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Digital gestützte Projekte in der Kunstgeschichte

Vor ein paar Wochen habe ich an der Präsentation eines an sich sehr verdienstvollen digital gestützen Projektes teilgenommen. Es ging um die Internet-Publikation der mittelalterlichen Handschriften in der Pariser Bibliothèque Nationale. Das Problem dabei ähnelte dem vieler anderer Projekte, die man auch aus Deutschland kennt: Der Anspruch an die intellektuelle Erschließung der Handschriften war enorm. Er führt dazu, dass nur eine relativ kleine Menge von Objekten letztlich online gestellt wird, da man nur das publiziert, was vollständig erschlossen ist.

 

Wäre es nicht besser, erst einmal in großer Zahl die Dokumente zur Verfügung zu stellen und sie dann in einem zweiten Schritt mit Metadaten zu versehen? Dient dem/r interessierten Nutzer/in ein unkommentiertes Werk nicht mehr als eines, das zwar kommentiert, dafür aber erst in 10 oder 20 Jahren im Internet greifbar ist? Mir scheinen auch an dieser Stelle die beiden goldenen Internet-Regeln Publish first, filter later und Quick and dirty gültig zu sein, egal was wir Wissenschaftler/innen in unserem Perfektionsdrang davon halten. Zumal "schmutzig" hier nur cum grano salis zu verstehen ist, also die tendenziell flache Erschließung meint.

 

Ansonsten läuft es häufig so: Die DFG finanziert uns ein 2-jähriges Projekt, wir setzen zwei wissenschaftliche Mitarbeiter und relativ wenige Hilfskräfte ein, die das Scannen der Objekte übernehmen. Die Hälfte der Zeit vergeht mit der komplexen Konzipierung, nur relativ wenig Zeit bleibt für die eigentliche Digitalisierung, so dass die rein quantitativen Ergebnisse dann relativ mager sind. Mal ganz zu schweigen von den vielen abgebrochenen Projekten, die jetzt als Datenhalde auf irgendeiner Festplatte vor sich hinschlummern. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Die sorgsame Vorbereitung dieses Prozesses ist unabdingbar, aber die Zurückhaltung bei der Veröffentlichung der Bestände scheint mir doch unangemessen, so als hätte wir Angst davor, die Nutzer könnten mit dem Material Blödsinn anstellen, wenn wir sie davor nicht mit detaillierten Zusatzinformationen schützen.

3 Kommentar(e)

  • Ioana Herbert
    18.06.2009 07:06

    Ich bin mir nicht sicher, dass ich das Prinzip richtig verstanden habe, aber ich will es versuchen. „All das“ soll eben nicht mehr aus einer begrenzten Anzahl von „Töpfen“ gezahlt, sondern ausgelagert werden. Bestimmte Teilbereiche der Forschungsarbeit sollen geoutsourced (von engl. „outsourcing“), sprich: einem interessierten Publikum zur Verfügung gestellt werden. Stichwort: „homo ludens“. Spielerisch sollen Fachfremde digitalisierte Bilder nach für die Wissenschaft relevanten Gesichtspunkten erschliessen. Die bislang subjektive Bildbeschreibung in der Kunstgeschichte könnte beispielsweise so durch eine kollektive ersetzt werden. Was danach in der Forschung passieren wird, ist schwer vorauszusagen, aber es ist davon auszugehen, dass sich der kunsthistorische Diskurs fundamental ändern wird.

  • Peter Schmidt
    17.06.2009 15:46

    Ohne Zweifel ist es ein (Informations-)Wert an sich, Quellen- und Bildmaterial schnell zur Verfügung zu stellen. Tiefenerschließung und reine Materialpublikation sind ja auch keine völlig getrennten Universen der Erkenntnis hier und der bloßen naiven Schau dort; man muß nicht wiki-gläubig sein, um aus Erfahrung zu wissen, daß die Publikation unkommentierten Materials auch wertvolle Kommentare von echten Fachleuten provozieren kann, die der "wahren" wissenschaftlichen Erschließung nützen. Die Inkunabel- und Handschriftenforschung profitiert erheblich von der Digitalisierung großer Bestände, von denen hier nur die "Leuchttürme" UB Heidelberg (http://palatina-digital.uni-hd.de) und BSB München (http://www.digitale-sammlungen.de) erwähnt seien. Handschriftenkatalogisatoren reagieren übrigens schon seit einiger Zeit auf das von Hubertus Kohle angesprochene Problem mit dem Erschließungstypus "Bestandsliste" (vgl. http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/KonzeptpapierBestandliste09-04.pdf); die UB Heidelberg etwa mit der Online-Publikation von noch ungedruckten Beschreibungen, die BSB München veröffentlicht die fertiggestellten Beschreibungen noch nicht auf Papier lesbarer Katalogbände, z.B. der lateinischen Handschriften Augsburger Provenienz, schon jetzt (http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt_muenchen-augsburg.htm). Und sie sind damit nicht allein, s. http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/laufende_projekte.htm. Insgesamt ist festzuhalten, daß in der Welt der Bibliotheken mit Handschriftenbesitz - wenn auch sicher nicht überall und international gleichmäßig - wohl sogar eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber der Veröffentlichung ungedruckter Arbeitsmittel herrscht als etwa in der Welt der Museen. Man denke nur an die gescannten Forschungsdokumentationen der BSB München zu ihren Codices (http://www.bsb-muenchen.de/Forschungsdokumentation-Handsc.172+M5346447b827.0.html).

