Beyer - ein tiefgreifender Einstellungswandel gegenüber Frankreich, der sich nicht zuletzt auch in der Begeisterung des Architekten für die Modernität der Pariser Ingenieurskunst insbesondere im Gebäude der Börse zeigt: Paris wurde für Schinkel so zum genius loci einer modernisierten, aktualisierten und verzeitlichten Antike.

Dass Schinkels Abkehr von Italien und seine emphatische ‚Wende‘ zu Frankreich zumindest indirekt auch als autobiographischer Kommentar des Vortragenden gelesen werden konnten, war dabei freilich ein offenes Geheimnis. Wenngleich der Titel des Vortrags zunächst auch den Gestus einer radikalen Kehrtwende suggerierte, so wurde doch bewusst, dass das Wort ‚Vergessen‘ immer auch semantischen Spielraum erlaubt. Denkt man im alltagssprachlichen Gebrauch doch meist an das, was unwiederbringlich aus dem Gedächtnis erlischt, an verschüttetes oder verlorenes Wissen, so hat sich spätestens seit Nietzsches berühmter Polemik ‚Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben‘ oder auch seit Freuds Studien zur Funktion des seelischen Apparats eine weitere Bedeutungskonnotation eingeschlichen, auf die womöglich auch der gestrige Vortrag abzielte: ‚Vergessen‘ gilt seither auch als eine elementare Fähigkeit des Menschen, um Raum für neue Perspektiven zu schaffen und so kreatives Potential freizusetzen. Dass diese Neuöffnung auf großes öffentliches Interesse stößt, wurde nicht zuletzt beim dichten Gedränge in den Räumlichkeiten des Forums beim anschließenden Empfang offensichtlich.

2 Kommentar(e)

  • Tout à fait! Frage mich nur, wieviel (kunsthistorische) Kreativität ein Bild verträgt? Vielleicht mehr als von einem Restaurator verlangt wird... vielleicht aber auch nicht.

  • Leo Naphta
    31.10.2009 01:19

    dazu fallen mir Heinestrophen ein:

    Der Kahn zerbrach in eitel Trümmer,
    Die Freunde waren schlechte Schwimmer,
    Sie gingen unter, im Vaterland;
    Mich warf der Sturm an den Seinestrand.

    Ich hab ein neues Schiff bestiegen,
    Mit neuen Genossen; es wogen und wiegen
    Die fremden Fluten mich hin und her -
    Wie fern die Heimat! mein Herz wie schwer!
    (aus: die Lebensfahrt)

    Es wäre ja törricht zu glauben, man könne nicht von alten Leidenschaften lassen und die Ironie des Vortragstitels ist zweifelsohne wohlplatziert aber ich sehe - wie D. Brabant - hierbei durchaus bewusst gesetzten, semantischen Spielraum. Wollen wir daher hoffen, dass die positive und anregende Atmosphäre des Forums auch unter der neuen Leitung erhalten bleibt!

    bene valete

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