    Bei aller Lust an "quick and dirty" drängt sich aber auch ein wissenschaftspolitischer Aspekt auf. In der Politik ist der Quickie längst die Idealvorstellung von Forschung; langfristige und in die Tiefe gehende Forschung wird immer unattraktiver. Selbst bei den Leitungen der Akademien der Wissenschaften, die sich besonders bei Jubelfeiern (wie jüngst derjenigen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) brüsten, sich im Unterschied zur zunehmenden Schnellebigkeit, Kurzfristigkeit und Modeanfälligkeit universitärer Forschung noch Grundlagenforschung in generationenübergreifenden Langzeitprojekten zu leisten bzw. in diesen sogar ihre Kernaufgabe zu sehen, ist man sich nicht mehr immer so ganz sicher, ob nicht auch dort gelegentlich neidvoll nach dem schnellen, publizistisch verwertbaren Erfolg knackiger Forschungsprojekte geschielt wird, wo nach wenigen Jahren eines SFB ein hübscher Band publiziert und pressewirksam vorgestellt ist. Es ist heute leichter, ein Digitalisierungsprojekt gefördert zu bekommen, als ein Projekt, in dem in zäher und zeitintensiver wissenschaftlicher Arbeit Material erschlossen wird. Die Katalogisatoren von Handschriften wissen ein Lied zu singen von dem Druck, schneller und effektiver (Zahl der Handschriften pro Monat) zu beschreiben und zu publizieren. Das ist der schale Geschmack, der nach dem verständlichen und berechtigten Jubel über die schnelle Digitalisierung und Veröffentlichung im Netz - z.B. von Handschriften als reine Imagedateien - im Mund zurückbleibt: Sie liegt ganz auf der Linie des wissenschaftspolitischen mainstream. Eine Gefahr besteht darin, daß mit der Publikation der bloßen Scans der Anschein erweckt werden kann, damit wäre wissenschaftlich schon etwas geleistet. Ist es in gewisser Weise auch, natürlich, aber nur in gewisser. Wenn die schiere Menge gescannter Handschriften und Inkunabeln den zuständigen Institutionen, Geldgeber und -verteilern Anlaß ist, möglichst schnell auch das Geld zur Tiefenerschließung oder gar - wenn das altertümliche Wort erlaubt sei - Erforschung des Materials nachzuschieben: dann hurra! Zweifel sind jedoch angebracht in Zeiten, wo der Füllstand der Töpfe, aus denen all das bezahlt wird, gleich bleibt oder vermutlich irgendwann demnächst (nach den temporär guten Nachrichten der jüngsten Zeit der Weltwirtschaft logisch folgend) wieder abnehmen wird, aus eben diesen Töpfen aber die Digitalisierung UND die Erschließung UND die Erforschung bezahlt werden muß. Wer bei solchen Verteilungskämpfen den Kürzeren ziehen dürfte, ist nicht übermäßig schwer vorherzusagen. Alles nur geunkt? Hoffentlich.

  • Christiane Pagel
    15.06.2009 07:39

    Die Fragestellung nach Voraussetzungen und Anforderungen an die
    Internet-Veröffentlichung kunsthistorisch relevanter Objektbestände ist von
    zentraler Bedeutung. Und sie ist Teil eines größeren Gefüges konzeptioneller
    Überlegungen, die die Arbeit mit Internet-Präsentation von Bildmaterial
    begleiten sollten. Entschlossenheit zur zügigen pragmatischen Bereitstellung
    von (Bild)Material für die Recherche ist sicher eine guter Anfang,
    allerdings unter der Voraussetzung, dass die Metadaten, die den
    Digitalisaten als 'Grundausstattung' zur Seite gestellt werden, gewissen
    Minimalanforderungen genügen, um ein Objekt eindeutig zu identifizieren.
    Hier stellt sich die Frage, ob der Maßstab 'Quick and dirty' zu brauchbaren
    Ergebnissen führen kann. Wenn ich mir ansehe, welche Sucherfolge ich in den
    immer zahlreicher werdenden Portalen und ähnlichen Gefügen heterogener
    Zusammensetzung zutage fördere, verfestigt sich mein Eindruck, dass die
    sinnvolle Organisation der rasch anwachsenden Datenbestände eine große
    Herausforderung bedeutet, deren Bedeutung zur Zeit offenbar noch
    unterschätzt wird. Sie ist jedoch unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die
    Möglichkeiten, die in Material und Medium liegen, optimal genutzt werden
    können. Es gibt Datenbanken, mit denen sich gut arbeiten lässt und zu denen
    man aus gutem Grund immer wieder zurückkehrt. Sinnvoll ist es zunächst, gut
    funktionierende, in sich schlüssige Bausteine zu schaffen. In unserem
    DFG-Projekt 'Virtuelles Kupferstichkabinett' haben wir versucht, einen Weg
    zu finden, der eine pragmatisch rasche Veröffentlichung von gutem
    Bildmaterial und die Erschließung mit differenzierten Metadaten miteinander
    vereinbart.

    Christiane Pagel

    www.virtuelles-kupferstichkabinett.de
    Virtuelle Zusammenführung und Erschließung der graphischen Sammlungen des
    Herzog Anton Ulrich-Museums Braunschweig und der Herzog August Bibliothek
    Wolfenbüttel

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